Tangoshows – was wir trotzdem daran lernen können
Wenn
auf einer Milonga wieder einmal vollmundig ein „Showtanzpaar“ angekündigt wird und ich es versäumt habe, mich
rechtzeitig unauffällig nach draußen zu verdrücken, kommt mir meist nach einer
Minute Vorführung auf dem Parkett der Gedanke: „Na und? Im Prinzip sollte das
doch jeder hinkriegen, der halbwegs begabt ist und einige Jahre intensiv Tango tanzt!“ Ich gebe allerdings zu: Man könnte beim
Zugucken schon eine Menge lernen – insbesondere diejenigen Personen, welche sich in
der heimischen Szene gerne als „Tangolehrer“ ausgeben.
Bevor
man mich nun (wieder einmal) der „galoppierenden Selbstüberschätzung“ zeiht: Natürlich
weiß ich, dass die Paare, welche sich bei den gängigen „Showacts“ dem zahlenden
Publikum präsentieren, oft nur halb so alt sind wie der Durchschnittsgast.
Selbstredend darf man daher noch eine höhere Sportlichkeit, Kondition
und Körperbeherrschung voraussetzen,
zumal wenn die gemeinhin als „Profis“ apostrophierten Akteure – hoffentlich –
zumindest noch eine Stunde täglich zum Üben kommen. (Die Abhaltung von
Tangokursen lassen wir hierbei nicht gelten, da bei dieser Tätigkeit traditionell
fast ausschließlich die Sprechmuskulatur trainiert wird.)
Weiterhin
ist mir selbstverständlich klar, dass man mittels Pomade, maskenhaftem Makeup,
Nadelstreifenanzug und geschlitztem Kleid (wahlweise auch „Harems-Bumbelhose“)
beim Zuschauer (falls der nicht geschmacklich etwas heikel ist) durchaus mehr
Eindruck schinden kann als der „Normaltänzer“ mit Jeans, T-Shirt oder
ausgebleichtem Haiwaiihemd. Wenn schon der Schein trügt, tut es das Design allemal! Und schließlich genießt
man beim Vortanzen das Privileg, endlich einmal genug Platz zu haben und daher nicht im Slalomkurs arthrotisch
umherstaksende Paare umkurven zu müssen (soweit einem nicht eh die ideologische
Verblendung ein Überholverbot auferlegt).
Was
Vortanzpaare übrigens zunehmend selten demonstrieren, ist stilistische Variabilität: Immer öfter besteht die musikalische
Begleitung aus klassischen Tangostücken in den Tempi langsam, noch langsamer, mittelschnell
und ganz langsam. So entstehen Tänze nach dem Motto „Kennst du einen, kennst du alle“: Sollte
überhaupt ein Vals geboten werden, erkennt man die choreografischen
Tangoelemente fast unverändert wieder. Und eine Milonga, gar ein modernes Stück
mit weiterem Abstand im Paar oder gelegentlicher Auflösung der Tanzhaltung?
Oft Fehlanzeige – da wird das Marketing hervorragend umgesetzt: Tango de Salon
verkauft sich halt derzeit am besten! Immerhin wählt man häufig Stücke aus der
Pugliese-Abteilung, da diese Musik dem Showpaar das liefert, was DJs dem
gemeinen Volk heute vorenthalten: Dynamik.
Ebenfalls
fest vorprogrammiert sind der tosende
Applaus des Publikums sowie das Erklatschen von zumindest einer Zugabe,
welche ja vorher schon fest eingeplant wurde. (Mein Traum wäre hierbei ein
Zwischenruf von der Sorte: „Nee, lasst
mal!“) Diese stereotypen Reaktionsmuster
der Zuseher beweisen, dass es hier kaum um eine individuelle Leistung geht.
Vielmehr bestätigt man sich gegenseitig in der Wichtigkeit und Exklusivität des
Erlebten – welchen Schatten würfe es auf die eigene Rolle, den persönlichen
Geschmack, wenn man an etwas Minderwertigem beteiligt gewesen wäre? Na denn:
ein Hoch auf uns alle!
Der
endgültige depressive Absturz ereilt mich allerdings, wenn anschließend das
Parkett wieder für die Allgemeinheit freigegeben wird: Kaum ein DJ orientiert
sich an der gerade erlebten Expressivität der Musik – auf dem Programm steht
nun wieder lustloses Dahinplätschern, welches mit spannungsarmem Umhergeschiebe
im Rollatortempo beantwortet wird. Auswirkung auf die eigene Tangoentwicklung
folglich: null. Schließlich haben Bühnen-
und Salontango überhaupt keine Berührungspunkte…
Im Gegenteil: Im konservativen Tango-Schrifttum findet sich gelegentlich die Klage, Tanzende brächten nach einem solchen Show-Act – wohl in Nachahmung des Gesehenen – eine „fürchterliche Unruhe in die Ronda". Tango dürfte somit die einzige Freizeitbeschäftigung sein, wo man sich von Vorbildern nicht anregen lassen sollte...
Im Gegenteil: Im konservativen Tango-Schrifttum findet sich gelegentlich die Klage, Tanzende brächten nach einem solchen Show-Act – wohl in Nachahmung des Gesehenen – eine „fürchterliche Unruhe in die Ronda". Tango dürfte somit die einzige Freizeitbeschäftigung sein, wo man sich von Vorbildern nicht anregen lassen sollte...
Wirklich
nicht? Die Tanzlehrerin Mary van Elst
meint dazu: „Die Streitereien um den
einen, den richtigen Stil sind ein Zeichen von Unsicherheit. Gute Tangotänzer
beherrschen mehrere Stile, setzen diese im selben Tanz situationsbedingt
spontan ein.“ (Quelle: Tangodanza 2/2005, S. 8-10).
Gott
sei Dank nimmt sich kaum eine andere Branche den Tango zum Vorbild: Millionen
junger Fußballspieler können ihre Blicke nicht von Ronaldo, Müller und Co.
lassen, fühlen den glühenden Wunsch, einmal so zu spielen wie diese Stars –
und viele Karrieren basieren auf dieser Triebfeder. Glücklicherweise sagt ihnen
kaum ein Jugendtrainer: „Na ja, das ist
Champions League, die hat aber mit dem Fußball, den wir hier spielen, nichts zu
tun.“
Da
ich fürchte, Ihre Tangolehrer werden Sie auch weiterhin nicht darauf aufmerksam
machen, rate ich Ihnen, beim nächsten Showtanzpaar einmal die folgenden
Aspekte zu beachten:
Andruck über den
Oberkörper:
Egal, wie eng oder weit die Tanzhaltung auch ist – wenn dieses entscheidende
Verständigungselement fehlt, können schnelle und präzise Impulse kaum in
Bewegung umgesetzt werden. Das erfordert eine Neigung beider Tänzer nach vorne
– auf normalen Milongas sieht man dagegen flächendeckend eine senkrechte oder
sogar nach hinten hängende Position, man tanzt lieber mit den Füßen voraus. Weiterhin entfiele dann das branchenübliche Klammern und Gekralle.
Dissoziation: Schauen Sie bei
einer Tangoshow einmal nicht (wie üblich) auf das Gewirbel der Beine, sondern
auf die Ruhe in den Oberkörpern; deren Position voreinander verändert sich kaum!
Dadurch reißt der gegenseitige Informationsfluss nie ab – egal, welche
Turbulenzen über die unteren Partien entfacht und auf das Parkett gezaubert
werden.
Klarheit der
Bewegungen:
Die Schritte exzellenter Tänzer sind stets genau definiert, was Richtung, Länge und Tempo
betrifft. Es geht eben exakt nach vorne oder zur Seite und nicht irgendwie ein
bisschen schräg entlang. Und auch Vorwärtsschritte werden auf den Ballen
angesetzt – das Gegenteil führt gerne dazu, wieder mit den Beinen voraus und
dem Oberkörper hinterher zu marschieren. Ebenfalls sind Drehungen wirklich rund
und „eiern“ nicht, was Stabilität kosten würde.
Dynamik und Kontrast: Tangoschritte werden schnell angesetzt, dann aber
verzögert zu Ende geführt. Dies erfordert eine wichtige Fähigkeit, welche
offenbar in Kursen keinerlei Rolle spielt: In guter Balance auf einem Bein
stehen zu können. Diese braucht man nämlich dazu, mit dem freien Bein den
Bewegungsweg zu verlängern bzw. zu verzögern und erst im allerletzten Moment zu
belasten. Das nennt man übrigens „Schweben“!
Die dahinter stehende Philosophie kann man in dem Satz zusammenfassen: „El
tango pasa entre los pasos“ – der Tango geschieht zwischen den Schritten.
Musikalität: Die häufig choreografierten Shows sind oft perfekt auf die Phrasierung der Musik zugeschnitten (zählen Sie mal von eins bis acht durch). An einem Vortanzvideo können Sie mehr über musikalisches Tanzen lernen als in zehn Workshops!
Musikalität: Die häufig choreografierten Shows sind oft perfekt auf die Phrasierung der Musik zugeschnitten (zählen Sie mal von eins bis acht durch). An einem Vortanzvideo können Sie mehr über musikalisches Tanzen lernen als in zehn Workshops!
Die
argentinische Tangolehrerin Susana Miller
sagt dazu: „In der Musik tut sich eine
ganze Welt auf zwischen einem Beat und dem nächsten. Und wenn du jemand in
deinen Armen hältst oder in jemandes Armen liegst, fühlst du genau: Wie viel
dieser Welt füllt er aus zwischen einem Beat und dem nächsten. Darum dreht sich
so gut wie alles. Es ist eigentlich fast nichts. Aber der ganze Unterschied
zwischen einem Tänzer, der ok ist und einem, der einfach ‚wow‘ ist, liegt
darin, wieviel er weiß über diesen einen Beat und den folgenden. (…) Zwischen
zwei Beats findest du eine ganze Welt. (…) Das ist es, was du in deinem Körper
empfindest, wenn ein echter Tänzer mit dir tanzt.“ (Quelle: Tangodanza 1/2006,
S. 73)
Durch
das übliche „Einzählen“ im Unterricht werden schon Anfänger darauf
konditioniert, auf jeden Taktschlag einen Schritt zu setzen. So entsteht das
sattsam bekannte spannungsarme Herumgetappe. Gute Musikstücke bieten aber stets
die Möglichkeit, Kontraste zu
betonen: Je nach dem gerade dominierenden Instrument (oder der entsprechende
Phrase) kann man die Geschwindigkeit verdoppeln oder halbieren, Pausen setzen,
dramatische Impulse durch große oder feine Einwürfe durch winzige Schritte
vertanzen. Eine abwechslungsreiche Musik
schult solche Fähigkeiten natürlich besser als der Einheitsbrei, den Besucher
üblicher Milongas heute vorgesetzt bekommen…
Was
Sie bestimmt nicht brauchen, um die Qualität Ihres Tanzes näher an die von
Showpaaren zu bringen, sind noch mehr „Figuren“.
Ich gebe Ihnen hiermit die Garantie: Wenn Sie mit Geh- und Wiegeschritten,
Ochos und einfachen Drehungen die obigen Kriterien umsetzen, fallen Sie mit
Ihrer Tanzweise auf einem üblichen Tangoabend gigantisch auf – und ob Sie dies
nun zur Befriedigung Ihrer Eitelkeit benützen oder in aller Bescheidenheit nur
selber mehr Spaß haben wollen, überlasse ich natürlich Ihrer persönlichen
Moral!
P.S.
Näheres hierzu finden Sie – falls es Ihr örtlicher Tangolehrer nicht liefert –
in meinem „Milonga-Führer“ auf den Seiten 138-187 (Schleichwerbung Ende). Übrigens gehören meinen persönlichen Lieblingen unter den Showtanzpaaren Sebastián Arce und Mariana Montes - solche Fähigkeiten kann man getrost unter „Champions League" buchen!
Das folgende Video stammt aus dem Jahr 2009. Da durften die beiden auf dem Parkett noch jede Menge „Unfug" verbreiten – heute würden sie das aus kommerziellen Gründen schön bleiben lassen!
Das folgende Video stammt aus dem Jahr 2009. Da durften die beiden auf dem Parkett noch jede Menge „Unfug" verbreiten – heute würden sie das aus kommerziellen Gründen schön bleiben lassen!
Hallo Gerhard,
AntwortenLöschenhier mal zwei links von Showtänzen der Veranstalter einer Milonga, die ich besucht habe:
https://www.youtube.com/watch?v=HrJm1imvkMw
https://www.youtube.com/watch?v=5PvG89RGnls
Den Eindruck von "choreografischen Tangoelemente" bekommt man auf der Milonga schon, aber rückblickend betrachtet ( im Video ) bestätigt sich dieser nicht mehr!
Ich sehe den Showtanz als eine Art von Werbung für die Tanzschule/Unterricht. "Guckt mal, wenn ihr uns euer Geld gebt könnt ihr das vielleicht auch mal." Völlig legitim.
Den Showact empfinde ich aber als nette Unterbrechung ( für Gerhard Raucherpause :-) ). Natürlich kommt dann unweigerlich der Neid: "So eine will ich auch!". :-))
MM
Ich habe ja nichts gegen „nette Einlagen“ und weiß, dass solche Showtänze sehr beliebt sind. Also, wer’s mag, soll gerne zusehen! Schön wäre es, wenn man sich fürs eigene Tanzen ein paar Dinge abschauen könnte – und das war ja der Sinn meines Beitrags.
LöschenVielen Dank für die Links – sie zeigen (bis auf das ganz dezente Outfit) exemplarisch, was ich ansonsten meinte: Wieso muss man sich gerade so eine auf praktisch jedem Tangoabend abgenudelte Version von „Silueta Portena“ heraussuchen? Es gibt so viele originellere Milongas – und der Tango ist nett und belanglos; ich habe ihn schon wieder vergessen. Es gibt ganz wenige Showpaare, bei denen ich spüre: Ja, genau das ist ihre Musik – bei der blühen sie auf.
Und die Choreografie: Gut, bei der Milonga waren einige hübsche Tricks zu sehen – aber der Tango? Wirklich, in dieser Preisklasse muss es doch jeder hinkriegen, der etliche Jahre tanzt und halbwegs begabt ist!
Klar sind solche Showtänze eine Werbung für die Vorführenden bzw. ihre Schule. Aber beim heutigen Zustand des Tangounterrichts wird da eine reine Illusion verkauft: Wer nicht mehr macht als solche Stunden zu buchen, bekommt das nie fertig. Das schafft er nur, wenn er sehr viel tanzen geht und sich auch musikalische Herausforderungen sucht!
Technik macht noch mehr möglich, als "lediglich gut tanzen" - nämlich herzergreifenden Schabernack. Da schau her: https://www.youtube.com/watch?v=RPhbniqasaY
AntwortenLöschenViel Vernügen!
Die Tangogötter mögen uns Paare wie Capussi und Flores erhalten, denen es den Spaß aus allen Knopflöchern drückt. Aber viele werden heute sagen: "Des is doch koi richtiger Tango ned!"
Löschen... kann tangoextern auch so aussehen: https://www.youtube.com/watch?v=jyEBglg6sZo
AntwortenLöschenArtistik und "binnenkörperliche Bewegungen": Da könnt sich manch ein Tangotänzer eine Scheibe abschneiden!
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