Cassiels Predigt zum Vatertag



Liebe Brüder und Schwestern im Tango,

gerade in jüngster Zeit wird unser Glaube an den unverfälschten und reinrassigen Tango wieder einmal auf eine harte Probe gestellt: Die Propagandisten eines übertriebenen Freiheitsbegriffs schmähen unsere heiligen Códigos, welche wir in langem Gebet und Meditation auf dem Parkett verinnerlicht haben. Kürzlich erst musste sich Schwester Theresa für ihr Cabeceo-Ritual von einem Ungläubigen, dessen Namen ich vergessen habe, in übelster Weise diffamieren lassen. Diese Häretiker stellen alles in Frage, was uns wert und teuer ist, zweifeln an unserem tiefsten Glauben an die rituell zugelassene Musik, die allein selig machende enge Umarmung und die hehren Gesetze der Ronda im Kreise der wahrhaft Gottesfürchtigen.

Möge sie Shaitan dafür verdammen! Diese hartnäckig Lernresistenten sollen nur nicht glauben, die möchtegern-satirischen Äußerungen ihrer kruden Ideen wären durch die hierzulande sowieso zu lasch begrenzte „Kunstfreiheit“ vor Nachstellungen gefeit. Es ist an der Zeit, dass hier wieder ein anderer Wind weht! Für ihre üble Polemik und Beleidigung unseres Glaubens werden sie unsere Gerichte mit fünfstelligen Straf- und Schadenersatzzahlungen überziehen, wie es dem Stefan Raab für seine versauten Witze schon geschehen ist - und dem Dieter Nuhr leider nicht. Sie mögen sich in Acht nehmen vor unserem gerechten Zorn!

Aber, liebe Brüder im Geiste des einzig und allein wahren Tango, greifet nun nicht in rechter Empörung zu Peitsche oder gar Sprengstoffgürtel und hauet die ungläubigen Hunde nicht gar zu sehr, denn die gerechte Strafe unseres Herrn hat sie bereits ereilt! Ich, Cassiel, sein Erzengel der Einsamkeit, der Tränen und der Enthaltsamkeit aus der Kabbalah, verkünde euch das heilige Wort: „¡El tango te espera!“ Niemals wird der echte, erlösende Tango zu denen kommen, die ihn verleugnen, obwohl die Schellackplatte dreimal kräht. Der Herr wird ihre Augen blenden und sie auf die Geisterfahrt in eine Sackgasse führen, aus der es kein Zurück gibt. Sie werden auf ewig dazu verdammt sein, ihr Taktgehopse und Hupfdohlenrennen auf Veranstaltungen aufzuführen, die man „Tangodiscos“ nennt und jedem Rechtgläubigen selbstverständlich verboten sind. Schon durch ihre nötigende Aufforderungsweise, welche jede fromme Milongina nur mit dem empörten Schütteln ihres Schleiers beantwortet, wird ihnen der keusche Genuss eines Tanzes auf einem Encuentro für immer verwehrt bleiben. Aber auch mit gottlosen Weibern werden ihnen nur schlechte Tänze beschert.

Euch aber, meine geliebten Zeugen Tangos, sage ich:

Suchet lieber die fehlenden Wachsmodelnummern in der Diskografie von Rodolfo Biagi als den Splitter im Auge eures Nächsten, der doch ein Balken ist!

Liebe Schwestern, ertraget in Demut meine Anonymität, mit der ich mich ohne Eitelkeit im Tango bewegen kann, und lasset ab davon, in brünstiger Manier und per Kommentar Tänze mit dem digitalen Geistwesen, das ich nun einmal bin, zu verlangen – begnüget euch mit dem analogen Alter Ego, mit dem ihr vielleicht unwissentlich schon einmal mittelmäßige Tänze hattet!

Liebe Brüder und Brüderinnen, stärket einander im Glauben an die Vierfaltigkeit der Gran Orquestas unserer Heiligen D’Arienzo, Di Sarli, Troilo und Pugliese (und vergebet ihm seinen Kommunismus). Höret nicht auf Tandas mit mehreren Sängern oder Mischungen instrumentaler und vokaler Einspielungen, welche euren Glauben gefährden! Lasset euch nicht in Versuchung führen durch moderne Musik, die doch kein Tango ist und eurer tanzbaren Seele schadet! Vertrauet auf die Dreifaltigkeit von Cassiel als Blogger, DJ und unscheinbarer Milonguero, die Zweifaltigkeit von Mirada und Cabeceo und die Einfaltigkeit unserer Tänze!

Haltet fest am Sinne unserer Tanztradition gegen den Uhrzeiger im unendlichen Kreis, der uns zeiget, dass der Weg das Ziel ist, welches wir in dieser Orientierung nie erreichen! Übet euch, wie in der edlen fernöstlichen Kampfkunst, im Shosin, auf dass ihr, nach zwanzig Jahren des demütigen Einherlaufens im Caminar, vielleicht die Stufe des fortgeschrittenen Anfängers erreicht und die ersten Milongas besuchen dürft!

Lasset eure Füße am Boden und tretet nicht, auf dass ihr nicht getreten werdet! Gedenket der vielen Märtyrer unseres Glaubens, welche schon in Wadenhöhe von Neotango-Stilettos erdolchet oder durch vorbeieilende Gotteslästerer in ihrer Seele erschüttert wurden! Überholet nicht, auf dass euch keiner überholet! Bleibet in der Spur, auf dass euch eure Spurtreue vergolten werde!

Leset regelmäßig meine Traktate und kommentieret sie aus frohem Herzen und mit tiefster Zustimmung, auf dass ihr nicht anheimfallet dem gerechten Zorn eurer Schwest-ern und Schwest-sies!

Lasset uns nun auffordern mit Blicken und stille stehen in der Vertiefung unserer Umarmung, auf dass wir erkennen den Geist, falls er über uns kommen sollte!

Amen.

P.S. Cassiel selbst wurde leider am Abhalten dieser Predigt gehindert, da er auf dem „Vatertags-Encuentro der Freunde von Amigo-Affären“ plötzlich von einer Aura verklärt wurde und - unter Zurücklassung einer schwarzen Tangosocke als Reliquie - himmelwärts verschwand. Da seine Rückkunft sich eventuell bis zum Jüngsten Tag verzögern könnte, habe ich, da des Cassielitischen nach langer Erfahrung mächtig, diese Aufgabe (mit zugestandenem „Pennäler-Humor“) gerne übernommen!

Kommentare

  1. Das kommt dabei heraus, wenn jemand seine ( unvorhersehbare ) Entwicklung im Tango zum Dogma erklärt ... Gebete :-)

    MM

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  2. Ja, das bekommt allmählich sektenartige Züge - daher die Predigt!

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