Sitten der Großstadt
„Provinz ist, was
nicht von allem etwas hat.“ (Werner Schneyder)
„Die Provinz hat
was.“ (Gerhard Riedl)
Ich
war noch nie besonders scharf darauf, zum Tanzen in die großen Metropolen zu
fahren, und wollte mich lieber um den Tango auf dem „flachen Land“ kümmern. Als
wir 2007 unsere Milonga in einer oberbayerischen Kleinstadt aus der Taufe
hoben, durfte ich einige Male im Internet hochnäsige Sprüche lesen wie: „Wo liegt denn überhaupt Pfaffenhofen?“ Leider
habe ich nie geantwortet: „Sind denn
Großstädter geistig nicht in der Lage, eine Adresse per Karte oder Internet zu
finden?“ Gewisse dort ansässige, befreundete Tänzerinnen und Tänzer hielten
es gleichwohl für dringend wünschenswert, dass wir die City-Milongas besuchten.
Haben wir dann leider oft genug getan…
Nun
gestaltet sich ja schon eine solche Fahrt meist eher beschwerlich (wenngleich
in beide Richtungen gleich lang): Nach einem Autobahnstau darf man sich noch
durch den Stadtverkehr quälen und findet nach einigen Suchrunden sowie mit viel
Glück einen nicht weiter als fünfhundert Meter vom Tangotempel entfernten
Parkplatz. Nach dem gelegentlichen Füttern einer Parkuhr bezahlt man dann
Eintrittspreise am Oberrand des Üblichen.
Die
Musik, der man auf großstädtischen Milongas ausgesetzt ist, verbessert nach dem
geschilderten Vorlauf die Laune nicht unbedingt – und das ist keine Kritik an
der traditionellen Tangomusik als solcher! Oft genug habe ich es aber erlebt,
dass ich die Zusammensetzung der Tandas schon nach wenigen Besuchen
wiedererkannte. Dazu passt die Beobachtung, dass der DJ den Computer nach
Drücken der Enter-Taste beim entsprechenden Beschallungsprogramm länger
verließ, um sich die Zeit mit diversen Tango-Beauties an der Bar zu vertreiben.
Offenbar herrscht in solchen Fällen die Einstellung vor: Das dämliche Fußvolk merkt es eh nicht und tanzt, was aus dem
Lautsprecher kommt. Bloß nicht die
Hörgewohnheiten durcheinanderbringen!
Die
Bewegungsweisen, welche dann auf dem Parkett für die Illustration des Wortes
„Tanzen“ herhalten müssen, passen leider genau dazu. Kein Wunder: Wenn man auf
Herausforderungen verzichtet, kommt es halt zu keiner Entwicklung. Bei nicht
wenigen Tänzern, die wir seit vielen Jahren kennen, sieht es beinahe so aus,
als würde man sie nach Ende der Veranstaltung in die benachbarte Kältekammer
verbringen und rechtzeitig zwei Stunden vor der nächsten Milonga wieder
auftauen. Da ändert sich nix! Und das passiert lustigerweise genau dort, wo die
Tangolehrer fast schon Tür an Tür wohnen, und mindestens wöchentlich neue,
regelmäßig als „sensationell“ gepriesene reisende Tangostars ihr Talent unters
Volk bringen wollen. Aber wo die Losung „keine
Experimente“ lautet, bleibt es wohl beim Versuch. Nun könnte man allenfalls
ja noch selber tanzen, soweit dies nicht durch Parkettbenutzungsregeln
zunehmend eingeschränkt wird: Es soll ja nicht besser aussehen als bei den
anderen…
Wenn
man allerdings auf einer „Szenemilonga“ die Niederkunft einer „bedeutenden
Tangopersönlichkeit“ nebst gackerndem Gefolge erlebt, begreift man, dass
nicht nur der Vatikan mit „großem Kino“ arbeitet. Sollte man einmal gesehen
haben – schon wegen des hohen Kabarettfaktors beim anschließenden "Hof halten"! Benimmratschläge aus dieser Ecke nehme ich daher gefasst, aber auch
gefestigt zur Kenntnis. Man möge allerdings die Qualität der sozialen Kontaktaufnahme in
solchen Fällen nicht auf „Otto“ (oder gar „Ottilie“) „Normaltänzer/in“
herunterbrechen!
Sehr
oft lässt sich nämlich der soziale Zuschnitt der Events mit der Umkehrung eines Satzes
beschreiben, den man angeblich öfters in anderen Bereichen des Rotlichtmilieus
liest: „Du kommst als Freund und gehst
als Fremder.“ Wir haben es in Großstädten geradezu als Normalfall erlebt,
dass Veranstalter, Tangolehrer und DJs, obwohl wir ihnen jahrelang das
Eintrittsgeld für ihre Tangotreffs mitbrachten, grußlos und mit glasigem Blick
an uns vorbeimarschierten ("Tango-Aliens"). Nun mag das ja gelegentlich an auch altersbedingten
Sehbehinderungen liegen. So erklärte ein herausragendes Mitglied dieser Zunft,
welches in der jüngsten Diskussion selbstredend für den Cabeceo plädierte,
einmal meiner Frau gegenüber: „Du darfst
dich nicht wundern, wenn ich öfters nicht grüße, ich sehe ohne Brille nicht
viel.“ Nun mag ich nicht darüber
grübeln, wieso nach unseren Beobachtungen die Sehschärfe durchaus zum Erkennen
von anderen VIPs geeignet zu sein schien – viel mehr brennt mir ein anderes
Problem auf den Nägeln: Wie sollen eigentlich beim Auffordern subtile
Blickwechsel gelingen, wenn man praktisch blind wie ein Maulwurf ist und
deshalb sogar komplette Personen übersieht? Oder setzt man – ganz in
schottischer Tradition – die Brille lediglich auf, wenn es was zum Sehen gibt?
Zusätzlich
darf man gerade auf „angesagten, bedeutenden“ Milongas ganz ungestört mit
seiner Partnerin tanzen. Deren Fremdaufforderung ist nicht zu befürchten. Ich
habe Tangoveranstaltungen erlebt, wo dies selbst nach jahrelangen,
wöchentlichen Besuchen so blieb. (Obwohl das Problem inzwischen nicht mehr
besteht, kann meine Frau nun auch führen – ist alles zu etwas gut!) Ja, der
Großstädter ist experimentierfreudig und risikobereit! Im Gegenzug allerdings
gingen etliche Damen dort schon davon aus, dass sie einmal pro Abend das
Anrecht auf einen Tanz mit mir hätten, was widrigenfalls mit einer direkten
Attacke erkämpft wurde. (Hier wäre eine Cabeceopflicht allerdings ein nicht zu
verachtender Vorteil, oder darf man dann bei „Damenwahl“ nicht weggucken?)
Insofern
war vielleicht meine Kritik an den ausufernden Códigos und deren Einübung per
Workshop voreilig: In Szenen, wo solch eklatante Sozialdefizite herrschen, muss
wohl das, was in der Kinderstube fehlte, nun per Schulungen in „argentinischen
Traditionen“ nachgeholt werden. Ob dies jedoch im tangotypisch
fortgeschrittenen Alter etwas bringt, bleibt abzuwarten. Wenn ich bedenke, wie
eine bestimmte Community auf meine Scherze und Satiren immer mal wieder
reagiert, bin ich eher skeptisch. Da wird abweichenden Meinungen nicht etwa mit
Argumenten begegnet – nein, oft genug sieht man sie schlicht als
„Majestätsbeleidigung“, wenn nicht gar „Gotteslästerung“ – und das mit
förderschulwürdigen Argumenten wie: Ich sei wahrscheinlich, obwohl dem
Schreiber persönlich unbekannt, ein schlechter Tänzer! Andere Blickwinkel sind eben
für eine solche Population schlicht absurd – da bleibt man doch lieber, wie man ist,
sowie bestätigt sich gegenseitig in der herrschenden Meinung – und dies ist
genau die passende Strafe für eine derartige Ignoranz von Menschen, die sich in
rücksichtsvollem Auffordern üben wollen…
Sicher
weiß ich, dass bei jeder Verallgemeinerung die Gerechten mit den Un- bzw.
Selbstgerechten leiden und alles immer auch ganz anders sein kann. Dennoch
besuche ich schon lange, wann immer es geht, Events wie den „Übungsabend der Tangofreunde Neustadt an
der Nitze im evangelischen Gemeindehaus“ – selbst, wenn da die Musik ebenso
grauslich ist wie im „Tangosalon Palais
Tralala“ : Ich fahre oft nur halb so weit, finde einen Parkplatz, zahle
vier Euro Eintritt und werde trotzdem freundlich behandelt – und es wird in der Regel kreuz und quer
aufgefordert. Wie schön!
So
lässt es mich auch ziemlich kalt, wenn eine Tänzerin aus der Großstadt per
Facebook-Kommentar nun meint, eine Inhaberin anderer Ansichten hätte „dem ohnehin
nicht gerade großartigen Ansehen der“ (dortigen) „Tangoszene
geschadet“. Nein, meine Lieben, das bringt ihr schon ganz alleine fertig!
Politisch
unkorrekter Witz zu den vielen Verhaltensregeln auf
traditionellen Milongas:
Im Pazifikkrieg zwischen den USA und
Japan wird eine Gruppe amerikanischer Marineinfanteristen über die Gefahren bei
der Landung auf Südseeinseln unterrichtet: scharfkantige
Riffe, Haie, Giftschlangen, Minen etc. Nach einer Stunde meint der Sergeant:
„Noch Fragen?“ Ein Rekrut meldet sich: „Ich bin ja kein Experte – aber wenn ich
das alles so höre – warum überlassen wir die Inseln nicht lieber den Japanern?“
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