Nachkriegs-Bilanz
Nun habe ich die jüngsten
Auseinandersetzungen mit der sich „traditionell“
verstehenden Fraktion des Tango für meine Unterlagen zusammengestellt. Die hat
– auf den verschiedenen Foren – über 100 Beiträge veröffentlicht, mehr als 30
Vertreter dieser Zunft haben sich
geäußert. Im Gegensatz dazu blieben die Wortmeldungen derer, welche meinen
Ansichten zumindest teilweise zustimmen, im einstelligen Bereich. Ist die
„Schlacht“ verloren? Im Internet sicherlich. Wie schrieb ein Kommentator so
schön? „Und betrachte die inzwischen
lange Liste seiner Gegner – das sind bestimmt alles keine Idioten.“ Na
eben.
Weitere Unterschiede sind auffällig: Während
die Befürworter meiner Ideen durchaus nuancierte
Standpunkte vertreten und sich einer Sprache bedienen, die vorwiegend die
Ironie (gelegentlich auch den Sarkasmus) als Stilmittel verwendet, greift die
andere Seite bedenkenlos zu Kraftausdrücken und Verbalinjurien. Eindrucksvoll
zudem, wie straff man organisiert ist: Es herrscht eine Einheitsmeinung, welche gedankenlos die Besitzer wechselt – die
„Schwarmintelligenz“ gibt vor, was man zu denken hat. Und: Ein differenziertes
Eingehen auf meine Texte, gar meine Tangobücher, wird in der Regel als
überflüssig erachtet. Und wenn doch einmal, dann liest man eher das, was man
lesen wollte – ob es nun tatsächlich geschrieben stand oder nicht…
Theresa Faus immerhin hat eine längere
Stellungnahme zu meinen Beiträgen veröffentlicht, obwohl ihre Fans Diskussionen
eher als „unnütz“ sehen und fürs „Ignorieren“ plädieren, und sie hat sich
– wenn auch halbherzig – für das Posten eines Nazi-Emblems entschuldigt. Ihre
Gefolgschaft allerdings zeigt sich komplett einsichtsfrei hinsichtlich der
Instinktlosigkeit, Anspielungen auf nationalsozialistische Slogans amüsant bis
geistreich zu finden. Kritik daran sei „kontextfreies
Kommentieren“, „schicke,
selbstgerechte Empörung“: „Und diese
Hakenkreuz-Geschichte… Alle auf die Couch“.
Mich treibt es jedoch vom Sofa, wenn die
selbe Population „Respekt vor
Traditionen“, „Regeln, die sich über
viele Jahre hinweg bewährt haben“, „sinnvolle, bewährte Dinge“ und „die „Achtung
vor dem, was war“ einfordert und über „laissez
faire“, „übersteigerten Liberalismus“, „u.U.
freiheitliche Vorstellungen“ sowie „Reichsbedenkenträger“
herzieht. Die verbotene Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole wird
relativiert, während man sich für „möchtegern-satirische“
Texte „Straf- und Schadenersatzzahlungen“
erhofft. Ich möchte hier keine Werturteile über Einzelpersonen treffen,
doch die verwendete Sprache ist beileibe nicht „aufgeklärt-konservativ“,
sondern eine reaktionäre Attacke auf
die Errungenschaften der Aufklärung.
Gibt es noch einen
kleinsten gemeinsamen Nenner im Tango? Aufschlussreich ist
ein Dialog, der sich neulich auf dem Forum www.tanzmitmir.net zwischen mir und
Cassiel ergab. Der hatte u.a. geschrieben:
„Ich denke, ein
Veranstalter hat das Recht, seine Veranstaltung gemäß seinen Vorlieben
auszurichten. Und er hat m.E. die Pflicht, das vorab möglichst deutlich und
unmissverständlich zu kommunizieren.“
Meine Antwort hierauf war: „Die Ansicht, ein Tangoveranstalter habe die
Pflicht, die genaue Ausrichtung seines Events (Musikart, möglichst in
Prozenten, Beinhöhenhebegrade etc.) vorab bekanntzugeben, ist schon ein starkes
Stück und zeigt, in welche Richtung es hier gehen soll.“
Der Angesprochene ging hierauf nicht ein,
sondern stellte fest, es sei ja klar, dass ich „einmal mehr dagegen“ sei. Er schloss mit der Frage: „Hast Du (jenseits vom Dagegen-Sein) einen
besseren Vorschlag?“
Ich antwortete hierauf: „Mein Vorschlag: Dass wir beim Tango die Widersprüche nicht aufheben,
sondern ausleben, und zwar miteinander und nicht per Aufspaltung in Grüppchen.
Dazu würde gehören, dass ich mal eine Runde Canaro tanze (was ich auch tue) und
du danach Otros Aires, dass ich es toleriere, wenn mir schon wieder jemand im
Weg rumsteht (kenne ich kaum noch anders) und du nicht in Ohnmacht fällst, wenn
einen Meter neben Dir ein Boleo getanzt wird - und das auf ein und derselben,
bunten und spannenden Milonga!“
Was ich dann lediglich zu lesen bekam, war: „Also Otros Aires ist für mich kein Tango.
Wenn dazu jemand Tango tanzen möchte, dann kann er das gerne tun. Mich wird man
bei solchen Veranstaltungen regelmäßig vermissen. Ich sehe nicht, warum eine
Aufspaltung in verschiedene (Interessens-)Gruppen im Tango nun so schlimm ist.“
Für mich steht daher fest: Die andere Seite
möchte nicht versöhnen, sondern spalten. Kompromisse werden als Zeichen von
Schwäche betrachtet. Wichtig ist vor allem, eine Veranstaltung nach der anderen
in den Griff zu bekommen – nicht nur hinsichtlich der „Pflicht zum Cabeceo“. Es geht nicht um Códigos, noch nicht einmal
um Tango, sondern um Kontrolle und Herrschaft. Wenn man das so
betrachtet, passt alles zusammen.
O-Ton Cassiel: „Für Deine Schmähungen: ‚Sektierer und Ideologen‘, bist Du noch immer
Belege schuldig geblieben…“ Tja, wie überzeugt man einen Sektierer und
Ideologen davon, einer zu sein? Das wird nicht funktionieren. Daher bin ich
inzwischen zur leidvollen Überzeugung gekommen: Die Zersplitterung des Tango durch „Gesinnungsgruppen“ schreitet munter
voran. Der „Tango für alle“ zieht
sich, wenn überhaupt noch, auf Vorstadt- und Dorfmilongas zurück.
Es ist sicher wahr, was mir jüngst ein
Kommentator schrieb: Autoren, die sich „von
Kritik und Anfeindungen überschüttet sehen“, könnten „die Größe des schweigsamen Leserkreises nicht abschätzen“. Und ich
errötete trotz meiner Eitelkeit, als mir neulich eine Tanguera nach einer
Tanzrunde sagte: „Wenn diejenigen, welche
im Internet über dich herziehen, mal mit dir tanzen würden, könnten sie diesen
Unsinn nicht schreiben.“
Die Wahrheit ist jedoch: Ich will mit gewissen Menschen nichts mehr zu tun haben. Der
formale Nenner „Tango“ ist mir da zu klein.
Wir wissen, hinter jeden ordentlichen Streit steckt etwas. Die heruntergefallende Tasse ist nur der Anlass.
AntwortenLöschenWas lieber Gerhard steckt dahinter?
Ich bin noch recht neu im Tango und zähle mich zu den Jüngeren der Gesellschaft. Wo drückt also der (Tanz-)Schuh? Testosteronmangel, Langeweile, Revierkämpfe älterer Bullen ums junge Vieh? Wovor muss ich mich demnächst auf Milongas in Acht nehmen?
MM
Meine Motive habe ich nun wahrlich genügend dargetan: Ich hab überhaupt keine Lust, tatenlos zuzusehen, wie der Tango immer mehr reglementiert und mit langweiliger Musik zugeschüttet wird. Wenn Dich das nicht stören sollte, musst Du Dich auf Milongas vor gar nix in Acht nehmen - im Gegenteil: Man wird Dich immer mit genaueren Regeln fürs Verhalten versorgen.
AntwortenLöschenDer Herr C. ist da halt federführend tätig, und zudem versucht er seit Jahren immer wieder, Shitstorms gegen meine Tangobücher zu inszenieren. Hätte ich nicht dagegengehalten und es geschafft, dass meine Veröffentlichungen als interessant, da umstritten, gelten (auch auf meinem Blog), hätte ich die zirka 3000 Exemplare nicht verkauft.
Das ist meine subjaektive Perspektive. Von der Außenansicht her steht es natürlich jedem frei, sich aus dem weiten Feld der Humanethologie sowie Geriatrie zu bedienen und die Beweggründe zu sehen, die ihm selber den größten Lustgewinn bescheren!
Du schreibst im Titel von Nachkrieg. So scheint ( hoffentlich ) die Schlacht geschlagen.
AntwortenLöschenDen größten Lustgewinn habe ich allerdings beim Zuschauen der Inszenierungen und des Gehabes. Alles Tango, oder was?
Ein Glück muss ich dabei mich selbst nicht betrachten :-)
MM
P.S. Ich war in der Schule auch immer ein Querulant. Nicht immer der einfachste Weg, aber es trennt sich die Spreu vom Weizen.
Ob der Krieg zu Ende ist? Wer weiß das schon - ich hatte nicht geglaubt, dass meine Spöttelei über den "Blinzel-Workshop" solche Folgen haben könnte.
AntwortenLöschenIch meine nicht, dass solche Auseinandersetzungen "tangospezifisch" sind. Die gibts genauso beim Schuhplatteln (siehe meinen Beitrag) oder bei Trachtenvereinen: Die einen sehen's halt nicht so eng, die anderen messen den Abstand der Knöpfe bei der Tracht.
Ist man ein Querulant, wenn man mehr Spaß und weniger Reglement möchte? Aber ich gebe zu, gerne zu schreiben und so durchaus Vergnügen an verbalen Auseinandersetzungen zu haben Nur Zuschauen wäre mir zu wenig!