Was willst du lernen?
Von meinen Kritikern (ich gendere bewusst nicht) wird ja seit Jahren tapfer behauptet, ich hielte Tangounterricht für überflüssig, ja schädlich. Wahrscheinlich kann ich das noch hundertmal erfolglos dementieren und dennoch nicht verhindern, dass es ein Papagei dem anderen nachplappert. (Ich entschuldige mich für diesen Vergleich – diese Vogelfamilien gelten ja als ziemlich intelligent!)
Für mich ist halt die Frage, welche Lernform man wählt – und während im Schulwesen der lehrerzentrierte Frontalunterricht als überholt gilt, wird er im Tango kaum hinterfragt. Dass in freien Übungsgruppen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer voneinander lernen könnten, bestreiten die Unterrichtenden hartnäckig – wäre ja auch schlecht fürs Geschäft…
Zudem – und das macht es nicht einfacher – gibt es ja ganz unterschiedliche Lerntypen: Während die einen sich am Vorbild orientieren, möchten andere lieber selber rumprobieren. Sehr verdächtig!
Einer meiner heftigsten Kritiker wird nicht müde zu erklären, seine Daseinsberechtigung als Tangolehrer begründe sich darauf, dass ja „gute Tanzende nicht vom Himmel“ fielen. Ich fürchte, die derzeitige Tangokrise äußert sich in einem gravierenden Niederschlags-Mangel.
Es ist wohl nicht zu verhindern, dass die Leute zu Beginn (durch welche Zufälle auch immer) in irgendeinen (meist verschulten) Kurs geraten. Das muss man als Tribut an die Evolution akzeptieren. Ich frage mich nur, wieso man – oft sogar nach Jahren – einen Lehrgang nach dem anderen belegt – aus Gründen, die ich nicht für überzeugend halte: Mag sein, dass Tangofreunde unbedingt dorthin wollen (oder gar die Partnerin – auch hier gendere ich nicht) – oder öfters, weil man eh ein bestimmtes Festival gebucht hat und dann halt noch Geld für das angebotene Lehrprogramm irgendeines (Welt-)Meisters – in was auch immer (und dessen meist stummer Partnerin) investiert. Wenn man schon mal da ist…
Und den Veranstalter freut’s, weil er dann die Tangoshow gratis kriegt – das Lehrpersonal kassiert ja schon bei den Lernenden ab.
So kurst und „workshopt“ es Jahr für Jahr – auf den Tanzflächen der Milongas sieht man wenig Veränderungen.
Kein Wunder, wenn man Beschreibungen (für Anfängerunterricht) wie diese liest:
„Kursinhalt: die richtige Haltung, Gleichgewicht, Umarmung, Gehen, Rhythmus, Musikalität. Führen und Folgen, Richtungskontrolle und Tanzfluss“
Wow – und das alles in 5x90 Minuten!
https://www.lodelaura.de/tango-kurse/tango-anfaenger-kurs-a1
Selber beschäftige ich mich mit diesen Themen seit über 25 Jahren…
Dieses zufällig herausgegriffene Beispiel zeigt schon das ganze Elend: Was man im Unterricht wirklich behandelt, wird mit wolkigen Phrasen umschrieben, unter denen sich die Kundschaft wenig (oder gar das Falsche) vorstellen kann!
An dem ganzen Dilemma sind weniger die Veranstaltenden als die Lernenden schuld. Zumindest nach einer Anfangsphase sollte man sich nicht brav dem unterwerfen, was die Lehrerschaft sich ausdenkt (ein hier eher übertriebener Begriff), sondern selber herausfinden, was man im Tango eigentlich lernen will: neue Figuren, Musikalität, Verbindung und Kommunikation im Paar, Achse und Gleichgewicht, Fußtechnik, Körperspannung, tänzerischer Ausdruck? Es gibt so viele Möglichkeiten…
Als Gast in einem Restaurant antwortet man auf die Frage der Bedienung, was man wünsche, ja auch nicht: „Bringen Sie mir etwas, das nach Ihrer Ansicht gut für mich ist!“ Woher soll das Personal es wissen?
Ich finde, man könnte im Tango die Rolle des passiven Konsumenten aufgeben und sich einmal selber überlegen, in welche Richtung das eigene Lernen gehen soll. Und den Unterrichtenden die Frage „Was willst du im Tango lernen?“ auch dann beantworten, wenn diese sie gar nicht stellen. Klar dürfen sie dann Auskunft darüber geben, wie realistisch die angestrebten Fähigkeiten sind. Aber in solchen Gesprächen würde sich jedenfalls ein Austausch ergeben, der für beide Seiten nützlich und anregend sein könnte.
Die Lehrenden sollten dann aber auch den Mut zu ehrlichen Antworten aufbringen – selbst, wenn die Kunden dann lieber einen anderen Unterricht buchen. Nichts ist schlimmer, als wenn eine Lernsituation mit dem falschen Personal besetzt ist! Und dass man mit dem Tango Geld verdienen kann, ist nicht in Stein gemeißelt.
Dennoch glaube ich, dass sich auf einer solchen Grundlage sogar stabilere Lehr- und Lernverhältnisse entwickeln könnten. Vielleicht eher in Privatstunden, in denen der Maestro sich sensationeller Weise entschließt, mal höchstderoselbst mit einem Schüler oder einer Schülerin zu tanzen. Ich weiß, das klingt im heutigen Tango nach völliger Utopie – wie viele tolle Ideen, bevor sie Allgemeingut wurden…
Aber, wie gesagt: Man muss sich selber überlegen, was einem im Tango wichtig ist – um dann eventuell herauszufinden, dass es Quatsch war. Auch solche Resultate würden uns weiter bringen als die Dauerberegnung mit irgendwelchen Tangolehrer-Weisheiten, die man vielleicht gar nicht bestellt hat!
Daher: Werden Sie aktiv – der Tango wartet darauf!
P.S. Übrigens gilt sowohl in der Kirche als auch für Tangomusik: Je schlechter der Text, desto mehr Musik muss man drüberlegen. Für Politikerreden und Tangounterricht steht diese Erkenntnis aber noch aus!
P.P.S. Darf man eigentlich noch Tangounterricht ohne Smartphone nehmen? Man kann die Schritte ja sonst gar nicht eins zu eins kopieren...
https://www.youtube.com/watch?v=X8kIjD3FwuA
Abschließend mein herzlicher Dank an meine Tangofreundin Manuela Bößel für die Anregung nicht nur zu diesem Thema!
Wenn ich das so lese, fällt mir wieder ein, wie wir Studenten uns damals an der Uni in freien Übungsgruppen gegenseitig Tensormathematik, Laserphysik und Quantenmechanik beigebracht haben...Gerhard hat völlig recht, warum sollte lehrerloser Wissenserwerb nicht auch im Tango funktionieren?
AntwortenLöschenBeste Grüße
Yokoito
Der von mir vorgeschlagene Weg des Erwerbs von tänzerischen Fähigkeiten (nicht "Wissen") ist nicht "lehrerlos". Alle können ihre Fähigkeiten einbringen, so dass eine Gruppendynamik entsteht.
LöschenBei allem Respekt, das ist bestenfalls romantischer, nun ja, Bullshit.
LöschenBeste Grüße
Yokoito
Aha, "Bullshit"...
LöschenDann war das dein letzter Kommentar auf meinem Blog.
Deine fehlende Kinderstube kannst du künftig woanders austoben.