In Inglisch?

Wie wird übersetzt? Nicht sehr schön. Es ist das ja eine schwere Sache, das ist wahr, und man kann sehr darüber streiten, wie eine ideale Übersetzung eigentlich aussehen soll. Soll die fremde Sprache hindurchschimmern? Soll der Sprachenkundige noch durch den Teig der Übersetzung, womit sie farciert ist, hindurchschmecken? Soll er Redewendungen anklingen hören? Den fremden Pulsschlag noch leise fühlen? Das ist die eine Möglichkeit, Oder soll sich die Übersetzung glatt lesen, so dass es ein Lob bedeuten soll, wenn einer sagt: »Man merkt gar nicht, dass das hier übersetzt ist.« Das ist die andere Möglichkeit. Eines aber kann man verlangen: dass der Übersetzer beider Sprachen mächtig ist. Nicht immer ist ers. … Schon Christian Morgenstern merkte … an, dass der deutsche Übersetzer holprig und fremd daherstelzt. … Man muss eben nicht nur ein Lexikon, man muss auch Fingerspitzen haben. Die meisten haben nicht einmal ein Lexikon.“ (Kurt Tucholsky: „Übersetzer“ – Vossische Zeitung, 4.3.2927)

https://www.aphorismen.de/suche?f_thema=Sprache&f_autor=4254_Kurt+Tucholsky

In letzter Zeit beobachte ich gehäuft das Phänomen, dass treudeutsche Blogger-Kollegen versuchen, in ihren Texten auf Englisch zu parlieren. Schon vor Jahren damit begonnen hat die Kollegin Melina Sedó. Na gut, die ist ja auch mit ihren Lehrveranstaltungen international unterwegs. Da mag das einen gewissen Sinn machen. Auf andere, die ebenfalls mit britischer Zunge auftreten, dürfte dies jedoch kaum zutreffen.

Aktuelle Beispiele liefert der Blogger Yokoito alias Wolfgang Balzer, von dem entsprechende Aktivitäten in der Tangoszene nicht bekannt sind:

In seinem neuesten Beitrag The good old AI discussions“ widmet er sich der Frage, ob die KI die Rolle lebender DJs im Tango ersetzen könne. Wahrscheinlich – so seine kühne Vermutung – sei es nur eine Frage der Zeit, bis KI-generierte Tangoorchester in Erscheinung träten. Und zumindest könnte die Künstliche Intelligenz durchaus bei der Zusammenstellung von Tandas behilflich sein.

Ich fürchte, da könnte er sogar Recht haben: Bereits heute rühren die meisten DJs im Fundus der üblichen knapp vierstellig vorhandenen Hits aus der EdO herum. Das könnte eine gut eingestellte KI wohl leisten. Schon bisher hatte ich auf vielen Milongas den Eindruck, am musikerzeugenden Laptop säße ein Roboter

Daher kann ich dem Kollegen nur zustimmen, wenn er (von mir übersetzt) schreibt:

„Es wäre für die gesamte Tangowelt von Vorteil, wenn jede Milonga den Tänzern das bestmögliche musikalische und damit emotionale Erlebnis bieten würde. Es würde die Tänzer in der Gemeinschaft halten, sie würden ihre Freude ausstrahlen und so dazu beitragen, neue Tänzer anzuziehen – kurz gesagt, je besser die Milongas, desto mehr Nutzen für die gesamte Tango-Ökosphäre.“

Quelle: https://tangoblogblog.wordpress.com/2025/07/01/the-good-old-ai-discussions/

Das bestmögliche musikalische Erlebnis? Leider ist die Künstliche Intelligenz darauf angewiesen, was tatsächlich bei den Tanzveranstaltungen aufgelegt wird und eventuell ins Internet gelangt. Das heißt, sie wird weiterhin das tangomusikalische Schaffen nach 1960 ignorieren. Und Komponisten wie Piazzolla sowieso. Der Roboter ist halt nicht gescheiter als dessen Programmierer.

Solchen Fragen widmet sich der Autor natürlich nicht. Stattdessen dürfen wir uns durch etwa 1100 Wörter Englisch (möglicherweise aus der Übersetzungsmaschine) kämpfen. Besonders lustig wird es dann, wenn germanische Kommentatoren sich ebenfalls bemühen, ihre Gedanken „in Inglisch“ zu formulieren. Wahrlich Kabarett vom Feinsten!

Früher sprach der Gebildete Latein, auf dass ihn der Plebs nicht verstehe. Später das modische Französisch. Heute ist das eher schmucklose Englisch dran. Im Tango gespickt mit (oft falsch geschriebenem) spanischem Ocho-Latein.  

Nach über 11 Jahren Bloggen – ausschließlich auf Deutsch – kann ich aber versichern: Es ist schwer genug, sich in der Tangoszene eine gewisse Aufmerksamkeit zu erschreiben. Tango-Freaks sind keine passionierten Leser. Vielleicht erreiche ich nach all den Jahren fünf oder wenige Prozent mehr in diesem Bereich. Garantieren kann ich aber: Hätte ich auf Englisch geschrieben, würde die Aufmerksamkeit für mein Blog weiterhin gegen Null tendieren!

Wie ich an den Kommentaren sehe, die mich erreichen (bislang immerhin über 5400), werden Texte in der Tangoszene nur höchst oberflächlich konsumiert. Weitgehend sucht man nach einigen Gags und knackigen Sprüchen. Dient sowohl dem Lachen als auch der Empörung. Kommt einem dann noch eine Fremdsprache in die Quere, lässt man es lieber. Selbst wenn das Schulenglisch dafür noch knapp ausreichen würde. Oder man das Ganze in ein Übersetzungsprogramm klopfen könnte. Aber diese Mühe macht sich kaum jemand.

Zudem – und das bereitet einem Satiriker besondere Probleme – sind Wortspiele und andere verbale Pointen und Andeutungen kaum übersetzbar. Man müsste solche Texte sozusagen „neu erfinden“! Doch wer macht das… selbst, wenn er es könnte?

Als Kurt Tucholsky, von den Nazis ausgebürgert, nach Schweden emigrieren musste, sah er das als Ende seiner Autoren-Laufbahn. Es fehlte ihm sein wichtigstes Werkzeug: die Muttersprache.

„Mein Leben ist mir zu kostbar, mich unter einen Apfelbaum zu stellen und ihn zu bitten, Birnen zu produzieren.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Tucholsky

Deutsche Tangoblogger sind da optimistischer!

P.S. Und als kleine Übersetzungshilfe:

https://www.youtube.com/watch?v=eD0x_4_8ej0

Kommentare

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.