Was macht eine gute Milonga aus?
„Um eine gute Stegreifrede zu halten, brauche ich zwei Tage Vorbereitungszeit“ (Mark Twain)
Über den neuen Podcast „Tangorilla“ habe ich letztes Jahr schon berichtet:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2024/03/tangorilla-ein-neuer-podcast.html
Während die ersten Folgen nur einige Minuten dauerten, hat Christian Marbach nach einer längeren Pause nun eine fast dreiviertelstündige Folge herausgebracht – als Start eines neuen Formats: Er will hinfort mit Gästen reden. Ich fürchte, das muss die Qualität nicht unbedingt steigern. Die Dauer schon.
Sicherlich, das muss man zugeben, geht es um ein Thema, über das man lange diskutieren kann: „Was eine gute Milonga ausmacht“.
Da mein Interesse geweckt war, habe ich die lange Zeit zum Zuhören aufgebracht.
Der Podcaster hat sich also diesmal eine Gesprächspartnerin mitgebracht: Britta Schenck.
Ein wenig stoffelig wirkt es, dass er dem Publikum die Dame nicht vorstellt – und erst recht nicht darüber informiert, welche genauere Beziehung sie zu unserem Tanz hat. Wie gewohnt: Frauen gehören halt zum Tango, ohne dass man viele Worte darüber verlieren muss!
Immerhin, so erfahren wir eingangs von ihr, bevorzuge sie Milongas, die „weniger snobby“ seien. Dort gehe es mehr ums Tanzen und nicht darum, zu sehen und gesehen zu werden. Schon mal ein vernünftiger Ansatz!
Ihre erste Milonga hat Britta nach einer Workshop-Stunde erlebt – sie war total „geflasht“, was die Paare da alles konnten – und bei ihr entstand das Gefühl: „Das lernst du nie“. So leicht kann man sich täuschen!
Für sie ist es wichtig, dass Milongas ein „safe space“ seien, was schon für den Weg durch die Nacht gelte. Und auf den Veranstaltungen ist ihr eine Kultur wichtig, die sie vor „unerwünschten Zugriffen“ schütze. Damit meint sie Tangueros, die sich nicht an den Cabeceo hielten und sie quasi „nötigten“, mit ihnen zu tanzen. Na gut – aktuelle Tango-Ideologie.
Ihr Gesprächspartner erzählt von einem Milongabesuch mit einer Anfängerin, welche die Aufmerksamkeit „älterer Platzhirsche, die ihre Zeit schon hinter sich hatten, aber mit ‘nem riesigen Geweih“ erregten und sie „aggressiv aufforderten“. Hier hätten die Veranstalter die Pflicht, einmal einzugreifen. Zu deren Vertreibung, so meine ich, könnte aber auch eine Runde Piazzolla beitragen!
Britta Schenck beschreibt auch die „furchtbare Unsitte“, die Tänzerin auf dem Parkett zu belehren. Auf Grund welchen Wissens erklärt sie nicht.
Christian Marbach spricht einen Punkt an, den ich beim heutigen Tango für typisch halte: Man gehe schließlich nicht nur zum Tanzen auf eine Milonga. Die Stimmung müsse „offen und positiv“ sein. Der soziale Austausch, so auch seine Gesprächspartnerin, sei „total wichtig“. Manchmal aber säßen die einzelnen Tango-Cliquen an getrennten Tischen. Die Männer, so findet sie, täten sich leichter, auf andere zuzugehen. Ihr Gesprächspartner bestätigt das: Als Führender habe man es meist einfacher, an Tänze zu kommen. Gründe hierfür nennt er nicht.
In der Folge werden einige Aspekte durchgearbeitet:
Eine gute Belüftung, gerade im Sommer, sei wichtig. Klar, körperliche Ausdünstungen sind meist nicht prickelnd. Besser eine Freiluft-Milonga!
Marbach legt auch Wert auf viel Platz auf dem Parkett und ausreichend Sitzgelegenheiten – und Toiletten, die halbwegs akzeptabel seien und nicht direkt an die Tanzfläche grenzten. Und die Gastronomie sollte in einem separaten Bereich betrieben werden.
Tatsächlich wird auch kurz die Musik erwähnt, wobei die beiden eher auf einen Mix aus klassischen und modernen Stücken stehen. Die Auswahl müsse einem halt „gefallen“ – was das konkret bedeutet, wird auch auf Nachfrage nicht erklärt. Marbach interessieren die Texte der Lieder erklärtermaßen nicht. Ihm fehle der „musikalisch-intellektuelle Zugang“.
Dresscode? „Alltagsklamotten“ sollten es nicht sein, man schätze schon ein gewisses „Flair“. Tango sei halt etwas Besonderes – mit „Anspruch“ verbunden. Worin der bestehen soll, habe ich nicht verstanden. Der Tanz kann es wohl nicht sein…
Beleuchtung? Eher etwas romantisch und leicht schummrig empfindet Britta Schenck als schön, um „mehr ins Fühlen zu kommen“.
Alkohol? Höchstens in Maßen, um vielleicht lockerer zu werden. Aber eine kleine, feine Gastronomie ermögliche es ja auch, Leute kennenzulernen.
Bei „Kaffee und Kuchen“ gehen die Meinungen auseinander – man darf raten, wer von beiden eher dazu tendiert… Auch die Alternative „Rotwein" wird öfters erwähnt.
Das Ganze, so die Sprecherin abschließend, stehe und falle mit den anderen Paaren, wenn der „ganze Raum" anfange, miteinander zu tanzen. Die „richtigen Leute“ seien jedenfalls wichtiger als irgendwelche anderen Bedingungen. Und man sollte auch Anfängerinnen und Anfängern das Gefühl zu geben, gleichrangig und willkommen zu sein. Diesen Gedanken kann ich nur unterstützen!
Ich finde die Kriterien, die ich auch von anderen Wortmeldungen her kenne, interessant – vermute aber, dass die beiden wohl nicht früher als 2010 mit dem Tango begonnen haben. Warum? Weil viele ihrer Maßstäbe schon sehr am Konsum orientiert sind: Man möchte halt beim Tango einen gewissen Level geboten bekommen – seien es räumliche Ausstattung, Gastronomie oder andere Bequemlichkeiten. Und die Tanzpartner müssen gewisse Kriterien erfüllen, sonst lässt Frau es lieber. Schließlich erstrecke sich das soziale Miteinander nicht nur auf das Parkett – man möchte meinen, dieses sei höchstens zweitrangig. Gesucht wird ein bestimmter sozialer Erlebniswert, den man unter dem Label „Tango“ erwirbt oder besser: einkauft.
Gerade habe ich entdeckt, dass ein Veranstalter für seine Milonga mit Toilettenpapier wirbt, auf dem rosa Flamingos zu sehen sind:
Mit welchem Scheiß kann man sein Publikum eigentlich noch anlocken? Es lebe der Tango-Konsum!
Tempi passati: Wir tanzten früher auf der Suche nach einem Abenteuer. Heute stehen Service und Risikovermeidung hoch im Kurs.
Selber etwas organisieren steht nicht zur Diskussion. Man fühlt sich als Kunde, welcher ein hochwertiges Angebot erwartet.
Die „Tanzverrückten“, denen eigentlich alles andere relativ unwichtig war, gehören einer aussterbenden Spezies an. Diesen Effekt findet man aber bei vielen Beschäftigungen, wenn sie populär werden.
So plaudert man halt dahin…
Ich würde es begrüßen, wenn man sich bei Podcasts mehr Mühe mit einer nachvollziehbaren Strukturierung gäbe, jenseits des – nennen wir es nach der Herkunft des Autors: Klönschnacks. Stattdessen präzise Fragen zu stellen, auf deren Beantwortung man neugierig ist. Und wenn das nicht gelingen sollte: sich wenigstens kürzer zu fassen.
Und um auch mit einem Mark Twain-Zitat zu enden:
„Das menschliche Gehirn ist eine großartige Sache. Es funktioniert bis zu dem Zeitpunkt, wo du aufstehst, um eine Rede zu halten“
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Illustration: www.tangofish.de |
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