Was Gewaltopfer tun und lassen sollten

 

Der Text von Christine Garbe hat nun auf ihrer Facebook-Seite zu heftigen Kontroversen geführt. Ob das der Sache guttut, bezweifle ich.

In meinem privaten Umfeld gab es interessante Gespräche darüber, bei denen mir der eine oder andere Einfall kam. Schließlich erhielt ich die Aufforderung: „Schreib das mal auf!“ Was ich hiermit tue:

Zu dem Thema gibt es eine Reihe von sehr guten Video-Dokumentationen, welche sich weitgehend auf die Verhältnisse in unserem Land beziehen. Auch privat hatte ich gelegentlich Einblicke in solche Geschichten.

Der Leidensweg von Beziehungs-Gewaltopfern (zu 85 Prozent sind es Frauen) kann einen richtig wütend machen:

Zunächst erdulden Sie manchmal jahrelang die schlechte Behandlung, weil sie den Partner ja einst geliebt haben (manche halten daran erstaunlich lange fest) oder aus Rücksicht auf Kinder, die sie keiner zerbrochenen Partnerschaft aussetzen wollen.

Weiterhin wird ihnen im privaten Umfeld oft nicht geglaubt, da Narzissten darin geübt sind, die Sau nur unter vier Augen rauszulassen, sich in Gesellschaft jedoch als verständnisvolle Menschen zu inszenieren, welche sich über die seelische Zerrissenheit der Partnerin sorgen („Gaslighting“). Schlimmer noch: Die Opfer meinen öfters, an den Eskalationen selber schuld zu sein. Auf jeden Fall suchen sie sich kaum Hilfe – schon gar nicht bei Polizei und Justiz.

Das geht dann oft genug so lange, bis sie schwerste Verletzungen erleiden, nicht selten sogar ihr Zögern mit dem eigenen Tod bezahlen (in Deutschland fast alle drei Tage).

Sollten sie mit dem Leben davonkommen, beginnt der zweite Teil des Leidenswegs: Nicht immer geraten sie bei Ärzten oder der Polizei an verständnisvolles Personal, es wird langsam und schlampig ermittelt, die Staatsanwaltschaft lässt sich Zeit. Sicherlich gibt es im Gewaltschutzrecht inzwischen Verbesserungen: So kann der Täter (je nach Länder-Polizeigesetzen) für 10 Tage der Wohnung verwiesen werden, deren Nutzung in schweren Fällen sogar länger untersagt sein. Aber in der Justiz mahlen die Mühlen häufig quälend langsam. Landet der Gewalttäter schließlich doch vor Gericht, bedeutet die nötige Zeugenaussage für die Geschädigte oft eine Retraumatisierung, da sie mit dem Täter Aug in Auge sitzen und die ganze Geschichte wieder hochkommt. Dabei wäre auch eine Video-Vernehmung prinzipiell möglich.

Im Urteil wird dann nicht selten eine lächerlich niedrige Strafe verhängt, der Schädiger bleibt auf freiem Fuß – und das Opfer muss weiter um seine Sicherheit fürchten.

Ich habe viel Verständnis für das lange Zögern misshandelter Opfer – nur nützt das genau nichts. Viele Täter handeln alles andere als „impulsiv“. Vielmehr testen sie lange Zeit Grenzen aus, indem sie probieren, was sich die Partnerin noch alles gefallen lässt. Männer denken gerne in Machtstrukturen:

Nach einer überschwänglichen Kennenlernphase, in der die Frau in den siebten Himmel gehoben wird, landet sie nach einiger Zeit in immer größeren Zwängen: Der Mann überwacht ihr Leben, schränkt ihre Freiheiten zunehmend ein, unterbindet soziale Kontakte. Es folgen Beschimpfungen und Drohungen, Zerstörung von Dingen, die für sie einen Wert darstellen – und einiges Tages setzt es die erste Ohrfeige.

Spätestens dann sollte jeder Frau klar sein: Er wird das immer wieder tun – mit steigender Intensität! Auch wenn er hinterher schwört, es zu lassen, angeblich gar nicht versteht, warum er sich zu solchen Taten hinreißen ließ. Gerne wird auch verkündet: „Du hast mich dazu gebracht“.

Das ist natürlich Nonsens: Für solche Gewalt gibt es nie eine Rechtfertigung!

Daher rate ich, spätestens dann aktiv zu werden. Viele Opfer beschreiten aber einen gefährlichen Weg, indem sie ihn allein gehen. Sie stehen dann einem riesigen Apparat gegenüber, dessen Mechanismen ihnen nicht vertraut sind: Polizei, Staatsanwaltschaft, Gutachter, Gericht und natürlich der Verteidiger des Angeklagten. Und Sie können sich darauf verlassen: Dieser ist natürlich völlig unschuldig!

Daher rate ich allen: Nehmen Sie den Kampf auf keinen Fall alleine auf! Suchen Sie sich Verbündete, die etwas von der Sache verstehen und daher wissen, in welcher Situation Sie sich befinden! Ich habe gestern nach fünfminütiger Suche etliche Adressen gefunden (mit Stichworten wie „Opferschutz“), welche ich am Schluss des Artikels verlinke. Es gibt eine Menge von Beratungsstellen und Opferschutz-Organisationen (z.B. Weißer Ring).

Selbst wenn Sie noch keinen Strafantrag stellen wollen, könnten Sie im Vorfeld einiges in die Wege leiten: Sichern Sie, wenn möglich, Zeugenaussagen, speichern Sie Fotos, Handynachrichten oder Telefonate! Schreiben Sie den jeweiligen Hergang genau auf! Lassen Sie Verletzungen von einem Arzt dokumentieren! In allen rechtsmedizinischen Instituten gibt es Opferambulanzen, wo Fachärzte Misshandlungsspuren sichern, begutachten und speichern. Dabei gilt der Datenschutz: Solche Informationen werden nur mit Ihrer Zustimmung weitergegeben!

Ganz wichtig: Lassen Sie sich von einem darauf spezialisierten Rechtsanwalt (besser noch: Anwältin) vertreten! Die Beratungsstellen verfügen über die Adressen einschlägig tätiger Kollegen. Über die Kosten sollten Sie sich zunächst keine Sorgen machen: Erstberatungen sind nicht teuer (manchmal sogar gratis), eventuell haben Sie eine Rechtsschutzversicherung oder können Prozesskostenhilfe beantragen. Und wenn der Täter verurteilt wird, muss er auch die Kosten der Nebenklage tragen.

Glauben Sie mir: Wenn Sie in Begleitung Ihrer Anwältin bei der Polizei erscheinen, wird manches etwas anders verlaufen, als wenn Sie allein auftreten! Man kennt sich ja untereinander. Ihr Rechtsbeistand kann auch Akteneinsicht beantragen und bei der Staatsanwaltschaft Dampf machen.

Vor allem aber können Sie bei der Gerichtsverhandlung – mit Ihrer Prozessvertreterin – als Nebenklägerin auftreten. Somit haben Sie die gleichen prozessualen Rechte wie Staatsanwalt oder Verteidiger: Ihre Anwältin kann Zeugen und Angeklagten befragen, Beweisanträge stellen, ein Plädoyer halten und auch in Berufung oder Revision gehen. Das verbessert Ihre Stellung weit mehr, als wenn sie nur als arme Zeugin rumsitzen und vom Verteidiger runtergeputzt werden.

Auch zivilrechtlich haben Sie einige Optionen, beginnend von Kontaktverboten bis hin zu Schadenersatz und Schmerzensgeld. Und auch Ihre Krankenkasse wird sich sehr dafür interessieren, wen sie für die Behandlungskosten in Regress nehmen kann.

Bedenken Sie: 25 Prozent der Frauen in Deutschland haben hierzulande mehr oder weniger schlimme Gewalterfahrungen gemacht. Es ist also keine Schande, dass Ihnen so etwas passiert. Vor allem aber: Sie sind nicht daran schuld, dass man Sie beleidigt, bedroht, misshandelt oder vergewaltigt. Niemals!

Wahrscheinlich wird ein solcher Beitrag auf dem Tangoblog wenig gelesen werden. Scheint bei unserem Tanz nicht relevant zu sein… Falls ihn aber auch nur eine betroffene Frau mitbekommt und daraus für sich Konsequenzen zieht, bin ich mehr als zufrieden!

Und hier einige Kontaktadressen:

https://weisser-ring.de/haeuslichegewalt

https://bayern-gegen-gewalt.de/beratung-und-hilfe/hilfe-suche/?target-group=Keine%20Begrenzung&help-type=Fachberatungsstelle&search-focus=Alle%20Schwerpunkte

https://www.frauenhilfe-muenchen.de/beratungsstelle

https://www.polizei-beratung.de/infos-fuer-betroffene/haeusliche-gewalt/

https://www.rechtsmedizin.med.uni-muenchen.de/wissenschaft/klinische_rechtsmed/ambul_gewaltopfer/index.html

https://www.youtube.com/watch?v=so3mZU74iJQ

Kommentare

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