Nuhr in der Springer-Presse

 

Bekanntlich bin ich ein großer Kabarett-Fan, seit ich mit zirka zehn Jahren Dieter Hildebrandt und die „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ im Fernsehen sah. Die Art, wie der leider 2013 verstorbene Künstler seine Pointen setzte, hat mich in früher Jugend geprägt wie ein Graugans-Junges.

Daher tun sich auch weniger gute Kabarettisten schwer damit, meinen Unwillen zu erregen. Sie schützt zuverlässig ein Genre, dem ich mich verbunden fühle. „Ohne den Hildebrandt wäre alles noch schlimmer“ – so zitierte Kollege Georg Schramm einmal seine eigenen Eltern. Ich glaube, das gilt für die gesamte Branche.

Der bayerische Kabarettist Christian Springer hat es nun geschafft, für mich zur Ausnahme von der Regel zu werden, seit ich per Zufall ein Video von ihm entdeckte. Es betitelt sich „Christian, was hältst du von Dieter Nuhr?“

Das werde er häufig gefragt, und daher gibt Springer nun eine kurze Antwort: Er stehe „gar nicht“ zu dem Düsseldorfer Kollegen – es gebe nur ein Problem: Der gelte als Intellektueller und präsentiere sich auch oft so. Und das sei „ein fatales Missverständnis“. Kabarettisten hätten häufig einen bildungsmäßig eher bescheidenen Hintergrund – er selber beispielsweise könne nur ein abgebrochenes Studium vorweisen. Sie seien „Unterhalter“, keine Intellektuellen.

Daher sei es unverständlich, wieso Nuhr in namhaften Zeitungen Zwei Seiten-Artikel über politische Themen schreibe. Er habe „keine Ahnung davon“, werde aber ernstgenommen. Problematisch sei aber, dass er in seinen Programmen immer wieder Lügen verbreite.

Das erkläre zwar, warum der kein Lehrer mehr sei – aber warum er immer noch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auftreten dürfe: Da müsse man andere fragen.

Hier das recht kurze Video:

https://www.youtube.com/watch?v=zoL-KWz_28U

Fassen wir also zusammen: Dieter Nuhr hat von Politik keine Ahnung und verbreitet Lügen, daher soll er nicht ins Fernsehen. Da bleibt mir tatsächlich die Luft weg!

Zum Hintergrund: Der Angegriffene hat tatsächlich bildende Kunst und Geschichte für das Lehramt studiert und das Erste Staatsexamen abgelegt, bevor er das Kabarett zu seinem Beruf machte. Als gelernter Historiker ist er also nicht ganz uninformiert über Politik. Dass er sich als „Intellektueller“ bezeichnet hat oder diesen Anspruch erhebt, ist mir neu. Im Gegenteil funktionieren viele seiner Gags, weil er als „Normalbürger“ staunend vor ideologischen Gebäuden steht und sie nicht kapiert.

Ebenso falsch ist es, dass er lügt, also wissentlich die Unwahrheit verbreitet. Nach meiner Erinnerung gab es zweimal missverständliche Aussagen von ihm, die er nach riesigen Shitstorms korrigierte und erklärte. Springer hütet sich natürlich, hier konkreter zu werden.

Ziemlich neu in der Kabarett-Geschichte dürfte es sein, dass Dieter Nuhr von seinen Kollegen angegriffen und zum Satire-Objekt gemacht wird: 2020 unternahm das bereits das ZDF-Format „Die Anstalt“, und heuer Jan Böhmermann.

https://www.youtube.com/watch?v=oL_D4oI6UuI

https://www.youtube.com/watch?v=pu1OXj70JJU

Dass Kollege Springer Nuhr ganz ernsthaft abkanzelt, hat jedoch eine neue Qualität. Ebenso der unverhohlene Aufruf, ihn aus den Medien zu verbannen.

Die Argumentation erinnert mich an meine Bonsai-Tangowelt: Man behauptet etwas über den Gegner, das frei erfunden ist, um es dann heftig zu bekämpfen. So zum Beispiel, dass ich falsch zitiere oder behaupte, ein „Tangoexperte“ zu sein. Da beides nicht stimmt, kann man es trefflich attackieren bzw. widerlegen. Aus dem Fernsehen verbannen kann man mich allerdings nicht. So beschränkt man sich darauf, von der Lektüre abzuraten und mich zu ignorieren.

Auch das hat etwas von „Springer-Presse“.

Nun gut – das besprochene Video ist zwei Jahre alt, und Dieter Nuhr tritt immer noch im Fernsehen auf und veranstaltet sehr gut besuchte Tourneen. In einem interessanten Gespräch meint der Kabarettist, er selber dürfe wegen seiner Stellung natürlich alles sagen. Für junge Kollegen aber sei die Situation heute schwierig. Die erkundigten sich schon vorab nach dem Charakter einer Show, um ihre Pointen darauf abzustellen. Humor sei aber etwas Anarchisches, das über Grenzen gehen müsse, damit es lustig sei. Wäre das nicht mehr möglich, lebe man in einer spaßfreien Gesellschaft.        

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=4gVtsjUfuB8 (ab 23:25)

Dass Kabarettisten nun andere namentlich niedermachen, ist eine neue Erscheinung. Dieter Nuhr hat das nie getan. Die Versuche, seine Shows zu persiflieren, hat er nach eigenem Bekunden nicht angeschaut. Der Grund: „nicht relevant“. Ich meine, da hat er recht.

Ich hatte vor einiger Zeit eine interessante Diskussion mit einem Besucher. Als das Gespräch auf den Düsseldorfer Kabarettisten kam, meinte der, früher habe ihm der Nuhr schon gefallen – was er aber neuerdings behaupte, möge er nicht mehr. Ich versuchte ihm zu erklären, dass ich solche Künstler nicht in erster Linie nach dem Inhalt der vertretenen Ansichten beurteile, sondern nach der Art ihrer Bühnenfigur, dem Geschick, Geschichten bis zur Pointe aufzubauen, nach der Ambivalenz des Gesagten.

Ich fürchte, er hat mich nicht verstanden.

Wieso sollte ich es dann von Tangomenschen erwarten?

P.S. Wer Christian Springer nicht kennen sollte:

https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Springer_(Kabarettist)

Kommentare

  1. Christian Springer ist sehr ideologisch, ähnlich wie Helmut Schleich in letzter Zeit. Wenn er anfängt, politisch zu werden, schalte ich immer ab (z.B. im "Schlachthof"). Seine Kabarett-Kollegen aus Bayern dagegen sind fast immer unpolitisch und deshalb auch immer lustig, denn ich muss mich nie ärgern über eine etwaige politische Missionstätigkeit. Deswegen kann ich fast immer lachen über Michael Altinger, Günter Grünwald, Martin Frank, Claudia Pichler und die Couplet-AG.

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    1. Für mich darf Kabarett gerne politisch sein - auch wenn dann nicht alles meiner Meinung entspricht. Nur wenn es verbohrt und engstirnig wird, kann ich mich nicht mehr amüsieren.

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