Ten Years After

Als ich am 26.10.2013 den ersten Artikel meines Tangoblogs veröffentlichte, hatte ich kaum Ahnung, wozu das führen würde. Ich suchte nach einem Medium, mit dem ich auf aktuelle Veränderungen rascher reagieren konnte als durch ein Buch, bei dem bestenfalls alle ein, zwei Jahre eine Neuauflage möglich war.

Debatten um meinen „Milonga-Führer“ hatte es ja seit dessen ersten Erscheinen 2010 wahrhaft genug gegeben – 2013 hatte ich darauf mit einer völligen Neubearbeitung regiert. Doch schon nach kurzer Zeit erschienen mir manche Passagen als überholungsbedürftig.

Dann also ein Blog – eine nähere Ahnung von diesem Medium hatte ich nicht. Und ohne die tatkräftige Hilfe meiner Illustratorin Manuela Bößel wäre ich schon mit der technischen Seite überfordert gewesen.

Der Titel „Gerhards Tango-Report“ war bewusst altmodisch gewählt. Mir schwebten damals kritische politische Magazine wie „Report“ oder „Panorama“ vor, die mich in jungen Jahren beeindruckten. Diesen Stil wollte ich auf den Tango übertragen.

Was mich zu dieser Zeit vor allem beschäftigte, war die Frage, ob mir jede Woche ein neuer Text einfallen würde – heute kommen pro Monat um die 20 weitere Artikel dazu. Und sicher hätte ich mir nicht träumen lassen, dass es nun insgesamt an die 1700 Posts und über 4300 Kommentare gibt – und die Statistik über 1,3 Millionen Zugriffe meldet. An die 500 Mal täglich landen Leser auf meiner Seite – und ein Artikel führt im Schnitt zu über 800 Klicks.

Ich habe in den Jahren viele Tangoblogs entstehen und sterben sehen – wer erinnert sich heute zum Beispiel noch an die Seiten von „Heikvaldo“ oder „Yokoito“? Einige haben mehrere Jahre durchgehalten – wie auch Thomas Kröter oder die „Berlin Tango Vibes“, andere – wie das zunächst hochgelobte Blog von Klaus Wendel – verpufften bereits an der Startrampe. Und die „Tangoplauderei“, einst der absolute Meinungsführer, liefert heute nur noch Schweigen.

Derzeit versucht es Helge Schütt mit einem Tangoblog, und Jochen Lüders schreibt weiterhin unverdrossen – ob es ohne die Themen ginge, die ich ihm ständig liefere, bleibt fraglich.

Warum habe ich es zehn Jahre durchgehalten? Sicher nicht, weil meine Seite den „Tango-Mainstream“ bedient – da fühle ich mich völlig unschuldig! Ich glaube, es liegt an Eigenschaften, die mir wohl mein Vater vererbt hat: Fleiß und Hartnäckigkeit. Er kämpfte auf einem viel ernsteren Feld: Nach fünf Jahren russischer Kriegsgefangenschaft legten ihm Behörden und Arbeitgeber immer wieder Steine in den Weg, um die Anerkennung seiner Krankheiten als Kriegsleiden zu verhindern. Jahrzehntelang musste er sich mit Versorgungsämtern, Ärzten und Personalchefs streiten – allein die Gerichtsverfahren füllten einige Aktenordner.

Er ist mir oft mit seinen „Feldzügen“ gewaltig auf den Geist gegangen – hat sich am Ende aber durchgesetzt und wurde 94 Jahre alt. Das muss man erstmal hinkriegen!

Daher empfehle ich jedem, der es mit dem Bloggen versuchen möchte: Man muss schon gehörig Energie einsetzen – und auch sehr schnell auf aktuelle Ereignisse reagieren. Und vor allem: seinem eigenen Kompass folgen. Immer wieder erhielt ich Ratschläge, wie und zu welchen Themen ich doch bitte schreiben möge. Ich denke über solche Ideen und Einwände gerne nach – halte mich dann aber stets an das eigene „Bauchgefühl“. Eine bessere Orientierung – so finde ich jedenfalls – gibt es nicht.

Die Grundidee von Buch und Blog war es, die allfälligen Verkrampfungen bei Tango zu lockern – und nach meinem Gefühl glückt dies vor allem durch Lachen. Daher suchte ich stets nach den komischen Seiten in unserem Tanz – und die treten in Hülle und Fülle auf. Also bemühte ich mich, etwas in den Tango einzuführen, was ihm offenbar bislang fremd war: Satire. Das hilft natürlich nur denjenigen, die mit diesem Begriff etwas anfangen können.

Ich glaube, das ist der Hauptgrund für die zahlreichen Attacken, die man immer wieder gegen mein Blog richtet. Diese stammen vor allem von Menschen, die Tango für eine todernste Sache halten. Ich fürchte, da ist eine Verständigung nur schwer möglich. Offenbar haben aber auch viele Leute gemerkt, dass es dem eigenen Tanzen guttut, wenn man es ohne Verbissenheit und zu viel Gehirnakrobatik probiert – und lieber über sich und andere schmunzelt. Tango ist ein Gesellschaftstanz und kein Spielfeld für ideologische Grabenkämpfe!

Schon früh musste ich lernen, dass es bei solchen Auseinandersetzungen wenig um die Sache, aber umso mehr um die Person geht. Egal, über welches Thema ich schrieb – sehr oft wurde mir attestiert, ich könne nicht tanzen oder habe keine Ahnung von Musik. Ebenfalls gerne eingesetzt werden dann charakterliche Analysen zum Autor. Die Namen der Kritiker enthält man mir häufig vor.

Schon vor zehn Jahren schrieb ich in die Titelzeile, mein Blog sei garantiert unanonym“. Bereits damals habe ich vor den Gefahren anonymer Hetze im Internet gewarnt. Leider hat man dieses Problem lange unterschätzt – nicht nur im Tango. Stattdessen pries man die „Freiheiten“ in den sozialen Medien. Inzwischen sind Hass und Bedrohungen allgegenwärtig und nur noch schwer einzudämmen.

Selber trete ich mit echtem Namen und Impressum auf, versuche aber nach Möglichkeit, meine Kritik auf die Sache und nicht gegen Personen zu richten. Wobei für mich aber der Grundsatz gilt: Wer etwas veröffentlicht, muss Kritik ertragen können. Diese sollte aber von Achtung der Menschenwürde zeugen.

Immer wieder bemühe ich mich, auch völlig „satirefreie“ Artikel zu schreiben – so gibt es zur Tangomusik, ihren Texten und Musikern an die 200 Beiträge. Und ich veröffentliche auch einiges, das mit Tango kaum etwas zu tun hat. Leider werden solche Publikationen eher wenig beachtet. Lieber schaut man auf konfrontative Beispiele, um anschließend zu beklagen, dass ich solche verfasse.

Ich bin vor 24 Jahren dem Tango verfallen, weil er mir – musikalisch und tänzerisch – eine unglaubliche Vielfalt bot. Mit der Zeit musste ich zur Kenntnis nehmen, wie man diese Freiheiten mittels oft unsinniger Regeln einschränkte. Dagegen habe ich immer wieder angeschrieben.

Daher ist mir natürlich klar, dass ich nicht für den heutigen „Mainstream“ werbe und daher viele nicht mit meinen Veröffentlichungen einverstanden sind. Die meisten von ihnen haben ja den Tango, wie er vor mehr als 20 Jahren war, nicht mehr kennengelernt  und zelebrieren lieber 80 Jahre alte Musik, Tanzstile und Gepflogenheiten. Ich hoffe aber immer noch, dass dies Anlass für einen fruchtbaren Diskurs sein könnte – und nicht die Gelegenheit, den anderen persönlich niederzumachen.

Immerhin spielen nun auf den Milongas auch modernere Ensembles von der Konserve und sogar live. Vor allem, wenn die nicht sehr von den alten Arrangements abweichen. Die beiden Weltstars des Tango aber, Gardel und Piazzolla, haben auf den Veranstaltungen weiterhin kaum Chancen.

Wenn ich meinem Blog heute einen neuen Titel geben müsste, würde der wohl lauten: „Tango geht auch anders“. Wohlgemerkt: auch! Weder plädiere ich für den „einen, wahren Tango“ noch glaube ich, stets recht zu haben. Beides überlasse ich gerne anderen.

„Zehn Jahre danach“ habe ich dennoch den Eindruck, nicht alles falsch gemacht zu haben. Mein Anspruch bleibt weiterhin, Dinge über den Tango zu publizieren, die man sonst nirgends lesen kann – und die daher auch weiterhin Interesse finden. Und ich darf schreiben, was und worüber ich will  weltweit ein nicht selbstverständliches Privileg, das mir große Freude bereitet.

Großen Dank schulde ich meiner Frau Karin, die nicht nur eine perfekte Lektorin ist, sondern auch eine ständige Ratgeberin, welche aber nie darauf besteht, dass ihre Anregungen auch befolgt werden. Und es gäbe das Blog nicht in dieser Form ohne Manuela Bößel, die mir nicht nur eine Vielzahl von Fotos und Illustrationen lieferte, sondern auch bei den zahlreichen „digitalen Katastrophen“ mein Seelenleben rettete.

Und natürlich danke ich meinen vielen Leserinnen und Lesern für ihr Interesse, ihre Ermutigung und viele, auch kritische, Kommentare. Bei jeder einzelnen Wortmeldung habe ich dazugelernt.

Neulich schrieb mir auf Facebook ein Leser:

„Danke für diesen mal wieder sehr spannenden Artikel. Die Vielfalt im Tango UND auch allgemein die Vielfalt im Denken und Meinen ist für mich immer wertvoll. Auch wenn es manchmal Punkte gibt, wo Deine Meinung und meine auseinander gehen, ist es erfrischend, Dich zu lesen.“

Herzlichen Dank, so war es gemeint – und so wird es weitergehen!

P.S. Hier ein Blick, den ich oft vor mir habe, wenn ich meine „bösen Gedanken“ formuliere. Vor dem Fenster meines Arbeitszimmers wächst ein Feuerdorn und eine Zaubernuss. Eine schöne Kombination, wie ich finde.

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