Wenn man’s schon nicht auf den Milongas spielt…

 

Durch einen Hinweis auf der Facebook-Seite „Tango München“ (Post vom 8.2.21) wurde ich auf eine Sendung auf SWR2 am 9.2.21 aufmerksam: „Der bittersüße Tango – Melancholie und Sinnlichkeit“ nennt Stefan Evertz sein einstündiges Feature in der Reihe „MusikGlobal“. 

Wie ich auf FB las, hat es der Münchner Tangoveranstalterin und DJane Theresa Faus nicht gefallen. Das steigerte mein Interesse, mir den Podcast anzuhören.

Worum geht es? Der Autor stellt diese Musik in einer ganzen Reihe von Hörbeispielen vor, welche die Tangoentwicklung seit ihren Anfängen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr gut beschreiben. Glücklicherweise kann man den Stücken meist in größeren Teilen lauschen.

Es beginnt mit der berühmten „Cumparsita“ (gespielt von Lalo Schifrin und seinem Orchester). Des legendären Bandoneonspielers Eduardo Arolas wird mit seinem Titel „La Cachila“ (eingespielt vom Sexteto Mayor) gedacht. Breiten Raum nimmt der Sänger und Komponist Carlos Gardel ein, der zunächst mit zwei Titeln vertreten ist: „Por una Cabeza“ (in der eigenen Version sowie der des „Tango Project“) sowie dem Klassiker „Volver“. Schön, dass man hierbei auch einmal eine deutsche Tangoübersetzung erhält!

Carlos Di Sarli ist mit der Hymne an seinen Geburtsort vertreten: „Bahía Blanca“, erfreulicherweise in der Version des Orchesters Florindo Sassone und nicht mit der in Tanzstunden zu Tode genudelten eigenen Version. Der Komponist und Pianist Mariano Mores wird mit seinem Klassiker „Uno“ vorgestellt.

Der Tango als Motiv für andere Musik-Genres wird mit Beispielen von Franz Lehár bis zu Tom Waits zitiert (wobei ich hier die genialen deutschen Tangoschlager der 1930-er und 40-er Jahre vermisste). Und natürlich darf die Libertango-Version von Grace Jones („I ́ve seen that face before“) nicht fehlen.

Erfreulich, dass die Sendung sich auch der (wenigen) Frauen im Tango annimmt: Nelly Omar singt den Vals-Evergreen „Desde el alma“ – und mit Paquita Bernardo wird eine der wenigen weiblichen Bandoneonisten beschrieben, die sogar mit dem berühmten Osvaldo Pugliese zusammenspielte. Sie starb, knapp 25-jährig, bereits 1925. Gardel singt eine ihrer Tangokompositionen: „La Enmascarada“.

Was mich besonders erfreute: Auch der oft ignorierte finnische Tango findet umfangreiche Besprechung und wird mit zwei Musikbeispielen illustriert, dem legendären „Satumaa“ von Unto Mononen, gesungen vom berühmten Reijo Taipale. Und schließlich, ganz aktuell, „Sininen Hetki“ (von Toivo Kärki), dargeboten vom deutschen Ensemble „Bändi“ – eine sehr ansprechende Aufnahme, wie ich finde. 

Der Elektrotango kommt mit dem sehr typischen Titel „Pide Piso“ der Band Bajofondo zur Geltung. Zum Ausklang der Sendung erklingt, als Hommage an den Tango nuevo, noch Piazzollas „Tanguedia.

Die bereits erwähnte Theresa Faus, die auf ihren Milongas ultra-orthodox auflegt, kritisierte die Sendung auf Facebook zunächst so:

Es ist schon eine Leistung, eine einstündige Sendung über den Tango - inklusive Tanz - zu produzieren, ohne Musik aus dem Repertoire einer Milonga zu spielen.“

Ihr Urteil revidierte sie dann teilweise:

„Korrektur (ich war erst nach 15 min eingestiegen): Am Anfang lief La cumparsita, später Bahía Blanca. Noch später Desde el alma mit Nelly Omar; dabei wurde der Name Pugliese erwähnt, fälschlicherweise als Autor, aber nichts von ihm gespielt.“

Sie wolle zwar keinen „EdO-Kanon einfordern“, jedoch:

„Aber was ist rausgekommen? Eine Aneinanderreihung von Stichworten, deren Bezug untereinander nicht oder sogar falsch dargestellt ist.“

Zugegeben, dem Autor Stefan Evertz sind hinsichtlich der Fakten einige Fehler unterlaufen. Den schlimmsten hat Theresa glücklicherweise nicht mitbekommen: La Cumparsita wurde nicht von Matos Rodriguez und Gerardo Hernán komponiert, sondern nur von einer Person: Gerardo Hernán Matos Rodríguez.

Die Vorstadt nennt man spanisch „Arrabal“ und nicht „Arrabial“, Heinrich Band war Musikalienhändler und nicht Musiklehrer, und „Desde el Alma“ hat Rosita Melo und nicht Osvaldo Pugliese komponiert. Und ja, eine Aufnahme von Pugliese wäre schön gewesen – aber die legt Theresa wohl auch nur selten auf…

Im Gegensatz zur Münchner Tangoexpertin halte ich schon einmal Stücke wie „La Cachila“, „Por una Cabeza“, „Uno“ oder „Volver“ durchaus für milongatypisch. Nicht mal viele ihrer konservativen DJ-Kollegen sind so vernagelt, diese Titel nicht gelegentlich aufzulegen (natürlich in möglichst braver Ausführung). 

Zu den verbindenden Texten: Da habe ich in den Medien schon weit Schlimmeres gehört oder gelesen. Journalisten sind halt Spezialisten fürs Allgemeine, da sollte man beim Fachwissen nicht allzu kleinlich sein. Aber insgesamt kommen die Moderationen mit vergleichsweise wenig Klischees aus (so in Richtung „Tanz der Leidenschaft“, sonst ein pressemäßiges Muss).

Eine musikalisch nette Pointe ist die Entdeckung, das Leitmotiv in Gardels Pferderennen-Tango finde sich bereits in Mozarts Rondo C-Dur für Violine (KV 373). Nichts Neues also unter der Sonne!

Sehr amüsiert habe ich mich auch über die Darstellung des Tango im Film, wo man mit viel Anstrengung erreicht, dass Schauspieler wie Arnold Schwarzenegger so wirken, als könnten sie Tango tanzen…

Ziemlich realistisch ist die Beschreibung der „Tangosucht“ und der Drei-Minuten-Beziehung im Tanz. Ebenfalls gute Schlaglichter wirft der Autor (in der Kürze der Zeit) auf die Tangogeschichte – und stellt zu Recht fest, unser Tanz sei in Buenos Aires heute bei Weitem nicht mehr so populär wie zu den „goldenen Zeiten“, sondern eher ein „Geschäftsmodell und Exportschlager“.

Besonders dankbar bin ich Stefan Evertz dafür, die Rolle der Frau im Tango angesprochen zu haben: Musikerinnen und Komponistinnen gab es früher fast keine – und auch heute wird das Tango-Geschäft von Männern dominiert.

Bei den zitierten O-Tönen sollte es Theresa Faus immerhin trösten, dass die Münchner Veranstalterin und Tangolehrerin Romina Cardozo ihre etwas angestaubten Ansichten vom Führen beschreiben darf – und der Tanzschulinhaber Oliver Fleidl so tun kann, als sei der Cabeceo Allgemeingut auf jeder Milonga. Das ist doch schon was!

Was mich immer wieder fuchtig macht, ist dieser von konservativer Seite behauptete Alleinvertretungsanspruch: „ohne Musik aus dem Repertoire einer Milonga“. Aha – welcher Milonga denn? Jeder? Auch der mit einem modernen oder zumindest gemischten Musikprogramm? Und klar, man erzählt, was „im Tango“ üblich sei – ohne darauf hinzuweisen, dass diese komischen Códigos eher typisch für eine bestimmte Szene sind!

Ich finde daher Sendungen wie die vorliegende heute extrem wichtig: Vor allem, um in der konservativen Szene gleichgeschalteten Anfängern einmal zu zeigen, was das Kulturgut Tango alles umfasst – und von dem sie bislang vielleicht keine Ahnung hatten. Wenn man’s schon nicht auf den üblichen Milongas spielt, bietet sich hier eine Gelegenheit. Und sie beweist: Tango wird in der ernsthaften Musikwelt nicht als das gesehen, was auf vielen Tanzveranstaltungen als tausendmal abgenudelte Playlist geboten wird!

Was mich positiv überrascht hat. Auf der FB-Seite „Tango München“ gibt es außer dem Genörgel der besagten DJane fast nur positive Reaktionen zur Sendung. Sollte dies ein Zeichen neuer Aufgeschlossenheit sein? Na ja, die derzeit 40 „Gefällt mir“-Geber können sich ja immer noch darauf hinausreden, das sei nur „Tango zum Anhören“. Dazu tanzen zu wollen würde natürlich an Häresie grenzen…

Deshalb werden wir das in Pörnbach demnächst mal versuchen! Piazzollas „Tanguediaist zwar ziemlich verzwickt, aber diese Anregung mögen wir ja gerade. Und ich bin sicher: Wir werden es hinbekommen. Sicher nicht perfekt, aber mit größtem Vergnügen!

https://www.youtube.com/watch?v=3VWfsea7tnw

Hier der Link zum Podcast:

https://www.swr.de/swr2/musik-jazz-und-pop/der-bittersuesse-tango-melancholie-und-sinnlichkeit-swr2-musikglobal-2021-02-09-100.html

Das Skript der Sendung:

https://www.swr.de/swr2/musik-jazz-und-pop/der-bittersuesse-tango-melancholie-und-sinnlichkeit-swr2-musikglobal-2021-02-09-104.pdf

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