Öffentlich, privat oder gar vertraulich?

 

In der bewussten Facebook-Tangogruppe schlägt die Debatte zu diesem Thema immer noch hohe Wellen. Insbesondere die pseudonyme Administratorin bricht Redundanz-Rekorde in der Beteuerung, man bestehe eben auf Vertraulichkeit als Wesenselement ihrer Seite. Warum man dort Pseudonyme verwenden darf und gewisse Leute weiterhin ungehindert herumholzen können – diese Themen meidet sie weiterhin. Na gut, wenn sie meint, das sei überzeugend…

Ich habe mir einmal überlegt, wie ich es selber mit der „Privatheit“ im Internet halte:

Sie ist für mich eine Chimäre. Wenn ich dort etwas poste – in welcher Gruppe, auf welcher Seite auch immer – muss ich damit rechnen, dass es noch nach Jahren zu finden ist. Selbst wenn ich es lösche. Vielleicht hat es längst jemand kopiert und woanders veröffentlicht. Auch wenn es rechtlich verboten ist (z.B. urheberrechtlich geschützte Abbildungen), erfordert es einen Riesenaufwand, das via Abmahnungen rückgängig zu machen. Im Zweifel wird es nicht gelingen. 

Daher überlege ich mir genau, was ich auf Facebook (und in anderen sozialen Medien) schreibe, und gehe von vornherein davon aus, dass es öffentlich ist. Das fällt mir auch nicht schwer, da ich nicht über eine gespaltene Persönlichkeit verfüge, mit welcher ich mich privat höflich und dezent gebe, im Internet jedoch die Sau rauslasse.

Klar äußert man sich im persönlichen Umfeld öfters offener und pointierter – hierzu suche ich mir jedoch nahestehende und vertrauenswürdige Menschen aus, mit denen ich möglichst analog kommuniziere. Aber auch hier gibt es keine absolute Garantie, dass es niemand weitertratscht. Mit solchen Leuten wäre ich dann beim nächsten Gespräch vorsichtiger.

Die Vorstellung aber, in einer Gruppe von mehr als 800 Mitgliedern könne man etwas „vertraulich“ besprechen, ist natürlich hirnrissig. Eine Geistesgröße dort hat neulich sogar behauptet: Wenn man nicht wolle, dass es jemand Bestimmtes erfahre, könne man ja vorher die Mitgliederliste durchsehen! Ich hätte so etwas erst am heutigen Rosenmontag gepostet. Äh, was ist, wenn diese Person sich dann eine Viertelstunde später anmeldet? Solche intellektuellen Tiefflüge nehmen in der Gruppe immer mehr zu.

Solche Foren sind nur dann wirklich privat, wenn sich die Teilnehmer persönlich kennen, beispielsweise eine größere Familie oder ein Freundeskreis. In dem Fall kämen Außenstehende gar nicht hinein. Und selbst dort könnte es vorkommen, dass Onkel Theo irgendwas weitertratscht.

Man jammert über die Datensammelwut von Plattformen wie Google oder Facebook – wohl zu Recht. Daher bin ich immer wieder fasziniert davon, wie sorglos die Nutzer diesen Foren sensible Informationen anvertrauen: Da werden auf alternativen Medizinseiten sorglos Beingeschwüre des Ehepartners abgelichtet, oder man schildert ausführliche Krankengeschichten. Ebenso werden ungeniert Karikaturen oder Artikel aus Tageszeitungen abgelichtet. Als Anwalt in einer Abmahn-Kanzlei wäre ich begeistert! 

Gerade in dieser Hinsicht sollte man sich in meinem Fall einmal ehrlich machen: Es geht doch gar nicht darum, dass ich aus FB-Gruppen private oder gar intime Details veröffentliche. Sondern Belege, dass gewisse Zeitgenossen blühenden Unsinn oder persönliche Beschimpfungen von sich geben. Klar, das ist peinlich genug, aber man könnte es doch selber korrigieren! 

Dass man eine private FB-Gruppe auch anders moderieren kann, beweisen Manuela Bößel und ich in unserem Forum „Was Sie schon immer über Tango wissen wollten…“, das es seit Ende 2016 gibt. Ich wäre damals mit 20 oder 30 Mitgliedern zufrieden gewesen – derzeit sind es 644.  

In meinem Beitrag zum einjährigen Jubiläum heißt es:   

Was die Gruppe von unserer „Wohnzimmer-Milonga“ unterscheidet: Es gibt keine Höchstzahl von zirka 20 Teilnehmern. Das hat natürlich Folgen: Eine stark anwachsende Gemeinschaft lockt mit der Zeit unweigerlich auch Menschen an, die versuchen, dort Macht auszuüben – etwa, indem sie die Rolle des „übergeordneten Experten“ spielen oder über die geltenden Spielregeln Diskussionen anzetteln.

Mehrfach haben Manuela und ich uns gegen diese Entwicklung gestellt, welche aus unserer Sicht Anfänger abschreckt: Breitet sich ein „Wertungsrichter-Tonfall“ erst einmal aus, vermeiden es Neulinge, „dumme“ Fragen zu stellen. Ein weiterer Trend ist dann, vom Sachlichen ins Persönliche abzugleiten. Ich habe neulich dazu geschrieben:

„Gefährlich wird es stets, wenn man beginnt, den Kontrahenten einem ‚Lager‘ zuzuordnen. Irgendwann sammeln sich dann Unterstützerscharen um die beiden, und die Schlacht der Stereotypen beginnt. Wenn man dann schließlich zwischen den rauchenden Trümmern sitzt, ist stets das Hauptargument, man sei ‚missverstanden‘ worden.“

http://milongafuehrer.blogspot.com/2017/12/was-sie-schon-immer-uber-tango-wissen.html

Erwartungsgemäß hatten wir einige Kämpfe mit (meist männlichen) „Raumverdrängern“ zu bestehen, die versuchten, genau die Streitereien anzuzetteln, die ich seit einiger Zeit in der Gruppe „KoKo Tango“ bewundern darf. Nur haben wir uns nicht einschüchtern lassen und solche Leute halt – wenn sie es absolut nicht einsehen wollten – umgehend aus der Gruppe entfernt. Neulich hat es „Arthur Dent“ erwischt, was er seitdem mit Hasspredigten quittiert.

Ja klar, wir kennen die resultierenden Vorwürfe inzwischen auswendig: Zensur, Unterdrückung der Meinungsfreiheit, Entfernung von Dissidenten… Es beeindruckt uns nur kein bisschen, weil unser Vorgehen freundliche und sinnvolle Diskussionen am Leben hält.

Übrigens lassen wir auch nicht jeden rein. Bei Mitgliedsanfragen werfen wir stets einen Blick ins FB-Profil des Bewerbers: Wer radikale politische Standpunkte oder Querdenker-Thesen propagiert, muss draußen bleiben. Ebenso Leute, welche Beschimpfungen oder Kraftausdrücke verwenden oder bei denen ein Tangozusammenhang nicht ersichtlich ist. Oder bei nichtssagenden Profilen mit starkem Fake-Verdacht. Diese Vorsicht lohnt sich! Und natürlich wäre es für uns völlig okay, wenn jemand Zitate aus der Gruppe außerhalb verwendet.

Gerne akzeptieren wir es, wenn wir weniger Kommentare erhalten oder es langweilig-friedlich" zugeht. Wir wissen natürlich: Krawall ist attraktiver. Wenn die Brocken fliegen, sammeln sich die Gaffer und Mit-Beleidiger. Man kennt das von der „Rudelbildung“ im Fußball. Mit Sportsgeist hat das nichts mehr zu tun.

Das gilt auch für mein Blog. Es ist natürlich eine unverschämte Lüge, dass es dort kaum Kommentare gibt oder ich Ansichten löschen würde, die nicht mit meiner übereinstimmen. Meine Seite ist öffentlich: Jeder und jede kann sich vom Gegenteil überzeugen. Ein ständiges Ärgernis scheint zu sein, dass man auf meiner Seite nur Anmerkungen unter Klarnamen hinterlassen kann. Für Leute, die gerne unter Pseudonym ihre dunkle Seite ausleben, natürlich eine herbe Provokation!

Ich fürchte, eine Nachfolgeseite von Cassiels verwaister „Tangoplauderei“ ist gefunden: Auf „KoKo-Tango“ sammelt sich derzeit – noch nicht bei allen Themen – die tangoübliche Mischpoche von Klugschwätzern und cholerischen Raufbolden. Fehlt nur noch ein ebenso intelligenter wie gewissenloser Betreiber. Die derzeitige Administratorin kann diese Rolle nicht ausfüllen. 

Heute ging wieder eine Meldung durch die Medien, der Politiker und Mediziner Karl Lauterbach sehe sich derzeit von einer nie gekannten Flut anonymer Beleidigungen ausgesetzt – bis hin zu Morddrohungen. Sein Büro sei weitgehend damit beschäftigt, die schlimmsten Entgleisungen für die Staatsanwaltschaft zu dokumentieren. Ich wähle bewusst dieses Beispiel, gerade weil der Epidemiologe sich nicht meiner großen Sympathie erfreut. Aber was man sich ihm gegenüber herausnimmt, ist einfach nur furchtbar.

https://web.de/magazine/politik/schwer-ertragen-karl-lauterbach-hass-entgegenschlaegt-35539170

https://www.youtube.com/watch?v=doDO_BtIDGA 

Ich habe vor diesen Gefahren des Internets schon vor vielen Jahren gewarnt. Im Licht der heutigen Entwicklung muss man aber schon gewaltig einen an der Klatsche haben, wenn man das Prinzip der digitalen Anonymität immer noch verteidigt. Oder völlig gewissenlos die eigenen Interessen gegen die der Allgemeinheit stellen.

Privat oder gar vertraulich? Wer das im Internet sucht, glaubt auch, bei Facebook wahre Freunde zu haben. Ich suche mir die lieber im realen Leben!    

P.S. Mehr zum Thema:

http://milongafuehrer.blogspot.com/2018/08/bleiben-wir-offentlich.html

Kommentare

  1. Riedl schreibt: "Ein ständiges Ärgernis scheint zu sein, dass man auf meiner Seite nur Anmerkungen unter Klarnamen hinterlassen kann. Für Leute, die gerne unter Pseudonym ihre dunkle Seite ausleben, natürlich eine herbe Provokation!"

    Ein Hauch von Satire :-)

    Ute Theimer

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    1. Ach Gott, derzeit tauchen aus der Vergangenheit wieder gar schröckliche Trolle auf...

      Wer kann jetzt noch behaupten, meine Menagerie sei uninteressant?

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  2. So nebenbei:

    Das Gedöns gegen mich in der FB-Gruppe "KoKo Tango" hat gestern die tägliche Zugriffsrate meines Blogs auf 1053 gesteigert (Vortag: 614).

    Ich danke herzlich für die Publicity!

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