Ich mag Publikum!
Bekanntlich
gilt Eitelkeit im Tango als schwere
Sünde.
Bereits
2003 kam Michael Vödisch in einer
Umfrage bei über 600 Milongagästen zum Ergebnis: „Besucher, die nur zuschauen und selbst nicht tanzen, sind für eine
schöne Milonga eher unwichtig. Auch ist eine schöne Milonga kein Forum zum ‚Sehen
und Gesehen werden‘, schon gar nicht ein Marktplatz der Eitelkeiten.“ (Quelle:
www.tangoinfo.ch)
Sicherlich
ist diese Erhebung nicht aktuell, was man schon darin sieht, dass bei den damals Befragten
das Durchschnittsalter um die 40 Jahre lag. Beim derzeitigen Rollback des Tango
hin zu Frömmigkeit, Enthaltsamkeit, Greisentum und Museumsmusik dürften eher
noch mehr das allenthalben verlautbarte Mantra unterschreiben:
Tango tanzt ein Paar
stets nur für sich – keinesfalls ist es auf irgendeine Art von „Außenwirkung“
bedacht.
Insbesondere
sind ja inzwischen spektakuläre Bewegungen nicht nur wegen der
Fremdbelästigung, sondern auch zur Rettung der eigenen Tänzerseele vor
hoffärtigen Anwandlungen verpönt. Und auf den Código, Frauen dürften zu diesem
Behufe nur noch in Turnschläppchen und mit übergestülptem Kartoffelsack tanzen,
warte ich noch – allerdings vergebens, wie ich befürchte: Da sind leuchtende Kleidchen und glitzernde Pumps fast schon Pflicht - strahlen die nach innen?
Im
Schein solcher Erleuchtungen stehe ich derzeit wieder einmal vor einem
Phänomen, bei welchem der obige Erklärungsansatz überhaupt nicht greift. In
meiner Heimatregion erfreut sich momentan eine Freiluftmilonga geradezu dramatisch steigender Beliebtheit: Während
zum „normalen“ Termin (unter Dach und Fach) im Schnitt knapp zwei Dutzend Gäste
erscheinen, tummelt sich auf der Open-Air-Variante sicherlich die dreifache
Zahl von Besuchern!
Ein
Grund könnte sicherlich in der weiblichen
Tendenz liegen, im Sommer – nicht nur, was den eigenen Körper betrifft –
möglichst viel ins Freie zu verlagern: „Ach
Schatz, lass uns doch draußen essen, da ist es so schön!“ Aus männlicher
Sicht dagegen ist es nur umständlich, Speisen und Getränke auf wacklige
Gartentischchen zu verfrachten und anschließend die Wespen- und Mückenabwehr zu
übernehmen. Allenfalls sind die Herren der Schöpfung hierzu bereit, wenn sie
ein ordentliches Grillfeuer entfachen sowie ein Fässchen anzapfen dürfen – aber
dann bitte mit nackten Beinen, Bermudashorts und Sinnfrei-Text-T-Shirt! Bei
Freiluftmilongas hingegen sichtet man Exemplare, welche sich via weißer
Schlaghose und schwarz-weiß-sülberner Tangoschleicher durchaus das Image eines
steuerbefreiten griechischen Reeders geben – von den sommerlich-entblößenden
Outfits der Damenwelt ganz zu schweigen…
Sicherlich
mag auch die Altstadt- und Straßencafé-Atmosphäre das Ihrige zur Attraktivität
solcher Events beitragen, wobei allerdings in Umfragen wie der obigen ein
anderer Aspekt für sehr wichtig erachtet wird: die Qualität des Tanzbodens. Gewöhnlich tappt man hier
ja auf Planen umher, welche auf das nicht immer ebene Pflaster verlegt und mit
mehr Puder als zwanzig Babyhintern bestäubt wurden. Persönlich mache ich es
auch beim Tango lieber ohne Gummi – und speziell ohne die Kreidestriche
weiblicher Verzierungen, welche dann als Hochwassermarken des Tango meine (schwarze!)
Hose schmücken. Insgesamt vermag in meiner Sicht also auch die Abteilung „Ambiente“ den enormen Zulauf solcher
Veranstaltungen nicht zu erklären.
Was
denn sonst? Die Musik ist nach
meinem Empfinden ganz gut, fallweise sogar modern. Doch seit wann kümmert die
Mehrzahl der Milongagäste die Beschallung – und speziell die neuzeitlichen Anklänge
wären heutzutage eher ein Grund, Gäste zu vergraulen. Daran kann es also
ebenfalls nicht liegen.
Auffallend
ist aber gerade bei diesem Event die hohe Zahl tangofremder Besucher, welche sich mittlerweile auf den vordersten
Stühlen rund um die Tanzfläche drängen und wie im Zoo auf das Treiben der
Bewohner des Tangoreservats starren. Öfters scheint es sich dabei um Freunde
oder gar Verwandte der Tanzenden zu handeln, welche wohl von diesen eingeladen
wurden, um einmal das Töchterle oder den Opa auf freier Wildbahn bei
schneidiger Aktion bewundern zu dürfen. Komplettiert wird das Ganze von stehen
bleibenden Passanten-Rudeln, welche sich – zur Ersatzbefriedigung eine Eistüte
nuckelnd – das Spektakel nicht entgehen lassen. Ebenfalls kommt es gerne zum Vorzeigen von Kindern und Hunden, auch außerhalb des Geheges.
Und
die Tangomenschen? Flüchten sie ob dieser Veräußerlichung
ihres doch so ZEN-orientierten, nach innen gekehrten Miteinanders? Im Gegenteil
– gerade die Männer scheinen es sehr zu genießen, bei einer Tätigkeit
beobachtet zu werden, welche die Mitglieder ihrer Spezies sonst nur im
besoffenen Zustand ausführen: tanzen. Dennoch würde wohl eine Umfrage, ob man solche Events auch zum Gesehen werden besucht, von der Mehrzahl klar verneint. Nun, man könnte bei Männern auch Statistiken zu Potenzproblemen erheben und sich gleichfalls über die Ergebnisse wundern...
Ich jedenfalls gestehe, endlich wieder einmal im Tango Heimatgefühle zu entwickeln, welche mir wegen der um sich
greifenden Verspießerung, des wachsenden Konformismus schon fast abhandengekommen
waren. Ja, ich bin eitel, sonst würde ich nicht tanzen – und schon gar keinen
Tango. Auch bei meiner anderen Passion, der Magie, gilt ja: Das Optimum hat man erreicht, wenn man phasenweise
selber daran glaubt, wirklich zaubern zu können – doch ohne Publikum fehlt
irgendwie der Kick. Der Tango ist und bleibt ein konkurrierendes
Balzritual, ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Schon dessen Urväter konnten ob der
Bewunderung hierbei ihrem ansonsten trüben Dasein ein paar Glanzlichter
aufsetzen – und es ist doch toll, wenn heute neben dem Vergleich der
Automarken (schlimmstenfalls per Rennen) noch eine preiswertere und sozial verträglichere Möglichkeit des Auslebens männlicher Konkurrenz
existiert!
Was
gibt es Schöneres, als beim Vorbeitanzen Blicke tangoferner Besucher zu
erhaschen und die nach Geschlechtern sortieren zu können? Bei Männern die
Mimik: „O Gott, hoffentlich möchte meine
Frau das nicht auch“ – im weiblichen Fall hingegen der Gesichtsausdruck,
welcher perfekt das berühmte postorgiastische Harry- und Sally-Motiv widerspiegelt: „Ich will genau das, was sie
hatte!“
Dazu
passt doch ein Zitat aus der oben beschriebenen Umfrage:
„Frauen sind bei der
Milonga insgesamt anspruchsvoller als die Männer! Für die Frauen sind möglichst
viele gut tanzende Milongueros wichtiger.
Für die Männer ist nur ein einziger Aspekt wichtiger, nämlich das erotische Knistern! Appell an die Männer: verbessert eure Tangokenntnisse! Vielleicht knistert es dann noch mehr..."
Für die Männer ist nur ein einziger Aspekt wichtiger, nämlich das erotische Knistern! Appell an die Männer: verbessert eure Tangokenntnisse! Vielleicht knistert es dann noch mehr..."
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AntwortenLöschenDer Beitrag wurde doppelt eingegeben, daher habe ich ihn einmal gelöscht!
LöschenEitelkeit, eindeutig meine Lieblingssünde. (Zitat, Film "Im Auftrag des Teufels")
AntwortenLöschenMichael (tango-X.com)
Ja - "Paradise lost" (John Milton) ist durchaus ein Gefühl, das ich heute auf vielen Milongas habe...
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