Hilfe, keiner tanzt mit mir!
Derzeit verfolge ich eine interessante
Diskussion, in welcher der Berliner Journalist und Tangotänzer Thomas Kröter
sich mächtig darüber aufregt, dass bei einer Wochenend-Tangosause in
Ostwestfalen kaum ein Tänzer seine Frau aufgefordert habe:
„Ich
kann es einfach nicht nachvollziehen, dass die großartige Männlichkeit (…) meist
nach dem Motto verfährt: wat de Buur nit kennt...“ (…) Sorry, ich kenne alle Ausreden, warum in den verschiedenen regionalen Subscenes so selten 'fremd' getanzt wird. Ich finde keine einleuchtend. Mir bleibt als Erklärung nur (und da mindere ich meinen Formulierungsfreundlichkeitscoeffizienten
ein wenig): Ein gerüttelt Maß an Feigheit. Dass dies auch ein wenig unhöflich
gegenüber Gästen ist, sei nur am Rande erwähnt.“
Klar, dass ich diesem scharfsinnigen
Beobachter der Tangoszene, mit dem mich ein Herz und mehrere Seelen verbinden,
zunächst nur aufrichtigen Beifall zollen kann: Ja, so isses! Übrigens muss man da nicht erst nach
Ostwestfalen fahren (einen für seine überbordenden Emotionen bundesweit bekannten
Landstrich): Wie mir Tangobekannte immer wieder berichten, kann man als
Fremder auch auf Berliner Milongas ein Maß an spiritueller Abgeschiedenheit
erreichen, das den Urlaub in einem bayerischen Trappistenkloster mühelos
ersetzt: Also, lieber Thomas, warum in die Ferne schweifen, wenn das Schlechte liegt
so nah?
Ersatzweise werden nun Maßnahmen wie „Damenwahl“ oder „Tanda mit einer Fremden“ erwogen – also eine Runde, bei welcher
die Gäste angehalten sind, sich einen bislang unbekannten Tanzpartner zu
suchen. Von der Cabeceo- und Código-Expertin Theresa Faus erfahren wir zudem,
dass sie hierbei als Cortina das Bert Kaempfert-Thema „Strangers in the night“ auflege – eine schönere Satire auf ihre
Veranstaltungen brächte ich kaum zustande…
Zu Recht wird in dieser Diskussion betont,
derlei Maßnahmen seien wohl nur als „Krücken“ zu betrachten, welche das Problem
grundsätzlich nicht änderten. Was also kann man generell unternehmen?
Zunächst sehe ich die Zunahme solcher
Unsitten als Indiz für die von mir schon lange beklagte Verspießerung der
Tangoszene. Aus einem „Treff junger Wilder“ früherer Zeiten sind wir längst
beim „Ehepaar-Übungsabend“ der ADTV-Tanzschulen angekommen (wobei man einem
dort wenigstens kaum mit Parkettbenutzungs- und Aufforderungsregeln zusetzt).
Also tanzt man halt brav paarweise oder bestenfalls mit Leuten, die man seit
Jahren kennt.
Die „Vollkasko-Mentalität“ hat sich längst flächendeckend
verbreitet – Tango ist kein Spaß, sondern eine ernste Sache, bei der man viel
falsch und wenig richtig machen kann. In der Internet-Ankündigung einer
Münchner Milonga heißt es: „Wir legen Wert auf einen harmonischen
Tanzfluss und rufen notorische Kreuz-und-Quer Tänzer diskret zur Ordnung. Für Anfänger und
experimentierfreudige Tänzer gibt es einen separaten
Bereich für ungestörtes Üben.“ Wahrlich – der Tango
ist in der Adenauer-Ära angekommen: „Keine
Experimente!“ Allenfalls stehen noch Exklaven zur Verfügung..
Ferner muss ich ehrlicherweise zugeben, dass
sich im Lauf der Jahre mein eigenes Sozialverhalten nicht gerade
höherentwickelt hat. Daher kann ich routinierte Tänzer verstehen, deren Lust
auf heruntermarschierte Tangos zu Plempermusik sich in immer engeren Grenzen
hält. Weiteres dazu: http://milongafuehrer.blogspot.de/2015/06/mein-asozialer-tango.html
Ich glaube jedoch nicht, dass wir damit schon
am Kern der Problematik angelangt sind. Im Tango sind beim „starken Geschlecht“
volle Hosen häufiger als gestreifte – oft genug hören Frauen dann nach Jahren
bei der ersten Aufforderung das männliche Bekenntnis: „Ich habe mich die ganze Zeit nicht getraut, dich aufzufordern, weil
ich Angst hatte, dir nicht genug bieten zu können.“ Ob man dies als
Feigheit oder Realitätsbewusstsein bezeichnen mag, sei dahingestellt… Insofern
müssen große Tanzkünste die Aufforderungschancen für Tangueras nicht unbedingt
verbessern. Sollten sie dagegen dem Muster „unter
35, Anfängerin, naiv, kurzes Röckchen, einwärts gedrehte Fußspitzen, Überbiss“
entsprechen, kommen sie höchstwahrscheinlich in den Genuss stemmbogengestählter
gefühlter „Tangolehrer“ höherer Semester, welche ihnen mit arthrotischen Bewegungen auf die korrekten
Sprünge helfen – ob sie wollen oder nicht. So gesehen kann das Alter beim Tango
durchaus für beide Geschlechter eine Gnade bedeuten!
Die nach abgestandener Tanzstunden-Atmosphäre
der 50-er Jahre müffelnde „Damenwahl“
wurde ja vor einiger Zeit bezeichnenderweise von der deutschen Tango-Society
exhumiert (nach Theresa Faus gilt
hierbei noch dazu ein „implizites
Korbverbot“). Damit schreibt man dann endgültig fest, dass die Frauen – mit
Ausnahme der für sie reservierten Runde – gefälligst nicht auffordern sollen: Ein
weiteres Indiz für den Rücksturz des Tango in Gesellschaftsmodelle, welche wir
optimistischerweise als längst überholt ansahen. Näheres dazu: http://milongafuehrer.blogspot.de/2014/07/damenqual.html
Gleichermaßen ist die Idee der „Tanda mit einer Fremden“ sicherlich gut
gemeint. Ich würde mich als Frau dennoch veräppelt vorkommen, mit einer solchen
„Quoten-Tanzrunde“ als Alibi abgespeist zu werden – und dann noch erleben zu
müssen, wie sich Veranstalter als vermeintliche Vorkämpfer für die Frauenrechte
selber auf die Schulter klopfen. Altmeister Tucholsky
hätte hierzu geäußert: „Gut, das ist der
Pfennig, doch wo bleibt die Mark?“
Zu unserer Anfängerzeit lernten wir noch,
dass im Tango beide Geschlechter auffordern dürften – und dass man für einen
Korb wahrlich gewichtige Gründe haben müsse. Ich habe nie verstanden, wieso
diese „Tradition“ weitgehend verloren ging – das wäre doch einmal eine lohnende
Aufgabe für die derzeit so zahlreichen „Código-Erfinder“ (und man bräuchte
hierzu nicht einmal „Workshops“)! Und wieso tanzen nicht mehr Frauen und auch mal
Männer (!) untereinander? Aber offenbar ist man in der Traditionsabteilung an
Themen, welche nicht ins Schema eines vermufften Bürgertums passen, eher
uninteressiert – da wird gleich so mancher (Pferde-)schwanz eingezogen…
Mein Rat an das „schwache“ Geschlecht ist
stets derselbe – ob es sich nun um „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ oder „Mauerblümchen-Schicksale“
handelt: Wenn ihr meint, die Herren würden die Probleme für euch lösen, könnt
ihr lange warten! (Bezeichnenderweise ist es ja auch im vorliegenden Fall so,
dass sich wieder der Mann stellvertretend für seine Gattin empören musste.) An
der Parole „Hintern aufheben und aktiv werden“ führt kein Weg vorbei. Wenn
ihr wirklich mit einem Typen tanzen wollt, dann fordert ihn auf (per Cabeceo
müsste das ja ganz geschlechtsneutral funktionieren) – oder marschiert‘s hin
und fragt‘s ihn notfalls, ob er Schiss hat (wirkt bei Männern Wunder und hat
schon zu größerem Blödsinn geführt als einer Tangorunde). Oder lernt führen und
„erlöst“ damit nicht nur euch, sondern auch das einsame Herz gegenüber! Der
Tango bietet so viele Möglichkeiten, welche sich jedoch alle nicht durch
Herbeijammern eröffnen.
Und selbst wenn ich davon betroffen sein
sollte – ihr kriegt’s keinen Korb, versprochen!
P.S. Lieber Thomas Kröter, du schreibst: „Völlig ohne Ironie
behaupte ich: Allein das Reden (oder Schreiben) darüber hilft dazu
beizutragen, das Bewusstsein mancher Männer (und vielleicht auch sie 'bewachender' Frauen) zu ändern.“ In
der Hoffnung, dass dies stimmt, habe ich zu dem Thema einige Worte verloren,
welche bestimmt nicht jedem passen. Aber wie sagst du so schön? „Genau das isses, was mir in Teilen der Szene
so auf den Zeiger geht: Wer nicht ausschließlich das Weihrauch-Fässchen
schwenkt (…), ist gleich ein Nörgler, selbst wenn man ihm zustimmt.“
Eben.
In diesem Sinne viele Grüße vom
„Grantler“ Gerhard Riedl
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