In der Beschränktheit erst zeigt sich der Meister



„Arm in Arm mit dir, so ford’r ich mein Jahrhundert in die Schranken“
(Schiller: Don Carlos)
„Arm in Arm mit dir, so ford’r ich Beschränktheit fürs Jahrhundert“
(Johann Nestroy in einer Don Carlos-Aufführung in Wien als Kritik an den politischen Verhältnissen)

Über die Einschränkung, im Stau auf der Autobahn zu stehen, nicht überholen zu können und nur in Schrittgeschwindigkeit vorwärts zu kommen, behaupten manche, dass sie damit in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden.
Das Gegenteil ist der Fall! Erstens kann man so viel entspannter fahren, da bei derartig niedrigen Geschwindigkeiten die Unfallgefahr minimal ist. Gerade die Restriktion, in der Spur zu bleiben, regt den Autofahrer zu einem viel sensibleren Spiel mit Gaspedal, Kupplung und Bremse an und ermöglicht die Ausführung feinster Lenkübungen. Drittens wird die Fahrt erst so richtig spannend, wenn man dabei mit allerlei Knöpfen von Autoradio, Klimaanlage und Fensterheber spielen kann. Dass der Weg zum Urlaubsziel versperrt ist, stellt somit überhaupt keine Behinderung dar.

Bevor man mich nun der Lynchjustiz aufgebrachter Urlauber überantwortet, welche möglicherweise heute bei 30 Grad im Stau stehen: Der obige Text stellt lediglich eine Übertragung der Gedanken dar, welche die DJane und Tangoveranstalterin Theresa Faus heute auf ihrer Facebook-Seite zum Thema „gepflegte Ronda“ veröffentlicht hat. Das Original lautet wie folgt:

„Über den ‚Codigo‘, in Tanzrichtung und in der Spur zu tanzen, behaupten manche, dass damit der Gestaltungsfreiheit der Raum genommen würde und alle mit Trippelschritten stereotyp dahinschlurfen müssten.
Das Gegenteil ist der Fall! Erstens tanzt es sich erst richtig entspannt, wenn man nicht immer fürchten muss, dass man getreten wird. Zweitens ist das Tango-Vokabular so reichhaltig, dass es immer Schritt-Optionen in der Spur gibt, und dass die ‚Restriktion‘, in der Spur zu bleiben, gerade auch zu neuen Kombinationen anregt. Drittens wird das Tanzen so richtig spannend, wenn die Schrittqualität und das Fein-Timing von der Musik inspiriert werden, und dabei ist der Platz überhaupt keine Restriktion.

Natürlich weiß ich, dass der Vergleich hinkt: Bei der Fahrt in den Urlaub hat man immerhin ein Ziel, während man sich beim Tanzen im Kreisverkehr befindet, ohne jemals abzubiegen. Das macht es noch spannender!

Die selbst auferlegte Entsagungspose erinnert mich an einen Sponti-Spruch aus meiner Jugendzeit:

„Keuschheit ist genauso wenig eine Tugend wie Unterernährung.“

Ich wünsche allseits einen schönen Urlaub – und sollten Sie im Stau stehen: Schieben Sie eine traditionelle Tangoaufnahme ins Autoradio und genießen Sie den Gleichklang von Rhythmus und Verkehrsfluss! (Alternativ wäre auch Peter Alexanders „Badewannen-Tango“ möglich…)


P.S. Im Lichte dieser Erkenntnisse habe ich folgende Themen in Bearbeitung:
„Wer sein Rad liebt, der schiebt – vom Genuss aufsitzfreien Fahrens“
„Kraulen bei 50 Zentimeter Wassertiefe – ressourcenschonendes Schwimmen“
„Mit der Fingernagelschere zum englischen Rasen – Gartenpflege als Lebensaufgabe“

Kommentare

  1. Es reisst nicht ab: Grade bei "DJ Salzer" gefunden:
    "Am 16.09. ist das Thema: Circulares Gehen am Platz - Gehen auf engstem Raum - eine schöne Lösung, aber auch eine Herausforderung an die Kommunikation."
    Quelle: http://www.djsalzer.com/tangobar

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.