Tango - von der Subkultur zur Branche
„Heute wird der
Begriff der ‚Subkultur‘ in der
Wissenschaft seltener verwendet. Dies ist hauptsächlich deshalb der Fall, weil
die Definition einerseits unklar ist – zumeist ist davon die Rede, dass eine
Gruppe ‚weitgehend‘ andere Normen als die Hauptkultur aufweist –, andererseits
die meisten so bezeichneten Gruppen sich selbst abweichend auffassen. (…) Am
ehesten den gängigen Auffassungen von ‚Subkultur‘ entsprechen heute die Szene
der Drogenkonsumenten (Junkies) oder auch
Angehörige krimineller Berufe oder Netzwerke.“
„Eine Zuordnung zu
einer Branche erfolgt für
Unternehmen, die ähnliche Produkte herstellen, die mit ähnlichen Artikeln (Sortimenten) handeln oder die ähnliche Dienstleistungen erbringen.“
Gerade
die traditionelle Fraktion bei unserem Tanz schmückt sich neuerdings gerne mit
dem Begriff „Subkultur“. So schrieb
eine bekannte DJane anlässlich meiner Veralberung ihres Código-Geweses, ich
hätte „ein bemerkenswertes Engagement gegen eine Subkultur im
Tango“
bewiesen. Natürlich griff ihr Anhang diesen Ausdruck begeistert in Kommentaren
auf: Kultur ist immer gut – und die Präposition „sub“ verleiht der Chose etwas
Geheimnisvoll-Verruchtes als Gegensatz zum röhrenden Hirsch an der Wohnzimmerwand…
Ein
häufiges Phänomen beim Tango besteht ja darin, dass ein Veranstalter bedenkenlos
den anderen kopiert, da man stets
neue „Themen“ sucht, um Publikum anzulocken. Dies gilt nicht nur für
„Dauerbrenner“ wie Tanzschuh- und Kleiderverkauf – auch Modewörter werden
unhinterfragt übernommen. Mein persönlicher Favorit ist der „Workshop“, welcher fast immer
lediglich eine simple Unterrichtseinheit beschreibt – und nicht das, was man zu
diesem Terminus bei „Wikipedia“ nachlesen kann: „Der Schwerpunkt“ liege
dabei „auf der gemeinsamen Arbeit an
einem gemeinsamen Ziel“. KEIN Workshop sei es jedenfalls, wenn „primär Wissen vermittelt werden will oder
vermittelte Inhalte in der Veranstaltung geübt werden.“
Stellt
der Tango – und gar seine traditionelle Unterform – wirklich eine „Subkultur“
dar? Nach der oben zitierten Definition eher nicht, da müsste schon die gesamte Lebensweise von den allgemeinen
Gepflogenheiten abweichen – und man nicht lediglich ein gemeinsames Hobby zu
einer eigenartigen Musik und mit sonderbaren Ritualen pflegen. (Eine Ausnahme
bilden vielleicht „Encuentro-Pilger“…) Ansonsten schlägt „Wikipedia“ für
derartige Erscheinungsformen den Begriff „Szene“
vor.
Zudem
ignoriert man weitestgehend einen wichtigen Effekt: Solange eine bestimmte
Beschäftigung nur von wenigen ausgeübt wird, kommt es kaum zu einer Arbeitsteilung. In meiner Anfangszeit
erlebte ich viele Milongas, bei denen sich Rollen wie „Veranstalter“ oder „DJ“
eher zufällig ergaben: Einer kannte halt den Pfarrer, welcher ihm den
Gemeindesaal überließ, und ein Kollege besaß eine akzeptable Musikanlage oder
einige CDs mehr als der Rest, daher legte er die Musik auf. Das Geld spielte
praktisch keine Rolle – oft bekam man die Räumlichkeit „für lau“, alle legten
zusammen, auf dass die Getränkerechnung einigermaßen aufging – und um die GEMA
machten wir uns keine Gedanken.
Wenn
eine Beschäftigung allerdings eine gewisse Anhängerzahl überschreitet und zudem
noch gesellschaftlich als interessant oder gar chic gilt, beginnt eines Tages
der „Einmarsch der Funktionäre“:
Typisch für diese Personengruppe ist, dass sie der ursprünglichen Aktivität meist
eher wenig abgewinnen kann. Nun aber sind wichtige Positionen zu besetzen,
mittels derer man ein gewisses Aufsehen erregt – ob nun als Milongaveranstalter,
Tangolehrer, DJ oder Buchautor (beabsichtigte Selbstironie).
Eine
pauschale Verurteilung liegt mir fern: Glücklicherweise gab und gibt es in der
Szene „Tango-Urgesteine“, deren Begeisterung für das zentrale Engagement, nämlich den eigenen Tanz, auch nach vielen Jahren nicht abgenommen hat, die sich nach Kursende,
parallel zum Auflegen oder trotz Organisationspflichten, mit Elan aufs Parkett
stürzen. Eher vorherrschend sind allerdings Menschen, welche sich inzwischen
oder schon immer sitzend mit dem Tango beschäftigen – vielleicht auch, weil
kluges Daherreden zum Thema weniger anstrengend ist, als es auf der Tanzfläche
krachen zu lassen.
Der
Personalwechsel bedingt eine Änderung
der Mentalität in der Szene: Lautete früher das Motto: „Soll doch jeder machen, wie er will“, heißt die Devise nun: „Ja, wenn das jeder machen würde!“. Die
Apologeten des neuen Denkens besitzen vielleicht weniger Musikgefühl oder
tänzerische Leidenschaft, jedoch eine Menge Organisationstalent und -bedürfnis.
Plötzlich erscheint (schon wegen der GEMA, der Unfall- und
Haftpflichtversicherung) die Gründung eines gemeinnützigen Tangovereins
unabdingbar – natürlich inklusive Satzung, Vorstandsposten und Richtlinien fürs
Auflegen: Die Traumtänzer gehen, die Beisitzer kommen. Tango ist ja schön und
gut – aber ordentlich muss er sein: Sich regeln bringt Segen…
Diese
Sichtweise ist mir bei Diskussionen auf meinem Blog so richtig deutlich
geworden: Während ich beispielsweise vom eigenen „Üben mit Partnern“ sprach, wurde dies von einem anderen Schreiber
sofort mit der Vokabel „Unterricht“
belegt. Ein weiterer Kommentator stellte fest: „Wegen Quertreibern wie dir wurde ja die Tanzordnung erst eingeführt.“ Kein Zweifel: Horizontale Beziehungen im Tango – soweit sie nicht sexuell sind – werden
in die Vertikale gedreht. Die Welt
dieser Herrschaften ist klar in oben („anerkannte“ Lehrer, Veranstalter, DJs)
und unten (das gemeine Fußvolk) gegliedert – es lebe die Hierarchie!
Mir
wurde vorgeworfen, ich schreckte mit meinen kritischen Anmerkungen Anfänger
davon ab, sich auf den Tango einzulassen. Nun gehe ich seit über 15 Jahren fast
jeden zweiten Tag zu Milongas – ein Vorbild für den Rückzug von diesem Tanz bin
ich zumindest nicht gerade. Was ich versuche, ist eine Art „Verbraucherberatung“, und die mag gelegentlich schlecht fürs
Geschäft sein – falls man darunter den Versuch versteht, den Kunden
überteuerte, mangelhafte oder gar nutzlose Ware anzudrehen.
Tango
ist in weiten Teilen längst zur Branche
geworden – die gemeinsame Entwicklung und Entscheidungsfindung einer kleinen
Szene wurde ersetzt durch die Aufteilung in Verkäufer und Käufer. Letztere
bekommen Angebote vorgesetzt, die sie kaum beeinflussen können – höchstens, indem
sie diese nicht annehmen.
·
Daher
werde ich weiter dafür plädieren, sich selber mit Tangomusik zu beschäftigen (heute dank Internet so einfach wie noch
nie) und dann eigenständig zu entscheiden, ob man für den vielfach auf Milongas
gebotenen klanglichen Einheitsbrei bezahlen will oder lieber zu Hause ein paar Freunde zu musikalisch
interessanterem Tanzen einlädt.
·
Ebenfalls
werde ich nicht müde werden klarzustellen, dass die Bezeichnung „Tangolehrer“ genau nichts darüber
aussagt, ob die betreffende Person gut tanzen oder dies sogar noch anderen akzeptabel vermitteln
kann. Höhere Weihen sind hierzu keine erforderlich – nicht mal niedrige.
·
Ich
werde auch in Zukunft öffentlich behaupten, dass die Herkunft solchen Lehrpersonals (ob nun aus Argentinien,
Turkmenistan oder dem Sauerland) keinerlei Rückschluss auf dessen Qualifikation zulässt – ebensowenig die Auflistung der selber schon gehabten Starlehrer.
·
Nach
wie vor bezweifle ich hartnäckig, ob die üblichen Kurse und „Workshops“ mit
ellenlangen klugen Vorträgen und nach dem methodischen Steinzeit-Prinzip „Vorzeigen -
Nachmachen“ bessere Lernerfolge bringen als das private Üben im kleinen Kreis
mit dem Austausch verschiedener Erfahrungsstufen – den Besuch möglichst vieler
Milongas eingeschlossen.
·
In
bester Spielverderber-Laune halte ich unverrückbar daran fest, dass teure Festivals oder Tangoreisen zwar einen privaten Erlebniswert darstellen können,
deren Wirkung auf die tänzerische Entwicklung allerdings im Promillebereich
liegt.
·
Und
schließlich glaube ich felsenfest daran, dass die Basis für die Erlangung eines
individuellen, kreativen Tanzstils
eine ebensolche Musik darstellt und es eine vorsätzliche Behinderung bedeutet,
diese Anfängern vorzuenthalten und so zu tun, als beschränke sich der Tango auf
die Aufnahmen eines Dutzends Orchester, welche alle seit Jahrzehnten nicht mehr
existieren. Keine einzige Tanzschule in Deutschland bietet ihren Schülern ausschließlich Musik, die vor 1960 aufgenommen wurde – da herrscht eher das andere Extrem vor, indem man irgendwelche Popsongs fälschlicherweise als „Rumba" oder „Cha Cha Cha" deklariert.
Ich halte es daher für einen Anachronismus, dass man Hausverbote zu befürchten hätte, wenn man im Internet konkrete Milongas oder Tangolehrer bewerten würde. Auch da ist im Tango die Zeit stehen geblieben.
So lange ihr nicht von Jugendbewegung sprecht ist alles ok :-)
AntwortenLöschenMM
Keine Angst - bei dem Durchschnittsalter...
LöschenObwohl laut Wikipedia würde es mit dem Alter der Aktiven schon wieder hinkommen. Nur, dass hier im Kreis gewandert würde. Na ja, folkloristische Volksmusik passt auch, wird nur nicht von den "Wanderern" mitgesungen.
LöschenIch möchte Teil einer Jugendbewegung sein. ( Zitat Blumfeld)
Aber ohne Rucksack ;-)
MM
Na, Rucksäcke haben ja viele Milongagäste dabei. Und die Bewegung im Kreis ist typisch für den Unwillen der Männer, nach dem Weg zu fragen (siehe Auto- oder Radrennen)!
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