Manuela Bößel: Tangos Farm
Von diesem Text meiner
Illustratorin und Tangofreundin erfuhr ich erst heute und habe sie spontan
gebeten, ihn veröffentlichen zu dürfen. Das Alarmierendste daran ist, dass er
schon 2008 entstand. George Orwell lässt grüßen…
Verzückt glänzen
ihre Augen, während ihre Hände wild gestikulierend in Richtung der nächsten
Aufzuchtbox wedeln. „Das ist unser bestes
Pferd im Stall, Einsteigerkurs bei Nancy und Damian, regelmäßiges Training bei
Elias, verfeinertes Führen bei Heidrun. Beachten Sie auch das vortrefflich
gelungene Äußere! Wir halten ihn nur noch für Zuchtzwecke.“ Ein Lächeln
schmilzt ihre Gesichtszüge, sie wirbelt auf 12 Zentimenter-Absätzen wieder in meine
Richtung und erwartet wohl begeisterte Zustimmung.
Mein Blick wandert
von dem in einem Rattansessel lümmelnden, dumpf dreinblickenden Latino, der
hinter der Glasscheibe der Aufzuchtbox sitzt, wieder zu ihr.
Vertraulich fasst
sie mich am Ellbogen und kichert mir ins Ohr: „Er duftet auch ganz prächtig, ein richtiges Alphamännchen, wenn Sie
wissen, was ich meine... “
Weiß ich nicht.
Ihre Absätze
klicken weiter durch einen langen, hellblau gestrichenen, blitzblanken Gang
Richtung Anfängerabteilung. Die verglaste Doppeltür schwingt geräuschlos auf,
und wir gelangen in eine Art Kommandozentrale, von der aus wir von schräg oben
in mehrere Übungssäle blicken.
In einem stolpern
nicht besonders glücklich wirkende Paare kreuz und quer durcheinander,
behindert durch ausgeklügelte, der Realität nachgestellte
Einrichtungsgegenstände einer argentinischen Bar. Die Tische, Stühle und Klotüren,
so beruhigt sie mich, seien aus Schaumstoff, damit sich die Anfänger nicht
verletzten. Sie schildert mir, wie sie
sich mittels Mikrofon und Lautsprecher in die einzelnen Practica einschalten
und diese im Notfall steuern kann, während sie auch schon zum Mikrofon greift
und einen gewissen H. zurechtweist, er solle sich gefälligst weiter in Tanzrichtung
bewegen, er sei schließlich kein Stauberater.
„Die müssen schon mindestens ein halbes Jahr hier üben,
bevor wir sie guten Gewissens in die freie Wildbahn entlassen können.“ Sie blickt mich – plötzlich
ganz ernst – über die randlose Brille an: „
Solch einen Störfaktor können wir den adulten Tangueros auf keinen Fall
zumuten! Es würde auch die Sozialisation der frisch Austrainierten empfindlich
stören.“ Aber hier, in einer
geschützten, kontrollierten Atmosphäre könne man mit den Tierchen wenigstens ordentlich
arbeiten.
In den anderen
Sälen schwingen Weibchen ihre Beine vor Boleoschablonen, Männchen drehen sich
wackelig um die eigene Achse, versuchen mit mäßigem Erfolg und angestrengten
Gesichtern, den Grundrhythmus eines Tangos zu klatschen, und von oben blinken
kleine Leuchtdioden grünlich gelb.
„Jetzt zeige ich Ihnen noch etwas ganz exotisches... “, flüstert sie
geheimnisvoll, wedelt mit den Händen in Richtung Kontrollkonsole und meint: „Die können wir getrost für ein halbes
Stündchen alleine lassen. Da kann nichts passieren“, und tippt wichtig auf
das mobile Display, das jetzt an ihrem Gürtel hängt.
Der Weg in die
Katakomben des Instituts führt vorbei an diversen Verfeinerungsstationen wie
dem Sprachlabor (argentinische Grundbegriffe), einer Schneiderei für Nadelstreifenanzüge
und geschlitzte Röcke, einem Trainingscamp „Bewegung in hochhackigen Schuhen“
und der „Blickschule“, wo auch die kurzsichtigste Tanguera dem Aufforderungsblick
des Tangueros unverzüglich zu folgen lernt.
Der glänzende
Bodenbelag weicht einfachen grauen Fliesen, die Decken erreichen nur noch
knappe zwei Meter zehn, als wir endlich im Tiefkeller des Instituts ankommen. „Haben Sie schon mal ein echtes Petermännchen
in freier Wildbahn erlebt? Ganz gefährlich, sag´ ich Ihnen. Dieses Exemplar hat
sich seiner Sicherungsverwahrung so widersetzt, dass wir es nur mit Hilfe von
sieben Pflegern hier einbringen konnten.“
Ich starre durch
das Sicherheitsglas, wo sich das Petermännchen ekstatisch zu den Klängen von Tom
Waits windet. „Es hat zu Bebop Tango
getanzt, kaum vorstellbar, sein Weibchen ist uns leider entwischt. Er ist
dummerweise auch noch ein Leittier, das die Moral der frisch Ausgesetzten mit
seinen absurden Ideen infiltriert.“ Mit verschränkten Armen und strengem
Blick schüttelt sie den Kopf, atmet tief ein und sieht mich durchdringend an. „Wir mussten handeln“, betont sie, als
sie meine hochgezogene linke Augenbraue bemerkt.
Ich sinke auf den ungepolsterten
Besucherstuhl, ungläubig, dass einem unter Naturschutz stehenden Wesen so etwas
angetan wird. „Was hat es denn
verbrochen?“, frage ich tonlos. Ich kann den Blick nicht von dem
eingesperrten Geschöpf lassen, das schüchtern versucht, mit Blicken zu
sondieren, ob ich auch eine Gefahr darstelle. Mit meinem ganzen Sein versuche
ich ihm per Telepathie zu vermitteln, dass alles gut werde und ich ihn rausholen
könne, falls er das auch wolle. Das „Jaaaaa“
fühle ich körperlich und durchdringend.
Schriller werdendes
Geplapper über schwingende Schultern und Hüften, Intellekt verspottendes freies
Tanzen, nicht altersgemäße Paarungsversuche dringt nur noch gedämpft an mein
Ohr. „Seien Sie vorsichtig!“ kreischt
sie, als ich mich von einem tiefen Blick angezogen langsam und zielgerichtet
auf die Futterklappe zubewege und meine rechte Hand durchstecke.
Seine Finger fassen
meine. Es donnert. Panzerglassplitter fliegen mir um die Ohren. In meine
Schultern krallen sich die künstlichen Fingernägel der Chefin. Er lässt nicht
los. Erschrocken über meine eigene Courage beobachte ich, wie sich ein milchiges Kraftfeld um uns beide
aufbaut. Er zieht mich näher heran, legt seinen Arm um mich. Draußen rauft sich
die Institutsleiterin kreischend die Haare. Ich höre sie nur gedämpft, wie von
ganz weit weg. Seine Augen blitzen, wir tun einen ersten Schritt und
entschwinden zufrieden lächelnd dieser Realität.
Diese Geschichte widme ich allen schrägen, wunderbar sperrigen "Petermännern", die mir beim Tango begegnet sind (und vielleicht noch werden?).
AntwortenLöschenPeter ist beim Tango tatsächlich ein guter Vorname - und es gibt auch sonst noch ein paar, die anders heißen und hoffentlich weiterhin unter Naturschutz stehen.
AntwortenLöschenVielen Dank für den tollen Beitrag!