TANGOrilla – ein neuer Podcast

Als deutschsprachiger Tangoblogger fühlt man sich derzeit ziemlich einsam: Klaus Wendel hat offenbar seine Seite „Tango Compás“ vom Netz genommen, Thomas Kröter schreibt zwar wieder ein bisschen, aber nicht explizit über Tango, und Helge Schütt zieht es seit Monaten vor, lieber täglich die Verfehlungen linksgrüner Politik zu melden. Melina Sedó hat sich zum letzten Mal im August letzten Jahres geäußert. Jochen Lüders schreibt gelegentlich mal, selbst wenn er an mir nichts zu kritisieren hat. Und sonst: Manchmal Anfänge, ein paar Artikel, dann war’s das mal wieder…

Und Cassiel schweigt seit Ende 2022 – auch wenn viele Fans sehnlichst einer Wiederauferstehung harren wie Deutschnationale am Kyffhäuser des Kaisers Barbarossa.

Vor einiger Zeit wähnte ich eines Hoffnungsschimmers gewahr zu werden: Tango-Podcasts, für mich ein ganz neues Medium.

Nachdem ich mir zwei ziemlich produktive Beispiele angehört hatte, ebbte mein Enthusiasmus deutlich ab. Was mir missfiel, habe ich in Artikeln beschrieben:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/08/verschwurbeltes-aus-der-altherren-liga.html

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/09/tango-talg.html

„Tango Talk“ scheint auch schon wieder nachzulassen. Im Februar ist jedenfalls der monatliche Beitrag ausgefallen – ohne jede Erklärung oder Begründung.

Auf den Tipp einer Kollegin hin habe ich nun den neuen Podcast „TANGOrilla“ erkundet. Im Logo umarmt ein Gorilla im Anzug eine tangomäßig Schöne. Na ja.

Bislang sind fünf Folgen nebst einem Intro erschienen.

In dieser Einleitung verspricht uns Christian Marbach „viele Informationen und interessante Geschichten“. Er will uns mitnehmen auf seine Reise zum Tango – „als Anfänger, nicht als Maestro“. Versprochen ist auch „Entertainment“. Nicht erwarten soll man „Vorlesungen von oben herab“ sowie Theorie und langweilige Darstellungen, die sich über 50 Minuten hinziehen. Dabei dürfe es auch kontrovers zugehen.

  https://www.podcast.de/episode/623508184/tangorilla-der-tango-argentino-podcast-folge-000-intro

Ich habe mir die beiden neuesten Folgen angehört. Der 4. Teil ist betitelt: „Wie du ein guter Anfänger wirst“. Geboten werden dazu 13 Tipps.

Wie kann man seine Karriere gleich zu Beginn „maximal verhauen“? Es reiche nicht, nur eine Stunde pro Woche zum Tango gehen. „Trainingsweltmeister“ werde, wer ohne Praxis einen Kurs nach dem anderen mache. Abzuraten sei auch davon, stets mit demselben Partner zu tanzen oder nur eingelernte Figuren abzuspulen. Ebenso sei eine intensive Beschäftigung mit der Musik nötig. Und man müsse die Sache positiv angehen – Meckern bringe nichts.

Zu den Tipps: Selber den Tanz zu genießen sei besser als auf die Außenwirkung zu achten. Entscheidend seien die Basics und nicht irgendwelche trickreichen Figuren. Man solle sich auch ein Netzwerk, eine Clique schaffen, um gemeinsam Lehrveranstaltungen oder Milongas zu besuchen. So könne man auch personelle Ausfälle ersetzen. Unerlässlich sei eine Beschäftigung mit der Struktur der Tangomusik, um ein „Taktverständnis“ zu erwerben. Zur Musik gebe es viele Ansichten, die aber alle subjektiv seien. Als Anfänger solle man auch um Feedback bitten.

Weiterhin müsse man so viele Erfahrungen sammeln wie möglich. Alles bringe einen weiter, auch weniger schöne Erlebnisse. Tango sollte zur täglichen Begleitung werden. Der Autor empfiehlt die „30-40-30-Regel“: Man solle 30 Prozent der Zeit mit Anfängern tanzen, 40 Prozent mit Personen ähnlichen Niveaus und 30 Prozent mit „Profis“, worunter er Partner versteht, die wesentlich besser sind. Ein frühzeitiger Rollenwechsel könne neue Perspektiven eröffnen, die „klassische Mann-Frau-Grenze“ überwinden. Und auch wer gerade nicht tanzt, könne beim Zuschauen sehr viel lernen – auch durch Lehrvideos oder, indem man sich selber beim Tango filme.

https://www.podcast.de/episode/622710856/tangorilla-der-tango-argentino-podcast-folge-004-wie-du-ein-guter-anfaenger-wirst

Ich finde die Tipps des Autors weitgehend durchaus vernünftig, wobei er die Verhältnisse im Tango schon sehr positiv darstellt. So erregte seine Aussage mein Schmunzeln, Tangolehrer würden auf den Milongas gerne mit ihren Schülern tanzen.

Ich weiß aber nicht, ob es eine gute Idee ist, die Neulinge gleich mit einer solchen Fülle von Ratschlägen und Erfahrungen zuzupflastern. Sie könnten den Eindruck haben, nun einen Großteil ihres Lebens dem Tango weihen zu müssen, was in dieser Phase eher abschreckend wirken dürfte. Ich hätte mich zunächst auf wenige grundlegende Hinweise beschränkt. Mit gut 30 Minuten überschreitet der Sprecher dann auch seine eigenen Vorgaben kräftig.     

Folge 5 behandelt „die schlimmsten Verhalten von Führenden“. In Stichworten die Charts:

8. Der monotone Roboter

7. Der alles gleichzeitig Führende

6. Das Stachelschwein (unrasierte Männer)

5. Die Angeber / Showtänzer

4. Der Armschieber

3. Der Pistenrambo

2. Die Oberlehrer

1. Die sexuell Übergriffigen

Vorgesehen sind zwei weitere Folgen zu den Folgenden bzw. den Paaren insgesamt. Man darf gespannt sein!

Hier blitzt sogar gelegentlich etwas Humor auf, und die Folge ist mit 7 Minuten erfreulich kurz. Ein wenig erinnert mich das an die viel gescholtenen „Tangotypen“ meines Buches.

Insgesamt bin ich bei diesem Podcast etwas hin- und hergerissen. Inhaltlich werden durchaus interessante Themen behandelt, und die Sichtweisen des Autors sind erfreulich bodenständig und vernünftig. Glücklicherweise vermeidet er das branchenübliche Weihrauchschwenken über den ach so glückselig machenden Tango. Oder das hundertste Interview mit irgendeiner Szenegröße. Und er kann  auf viele praktische Erfahrungen zurückgreifen.

Bei der Art seiner Darbietung ist aber noch viel Luft nach oben. So würde ich den etwas wimmerigen Tango als Kennmelodie durch eine attraktivere Musik ersetzen. Die Stimme klingt angenehm, die Sprechweise ist jeodch recht monoton und wirkt daher nicht gerade als Frischmacher. Es fehlen Pausen, Betonungen und Modulationen.

Vor allem aber hielt es Christian Marbach wohl für eine gute Idee, anhand eines vorbereiteten Stichwortzettels frei zu formulieren. Prinzipiell kann das funktionieren, wenn man viel Routine hat. An der fehlt es ihm hörbar. Ich empfehle, für den Anfang den Text schriftlich auszuformulieren und ihn dann per Sprechstil zu verändern. Oder den Vortrag wenigstens einige Male aufzunehmen und ihn jeweils kritisch anzuhören.

Immer wieder hat man den Eindruck, dass der Sprecher zögert, nach Formulierungen sucht und dann sicherheitshalber Gedanken wiederholt. Diese Redundanz wirkt für den Hörer ermüdend.

Man hat bei einem Text – ob gesprochen oder geschrieben – nur einige wenige Sätze am Beginn, bei denen der Interessent entscheidet, ob er das Ganze weiterverfolgt oder lieber wegklickt. An diesem Intro, das überraschend, vielleicht sogar witzig oder provozierend klingen sollte, muss man hart arbeiten. Ebenso wichtig ist ein abschließendes, knackiges Fazit.

Die in der Einleitung mehrfach versprochene „Unterhaltung“ bleibt der Autor bislang weitgehend schuldig. Oft hört es sich leider doch wie eine etwas dröge Abhandlung an – und genau das wollte Christian Marbach laut eigenem Bekunden doch vermeiden!

Aber an alledem kann man ja arbeiten – so wie beim Tango, wo der Autor zu Recht gegen das einschläfernde Abspulen von Schrittfolgen zu Felde zieht.

Daher wünsche ich dem sympathischen Kollegen viel Erfolg mit seinem neuen Podcast – möge er es krachen lassen und so die Szene aufwecken! 

P.S. Was das mit dem Affen soll, habe ich leider nicht herausgefunden. Meine Nachforschungen ergaben jedoch: Auch Gorillas können tanzen. Allerdings scheint ihnen Breakdance näher zu liegen als Tango.


https://www.youtube.com/watch?v=VNKyG4C2VlA

Kommentare

  1. Habe mal probehalber eine Folge gehört. Ergebnis: ich mag Podcasts immer noch nicht. Zu seriell. Okay für Musik und Filme. Ansonsten bestimme ich das Tempo bei der Info-Aufnahme lieber selbst. Zumal der Sprecher wirklich etwas Training gebrauchen kann. Wobei mir gerade einfällt, daß es inzwischen recht gute KI-gestützte Tools für Transkripte (Sprache zu Text) gibt.

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    1. O je, KI... Ich hoffe schon, dass ein guter Sprecher da noch mehr zustandebringt.
      Wenn man Podcasts gestaltet, muss man die Hörer permanent daran hindern, Passagen zu überspringen oder gleich ganz wegzuschalten. Das sehe ich bei den Tango-Podcasts noch nicht.

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