Der Weiber ewig Weh und Ach


Ich finde, nun wurde erstmal genügend beklagt, dass Frauen aus einer Vielzahl von Gründen beim Tango oft nicht aufgefordert werden: zu wenig bekannt, zu alt, zu dick, zu hässlich, zu unspektakulär gekleidet, ohne Cliquen-Anschluss, vielleicht sogar zu schlecht tanzend – was auch immer.

Der entsprechende Münchner Facebook-Post von Lisa Schönheinz erzielte über 500 Kommentare (und bewies unter anderem, dass es im Tango Männer gibt, bei denen der Wohnort Neanderthal noch geschmeichelt erscheint).

Wackere Blogger wie Thomas Kröter und meine Wenigkeit haben sich natürlich sofort für die ignorierten Damen ins Zeug geschmissen und engagierte Texte verfasst:  

Und zumindest ich darf stolz auch von einigen steinzeitlichen Keulenschlägen berichten, die mich aus dem Isar- und Leinetal trafen. Man lässt sich ja gerne eins auf die Hucke geben, wenn man sich als Riedl von der traurigen Gestalt für seine Dulcineas von Toboso mit diversen Windmachern anlegt. (Diese Premium-Formulierung hat mich zwei Tassen Kaffee gekostet...)

Allerdings sind Tatsachen die natürlichen Feinde von Einstellungen: Ich war in den letzten fünf Tagen viermal beim Tango und habe (wie schon so oft) genauer darauf geachtet, von wem denn die Initiative für einen gemeinsamen Tanz ausgeht. Nach der heiligen Lehre vom alleinseligmachenden Cabeceo könnten ja beide Geschlechter gleichermaßen aktiv werden.

Ich habe hierzu ganz schlechte Nachrichten: Kaum einmal konnte ich weibliche aktive Miradas registrieren, schon gar nicht von der „focussierten Dringlichkeit eines Flugabwehrscheinwerfers“, wie es Kollege Kröter in seinem Artikel so putzig formuliert. Nein, die Flakhelfer waren, wie in jedem Krieg, Männer. Daher: Das Blickelei-System mag theoretisch gleichberechtigt sein – in der Praxis sind es jedoch die Kerle, welche dabei schalten und walten (und daher dieses Ritual mit Zähnen und Klauen verteidigen).

Zudem treibe ich mich ja eher auf Veranstaltungen herum, wo direkt und verbal auffordernde Weiber nicht sofort der Hexenverbrennung anheimfielen. Das Ergebnis hierzu ist leider noch deprimierender: Außer im persönlichen Nahfeld traut sich das kaum eine. Stattdessen sitzt man passiv herum und wartet auf das Hufgetrappel des Märchenprinzen (respektive von dessen edlem Zossen).

Kleine Anekdote am Rande: Es gelang mir diese Woche erstmals, eine Tänzerin aus meiner lokalen Szene aufzufordern, welche seit mehreren Jahren mehrmals im Monat meinen Weg kreuzt. Aber es ist unglaublich, was manchen Damen alles einfällt, um sich einer Tanzeinladung zu entziehen: Man kann ewig mit Freundinnen quatschen, sich eine Stunde lang von einem Typen zutexten lassen, während der Cortina aufs Klo rennen, sich etwas zum Trinken besorgen oder eine halbe Stunde lang Kuchen essen – und natürlich überhaupt nicht auf seine männliche Umgebung achten. Und auf dass man nun keiner glaube, die Tänzerin hätte sich mir absichtlich verweigert: Ihre Reaktion auf den endlich stattfindenden gemeinsamen Tanz schließt das aus!

Interessanterweise hat sich bei der obigen Münchner FB-Debatte auch eine Tanguera  zu Wort gemeldet, die mir vor fast zwei Jahren schon eine Mail schrieb:

„Ich war bislang auf 4 Milongas und bin nicht EINMAL aufgefordert worden. Dabei weiß ja kein Mann, wie ich tanze. Ob gut, schlecht, mittel...Ich sehe auch ok aus.....Würde ich stricken, nähme ich mein Strickzeug mit.
Ich gehe nicht mehr hin und möchte mein Geld lieber für eine Privatstunde bei einem guten Tangolehrer sparen. 
Für mich ist das eine eingeschworene Szene, die sich kennt und ich gehöre nicht dazu, vielleicht versuche ich es in ca. einem Jahr noch mal, wenn ich bis dahin durchhalte......ist halt schwer ohne Tanzpartner, 
Sorry, das interessiert Dich wahrscheinlich alles gar nicht...“

Doch, natürlich: Ich empfahl ihr umgehend eine gute Tangolehrerin (natürlich Sonja Armisén aus München) und lud sie zu unserer „Wohnzimmer-Milonga“ ein. Doch das war ihr, da sie kein Auto besitzt, zu aufwändig:

„Die Fahrtkosten von 28 Euro Bayernticket sind mir zu teuer, und ich habe mich nach den Ausgaben von Workshops und Milongas, entschieden, für meine Tangokarriere meine Kosten im überschaubaren Rahmen zu halten.
Für die Kohle, die ich bislang für irgendwelche Workshops oder Milongas etc. ausgegeben habe, hätte ich locker 2 Privatstunden nehmen können.“ 

Selbst unser Angebot, sie vom Bahnhof abzuholen und per Auto nach Pörnbach zu transportieren, konnte sie nicht überzeugen. Allenfalls käme eine (natürlich von uns zu vermittelnde) Fahrgemeinschaft in Frage.

Selbstverständlich erschien sie nie bei uns, stattdessen – so lese ich nun mit geringem Erstaunen – ist sie weiterhin davon frustriert, im Münchner Tango ignoriert zu werden… Ob das gebührenfrei ablief? Und übrigens: Bei der Tangolehrerin Sonja Armisén passte es nach ihrem Dafürhalten wegen der unterschiedlichen Körpergröße nicht.

Ja, dann nicht, liebe Tante!

Eine andere Geschichte habe ich schon einmal in einer Tagebuch-Notiz erzählt. Auf einem Tangoforum beklagte sich eine Münchner Anfängerin bitterlich über den dortigen schlechten Tangounterricht:

Wir waren bei drei verschiedenen Schulen, und es war überall so. Teilweise war der Unterricht so mau, dass man zusätzlich noch Technik-Trainings besuchen muss, in denen man ohne Partner übt. Klar, ist auch wichtig, nur reicht das?“ (…)
„Kennt jemand eine/n gute/n Tangolehrer/in in München, wo das Führen und die absoluten Basics im Vordergrund stehen?“

In dem Fall empfahl ich Alfredo Foulkes in Gröbenzell. War aber auch nix:
„Danke, Gerhard, auch für deinen Tipp! Nur Gröbenzell ist von hier aus eine halbe Weltreise entfernt. Innenstadtnah wäre gut.“

Ich antwortete ihr damals:
„…da haben wir ein Problem, auf das ich im Tango immer wieder stoße: Man will das Optimale, es soll aber bitteschön bequem sein und keine Mühe machen. Häufig antwortet der Tango einem da: ‚Denkste‘...
Ich weiß, dass für die Münchner Orte wie Gröbenzell in gefühlter Nähe des Polarkreises liegen. Aber jedem nach seinem Gusto...“

Daher, meine Damen:

Ich werde (auch) beim Tango weiterhin tapfer, energisch und wohl erfolglos für die Frauenrechte zu Felde ziehen. Nur sage ich euch eins: Passiv herumzusitzen und anschließend an die Tastatur eilen, um seinen Weltschmerz lediglich auf Facebook zu posten, wird die Welt nicht ändern, schon gar nicht im Tango!

In solchen Fällen sinkt meine Lust, zu helfen, drastisch.

Und wenn wir bei unserem Tanz schon die 1940-er Jahre zelebrieren, sei an vier Frauen erinnert, die man (übrigens erst seit 1976) als „Mütter des Grundgesetzes“ kennt. Voller Respekt darf ich sie hier nennen:

Dr. Elisabeth Selbert (SPD)
Friederike Nadig (SPD)
Dr. Helene Weber (CDU)
Helene Wessel (Zentrumspartei)

Neben 61 Männern (welch eine Quote!) saßen die vier 1948 im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz erstellte. Und es ist insbesondere der Rechtsanwältin Elisabeth Selbert zu verdanken, dass dessen Artikel 3 Abs.2 bis heute lautet: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Übrigens auch im Tango…

So deutlich wollten es nämlich die Herren, auch in ihrer eigenen Partei, nicht formuliert haben. Allerdings nervte Selbert dann so lange, bis es drinstand. Die Sozialdemokraten haben es ihrer engagierten Genossin nicht gedankt: Sie erreichte kein Bundestagsmandat, und auch ihre Ernennung als Richterin am Bundesverfassungsgericht scheiterte 1958. Daher arbeitete sie anschließend wieder als Familienanwältin in Kassel – und das bis zu ihrem 85. Lebensjahr.

Eine Mischung aus Schmunzeln und Wehmut ergreift mich, wenn ich mir die vier „Mütter des Grundgesetzes“ ansehe:

Hätten sie beim Tango auch nur die geringste Chance gehabt, aufgefordert zu werden? Nein. Ich bin mir aber sicher: Wenn sie es denn gewollt hätten – einen Korb hätte niemand gewagt!

Kommentare

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