Lieber die Puppen tanzen lassen!
„Bedarfs noch ein Diplom besiegelt?
Unmögliches hast du uns vorgespiegelt“
Unmögliches hast du uns vorgespiegelt“
(Johann
Wolfgang von Goethe an den Zauberkünstler Ludwig Döbler)
Zunehmend
finden sich in den Programmen von Tangoschulen auch Offerten für „Tangolehrer-Ausbildungen“.
Der Grund
ist nicht eben schwer zu erraten: Verfolgt man das äußerst ambitionierte, wenn
nicht illusionäre Ziel, vom Tango leben zu wollen, kommt man mit dem
Veranstalten von Milongas nicht über die Runden (jedenfalls solange die Szene
sich weigert, zweistellige Eintrittspreise zu entrichten): Angesichts von Saalmieten, GEMA-Abgaben,
Kosten für die Beschallung respektive Bereitstellung von Salzbrezeln erscheint
die Gewinnerwartung eher trübe.
Tangokurse
geben da schon mehr her, wenngleich man hierbei zu gewärtigen hat, dass viele
Kunden bald wieder abspringen – spätestens, wenn das pädagogische Konzept sie
doch stark an die alten Schultanzkurse erinnert bzw. sie erkennen, dass die
erhofften „neuen Figuren“ wenig bringen, wenn man herumeiert wie Lämmerschwanz.
Eine hohe
Gewinnmarge böte natürlich die Veranstaltung von Tangoreisen, welche allerdings das Know how eines Reiseverkehrskaufmanns erforderten, welches in der Gemeinschaft der Tangoveranstalter nicht
eben weit verbreitet ist.
Warum also
nicht die Sehnsucht der Kundschaft erfüllen, den steinigen Weg zur eigenen
tänzerischen Perfektion zu überspringen und lieber gleich anderen zu zeigen, wo
der Hammer hängt? Selig die Eunuchen, denn sie wissen, wie’s geht…
Eine
Rundreise durchs Internet hat mir deutschlandweit zirka ein Dutzend Angebote
dieser Couleur gezeigt, welche ich hier allerdings barmherzigerweise nicht
individuell zuordnen will (notfalls kann man das Suchwort
„Tangolehrerausbildung“ ja googeln).
Um gleich
zum Wichtigsten, also der Kohle, zu kommen: Bis auf zwei – sagen wir einmal
freundlich – „exotische Angebote“ umfasst die „Ausbildung“ im Schnitt gut 100
Stunden und soll mit Gagen im Bereich von 2000 € entlohnt werden,
mithin ein Stundenlohn um die 20 €. Hierzu muss man wissen, dass dabei Gruppenunterricht
in der Größenordnung von fünf Paaren stattfindet, für das Lehrpersonal somit brutto
ungefähr 200 € pro Stunde herausspringen – und dies ohne merklichen
Mehraufwand: Der Tanzsaal steht ja vormittags eh leer! Zusatzleistungen halten
sich in engsten Grenzen: Gelegentlich werden Gratis-Getränke oder auch mal ein
Süppchen angeboten, im typischen Fall lässt man die Schüler aber auf dem
Trockenen sitzen. Häufig werden denen die Ausbildungseinheiten an Wochenenden mit
zirka sechs Stunden täglich reingedrückt.
Der große
Vorteil besteht darin, bei der „Tangolehrerausbildung“ gleich eine Menge
Unterricht auf einmal zu verkaufen – oft mit Vorkasse zu Beginn. Manchmal ist
Ratenzahlung möglich, eine Rückerstattung bei Abbruch der Schulung wird
typischerweise ausgeschlossen. Offenbar befürchtet man eine hohe „Aufgaberate“,
wenn die Aspiranten bemerken, dass sich Lehren doch nicht ausschließlich im
gescheiten Daherreden erschöpft…
Oft genug
finden sich versteckte „Nebenkosten“, zum Beispiel der Hinweis, die Aspiranten
müssten vorher schon normale Kurse bei diesen Lehrern absolviert haben. Beträge für „Exkursionen“ in europäische Tangometropolen haben selbstredend die
Teilnehmer zu tragen. Aufschlussreich ist auch die Voraussetzung: „Nachweis über 50 h externe Körperarbeit im
Laufe der Ausbildung (Feldenkrais, Alexander-Technik, Yoga etc.)“. Nun,
nachdem der Ausbilder hier ebenfalls Feldenkrais-Trainer ist, sollte sich das
doch machen lassen…
Gemessen am
Zeitaufwand sind die Beschreibungen der Lerninhalte eher frugal und passen oft
in ein paar Zeilen. Nicht immer allerdings sind sie so schön formuliert wie die
eines „Tangotrainers“, welcher mit 15 (ermäßigt 10) € Stundensatz allerdings
auch sehr preiswert ist:
- Bewegung im Salon
- Molinete (Drehpunkte)
- Ocho (Vorwärts- und Rückwärts-Acht)
- Pie Cruzado (Fußkreuz)
- Aufwärm-Technik
- Gender Studies - Grundlagen für den Tango - hegemoniale Männlichkeiten
- TangoTalk – Themenfundus
- Umgang mit Paarkonflikten im Unterricht
Wer kann sich nun für eine
„Tangolehrer-Ausbildung“ melden? Nach meinen Recherchen ist die wichtigste
Voraussetzung, dass man über das entsprechende „Kleingeld“ verfügt. Ansonsten
werden die Hürden marketinghalber eher niedrig angesetzt. Ein paar Beispiele:
·
Ernsthaftes Interesse am
Unterrichten und 2 bis 3 Jahre intensive Tangoerfahrung
·
Du bist bereits
Tangolehrende(r) oder hast vor es zu werden. Du verfügst über fundierte
Kenntnisse im Führen oder Folgen und mindestens über Mittelstufenkenntnisse in
der anderen Rolle.
·
Du solltest einige
Jahre Tango intensiv getanzt und gelernt haben, damit es Sinn macht, die
Ausbildung zu machen.
·
Voraussetzung: Lust
zum Lernen
·
Alle Paare (auch ohne
tänzerische Vorkenntnisse), die Musik und Bewegung lieben, sich gerne dazu
ausdrücken und andere dazu hinzuführen wollen, erste Schritte im Tango
argentino zu gestalten. (Hierbei ist das Ziel allerdings nur der „zertifizierte
Leiter unseres 6-stündigen Einsteigerkurses“)
·
Die Ausbildung
richtet sich vor allem an
Männer mit wenig bzw. keinen Tango-Vorkenntnissen.
Merke: „Ein hervorragender
Lehrer muss keineswegs bereits ein exzellenter Tänzer sein - das kann dann ja noch werden.“
Na eben!
Na eben!
Zum Abschluss der Ausbildung findet
häufig eine Prüfung (z.B. „Lehrprobe“) statt – gelegentlich inklusive Zahlung
von „Prüfungsgebühren“, und es wird ein „Zertifikat“ erteilt, welches, da
„Tanzlehrer“ hierzulande kein anerkannter Ausbildungsberuf ist, in etwa das
Gewicht des bedruckten Papiers hat. Weswegen nicht wenige darauf verzichten und sich von heute auf morgen einfach „Tangolehrer" nennen...
Haben
solcherlei Offerten (außer natürlich zur Alimentierung der Lehrkräfte)
irgendeinen Nutzen? Nun, für manche Naturen mag es eine Befriedigung sein, wenn
sie sich nun „Tangolehrer“ nennen können und zu Hause im Schmuckrahmen ein
buntes Diplom (möglichst in Spanisch) hängt. Selbstredend können sie hinfort
Tangounterricht anbieten, was allerdings ohne den realen Aufwand von mindestens 6000 € brutto pro Paar (inklusive Fahrtkosten, Hotel und
Verpflegung) ebenso möglich gewesen wäre.
Vor allem
aber sind die angebotenen zirka 100 Unterrichtsstunden natürlich viel zu wenig.
Eine Tanzlehrerausbildung beim Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband (ADTV)
dauert 3 Jahre, d.h. bei Zugrundelegung einer 40-Stunden-Woche und vier Wochen
Jahresurlaub über tausend Stunden. (Selbstredend müssen die Azubis wohl auch die
Bar bedienen und Gläser spülen – was in der Tango-Schulungszeit so alles passiert, wird allerdings gleichfalls nicht detailliert kundgetan…) Und:
Man erhält eine Ausbildungsvergütung von 300-400 € monatlich!
Vor diesem
Hintergrund ist es grober Unfug, Menschen mit wenigen Jahren (oder gar keiner)
Tangoerfahrung weiszumachen, sie könnten nun per „Schnellbleiche“ Tangolehrer
werden. Dennoch wird man sie bei der „Abschlussprüfung“ wohl nicht durchfallen
lassen – das war’s dann aber auch schon… Wer den Anspruch erhebt, Tango gegen
gutes Geld zu vermitteln, sollte schon über eine zweistellige Zahl von Jahren
in diesem Metier verfügen – und eine höhere vierstellige Summe von Stunden auf
der Piste. Eigene Tanzpraxis ist durch nichts zu ersetzen!
Aber muss
man denn alles im Tango kommerzialisieren? Im Resultat landen wir wieder bei
der Alternative „Subkultur oder Branche“ (siehe http://milongafuehrer.blogspot.de/2015/06/tango-von-der-subkultur-zur-branche.html). Letztlich
unterrichtet jeder Tango, der dem anderen auch nur eine Kursstunde voraus ist
und ihm den „Schritt“ der versäumten Lektion vormacht. Jahrzehntelang haben die
Altvorderen des Tango untereinander trainiert, und die weniger Geübten profitierten
von Erfahreneren. Tanzte man in diesen hochgepriesenen Jahren des „Goldenen
Zeitalters“ so viel schlechter – so ganz ohne Diplome, Zertifikate, Lehrvideos
und „Workshops“?
Bekanntlich
habe ich selber verfügt, mich unter Betreuung zu stellen, sollte ich mich
jemals „Tangolehrer“ nennen. Ich erinnere mich allerdings an viele Übungsstunden in
unserem Wohnzimmer, in dem nicht nur unsere monatlichen Milongas
stattfinden, sondern oft ganz spontane „Practica" mit Menschen, welche
selten oder nie „Tangounterricht“ hatten. Und ich kenne Frauen, die mit uns ohne jede
„Expertenunterweisung“ führen gelernt haben – und es inzwischen besser können
als viele Männer.
Allerdings –
das muss ich zugeben – erklingt bei uns dazu weitgehend „untanzbare“ Musik, die
immer wieder unseren Ehrgeiz anstachelt, anstatt uns via „Di
Sarli-Endlosschleife“ ins künstlerische Koma zu versetzen. Die Folge, für die
Pleite etlicher Tangoschulen mitverantwortlich zu sein, nehmen wir
gelassen hin!
P.S. Wer
trotzdem Tangolehrer werden will, findet hier eine köstliches
Anforderungsprofil:
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