Alfredo, ein komischer Argentinier



Alfredo Foulkes hat so gar nichts von dem Argentinier-Klischee, dem ich in meinem Tangoleben so häufig begegnet bin: klein, Pferdeschwanz, unnahbar, mit starrem Blick keine Notiz von mir nehmend – im Gegenteil! Wenn wir uns in Gröbenzell oder sonst wo beim Tango sehen, huscht immer dieses Lachen über sein Gesicht, bei dem auch abends die Sonne aufgeht, und in der folgenden, stets nach einem herrlichen Rasierwasser duftenden Umarmung, begrüßt er mich mit „Hola, Mago!“.

Alfredo ist in seinem Wesen ein kleiner Junge geblieben, daher beeindruckt es ihn sehr, dass ich Zaubervorstellungen gebe – so bin ich beim ihm stets „El Mago“, der Zauberer! Anschließend bekomme ich unvermittelt das zu hören, was ihn in diesem Moment beschäftigt – eine Antwort freilich kann ich mir sparen, da ist er schon beim nächsten Gast. Alfredo gibt es nur in Bewegung!

Kennen gelernt habe ich den Argentinier an den legendären Tangoabenden in der Musikkneipe „Brückerl“ am Langwieder See. Fast jeden Mittwoch kam er dort, nach einem anstrengenden Berufstag, völlig ausgehungert an, und nach dem Verzehr einer riesigen Pizza war er gerne bereit, die anwesenden Damen ausgiebig und aufopferungsvoll zu betanzen. Als auf dieser Milonga die Beschallung zunehmend fader und schrammeliger wurde, vertraute er mir einmal – wie stets in seinem Rudi-Carrell-sympathischen Hispano-Deutsch, seine grundlegende Sichtweise zur Tangomusik an: „Weissdu, die meisde Musiger von diese Dangostügge sitzen schon im Hiimmel un schaue zu, wenn wir zu ihre Musig danzen – und ofd sage sie: ‚Ogodd, was mache die da, das is nicht unsere Musig, unn wir habe so viel geübd un uns bemühd…’“

Als Alfredo dann im „Gesundheitszentrum Gröbenzell“ damit begann, monatliche Tangoabende zu veranstalten, waren wir natürlich dabei – und sind es, wie viele seiner Stammgäste, bis heute geblieben. Die Palette an Musik, die er dort auflegt, ist riesig und Lichtjahre entfernt von der zumeist eher trostlosen Berieselung auf Münchner Milongas. Es ist seine Schuld, dass ich Sängerinnen wie Lidia Borda, Adriana Varela oder Liliana Barrios kennen lernte und nicht mehr davon lassen kann.

Daneben enthält die von ihm zusammengestellte „Jahres-CD“, die er seinen Besuchern schenkt, immer eine deutliche Portion Elektrotango. Vorsichtshalber nennt er seine Veranstaltung nicht „Milonga“, denn dann – so vertraute er mir einmal an – müsse er ja nach bestimmten Regeln wie Tandas und Cortinas auflegen. So aber nimmt er sich alle Freiheiten, entsteht diese einmalige, dynamische Mixtur, eben der „Alfredo-Stil“. Seit einiger Zeit stellt er immer ein Musikthema in den Mittelpunkt, meist ein nicht sehr bekanntes Orchester, gerne auch aus frühen Tangojahren.

Es wäre jedoch übertrieben zu behaupten, dass die meisten seiner zahlreichen Gäste nur das Tanzen im Sinn haben: Für zehn Euro Eintritt hat man auch alle Getränke frei, soll jedoch einen Beitrag zum „Fingerfood-Büfett“ mitbringen. Im „Ernährungs-&Trinkbereich“ ist es daher ziemlich laut, aber was macht’s? Ich kenne die meisten von Alfredos Lieblingsstücken inzwischen auswendig und kann daher trotzdem darauf tanzen!

Ebenfalls schon Wort für Wort mitsprechen kann ich seine legendäre „Mitternachtsrede“, mit der er seine Verlosung einleitet. Neben „etwas Kitschig aus Argentinien“ ist dabei der Hauptpreis sehr beliebt: Ein brennendes Laternchen, welches an den Namen seiner Veranstaltung erinnert: El Farolito. Noch begehrter freilich ist ein Tanz mit dem Hausherrn – und wenn ich diese sensiblen Bewegungen sehe, den dunklen Lockenkopf und die Glubschaugen, und dann noch eine Frau wäre… Gott sei Dank bin ich keine!

Alfredo unterrichtet auch Tango – und wenn ich mit einer seiner Schülerinnen tanze, höre ich seine Worte: „Tango ist ein reiner Interpretationstanz – aber zur Musik!“ In der Tat spüre ich keine auswendig gelernten Schritte, sondern die Sinnlichkeit und Lebenslust, die er auch in seinen Kursen vermittelt. In der Rundfunksendung „Tangomanía in München und anderswo“ („Bayern 4“, 18.11.07) hat er seine grundlegende Sichtweise so ausgedrückt: „Das ist das Schwierigste überhaupt im Tango: Da sind zwei Menschen, die sich begegnen, und das kann fast zu einer Einheit werden, aber jeder ist trotzdem für sich!“

Alfredo Foulkes war in Argentinien professioneller Volleyballspieler und Diplomsportlehrer, als er mit 23 Jahren vor den politischen Verhältnissen floh und nach Deutschland, der Heimat einer seiner Urgroßmütter, emigrierte. Wie er dies (in obiger Radiosendung) beschreibt, sagt viel über sein Wesen aus: „Ich bin während der Militärdiktatur in Argentinien ausgewandert – aus philosophischen Gründen war ich nicht so dafür.“

 Bei aller Aufgeschlossenheit lässt er uns nicht in sein Herz schauen (wenn er es denn selber tut). Dass er somit den umgekehrten Weg ging wie die Väter des Tango argentino, ist ihm wohl sehr bewusst: „Ich glaube, Tango ist ein ganz einfacher Tanz, der auch von ganz einfachen Menschen entwickelt wurde. Wir müssen bedenken, dass aus Hunger und Not Menschen aus Europa zum Beispiel nach Südamerika ausgewandert sind in der Hoffnung auf bessere Chancen – und diese Chancen kamen zum Teil nicht.“

Er beschreibt auch, wie er den Tanz wieder entdeckte, den schon seine Eltern auf der allsonntäglichen Milonga pflegten: „Hier in München lernte ich in einem griechischen Lokal einen sehr, sehr talentierten Tangolehrer aus der Türkei kennen. Das war sehr interessant, und ich muss darüber immer wieder lachen: Das ist Tango, das ist eine Mischung aus verschiedenen Kulturen, mit verschiedenen Herkünften und Geschichten!“
Wahrlich, Alfredo ist keiner von denen, die ihren Tango mit dem allenthalben verbreiteten „authentisch-argentinisch-Gedudel“ bewerben (obwohl er dafür mehr Gründe hätte als andere)! Er ist ein Weltbürger mit einem multikulturellen Verständnis dieses Tanzes. Kein Wunder, dass es den Lehrer in ihm drängt, Jugendliche für den modernen Tango zu begeistern (Projekt „El Farolito Juvenil“). Dass er dabei Spenden  zur Unterstützung eines Hilfsprogramms für Straßenkinder in seiner Heimatstadt Mendoza sammelt, zeigt, wie wenig er die Not in seiner Heimat vergessen hat..

Ich hoffe, dieser „komische Argentinier“ wird uns noch lange erhalten bleiben: Hinter seinem kleinen DJ-Tischchen in Stapeln von CDs wühlend, Gäste begrüßend, in jeder freien Minute tanzend, und dazu seine Partnerin Angelika, die sich aufopfernd-freundlich um die Besucher kümmert, Getränke heranschleppt, Gläser aufräumt – und natürlich ebenfalls tanzt. Und schon der Gedanke an Alfredos breites Grinsen, sollte er jemals diesen Artikel lesen, ist die Mühe wert, ihn geschrieben zu haben!

Werbung:
Tangofest „El Farolito“ im Gesundheitszentrum Gröbenzell
Danziger Str. 28, 82194 Gröbenzell, samstags ab 21 Uhr
www.gesundheitszentrum-groebenzell.de

Und hier noch ein großes und ein kleines Kind:

 

Kommentare

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    1. Den obigen Kommentar musste ich leider löschen, da der vollständige Name des Autors fehlte. Wenn Sie dies nachholen und den Text noch einmal einreichen, kann ich den Beitrag gerne hochladen!

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  2. Zum Stichwort "Gesundheitszentrum Gröbenzell" habe ich bisher immer instinktiv Schwangerschaftsgymnastik und Ski-Zirkeltraining assoziiert und schnell weitergeklickt. Das war wohl ein Fehler, den ich schnell korrigieren sollte. Danke, Joachim Beck

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    1. Allerdings, aber noch ist es nicht zu spät.
      Ein schönes Zitat von Ray Bradbury ("Fahrenheit 451"): "Beurteile ein Buch nie nach seinem Einband!"
      Bis bald im "El Farolito"!

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  3. Gestern war ich wieder einmal im "El Farolito": Tolle Musik wie immer, allerdings ein Riesenansturm von Gästen. Grob gesagt lande ich derzeit entweder auf Veranstaltungen, wo ich viel Platz zum Tanzen habe, aber wenig Gründe - oder umgekehrt.
    Ein Lichtblick: Als Alfredo einen Titel in zwei verschiedenen Einspielungen auflegte und ankündigte "Das musst du jetzt interpretieren", wurde das Parkett etwas leerer. Vielleicht sollte er das öfters mal sagen...

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