Auf Musicality Tour

 

Eine Tangofreundin hat mich heute auf Pepa Palazón aufmerksam gemacht – ein Name, den ich bislang nur von der Fernsehsendung „Tengo una pregunta para vos“ („Ich habe eine Frage an Sie“) kenne, wo die Tänzerin Tango-Berühmtheiten interviewt.

Offenbar ist sie auch reisend unterwegs, um „Tango-Musikalitäts-Kurse“ zu geben. In einem Video dazu fragt sie, ob man die rhythmische Basis der „Variation“ im Titel „Nochero soy“ von Pugliese tanzen könne.

Wenn nicht, so die erwartungsgemäße Antwort, solle man doch mit ihr kommen. Nun tanzt sie es vor, wobei es „Marcatos“, Stopps, fortlaufenden Synkopen und die Umsetzung des Tutti-Schlusses gibt.

Das sei nur ein kleines Beispiel der bevorstehenden Arbeit. Zuerst werde einzeln an jedem musikalischen Element gearbeitet, das man zu hören lernen müsse, um es dann mit dem Körper umzusetzen. Und viel dazu tanzen sollte. Dann gehe man in die Tiefe, um die Musik der verschiedenen „typischen Orchester“ umzusetzen. Dabei müsse man dann auch die Entwicklung der einzelnen Formationen berücksichtigen: Ein Troilo aus den Vierzigern sei halt völlig anders als eine Aufnahme dieses Ensembles in den Fünfzigern.

Versprochen wird auch persönliches Feedback sowie exklusives Videomaterial für die Studierenden. Man möge sich nun anmelden, da sie gerade neue Gruppen zusammenstelle. Sie verspricht, dass sich dadurch die Art des Hörens grundlegend verändere. Und das würde natürlich den eigenen Tanz umformen und bereichern.

https://www.youtube.com/watch?v=w9R-1I6YqXM

Wer möchte, kann sich auf ihrem YouTube-Kanal eine große Zahl solcher Schnipsel betrachten:

https://www.youtube.com/@pepapalazon

Hier zum Beispiel die Halloween-Ausgabe zu Di Sarli (eine Angabe zur Schaffensperiode fehlt leider):

https://www.youtube.com/shorts/5TC8ZkBvnng

Und nun die Umsetzung eines Piano-Solos (vorsichtshalber ohne Schüler):

https://www.youtube.com/shorts/pxlmt-crbpw

Mich erheitert es sehr, mir gerade beim vorstehenden Video auszumalen, wie viele Mitglieder unserer lokalen Szenen dabei umhereiern würden! Ich kann mich noch gut an ein Gespräch mit einem solchen Vertreter zum Thema „Musikalität“ erinnern, das er mit dem Satz beendete: „Also, um die Musik kann ich mich nicht auch noch kümmern!“

Dabei gestehe ich gerne, auch schon versucht zu haben, anderen Tipps zum musikalischen Tanzen zu geben – sogar per Video (mit 360 Zugriffen eines der meistgesehenen):

https://www.youtube.com/watch?v=rV-8omaKqUw

Die Aggressivität, welche mir damals entgegenschlug, die krampfhaften Versuche, mir „Fehler“ nachzuweisen, belegen, um welch „heißes Eisen“ es sich dabei handelt.

Auch meine persönlichen Erfahrungen zeigen mir immer wieder: Wer die Details der Musik nicht wahrnehmen kann, dem helfen solche Lehrgänge wenig bis gar nichts!

Geradezu verwegen finde ich das Versprechen, nun speziell zu jedem großen Orchester tanzen zu lernen, gar auf einzelne Schaffensperioden einzugehen. Wie lang soll ein solcher Lehrgang dauern? Jahre?

Vor allem scheint es das Hauptziel zu sein, das Gehuppse der Tangolehrerin nachzutanzen. Ermutigung zu Improvisation oder gar Kreativität? Anscheinend Fehlanzeige…

Natürlich beziehen sich die Lehrgänge vor allem auf das begrenzte Segment der „Goldenen Epoche“. Und gerade dort sind die melodischen und rhythmischen Manöver überschaubar, weshalb diese Aufnahmen ja sehr beliebt sind. Auch ohne großes musikalisches Talent kann man sie einigermaßen mittanzen. Wobei man dann natürlich viele Noten „auf dem Parkett liegen lässt“.

Wer es wirklich lernen will, die Musik besser zu interpretieren, braucht dazu keine teuren Kurse oder Workshops, sondern vor allem einen starken Willen und viel Geduld. Von heute auf morgen geht da gar nichts!

Voraussetzung wäre schon mal, sich eine größere Sammlung von Tangomusik zuzulegen – je vielgestaltiger, desto besser. Und die sollte man sich oft alleine anhören – ob im Wohnzimmer oder im Auto. In der Praxis ist das Gegenteil üblich: Die Leute sitzen in den Milongas mit dem Rücken zur Tanzfläche oder sind in lange Gespräche vertieft. Nach der Aufforderung wird dann noch eine halbe Minute gequasselt. Sorry – dann ist es zu spät!

Viel besser wäre es, die Augen auf dem Parkett zu lassen und zu beobachten, wie die einzelnen Paare die Musik interpretieren. Wenn man Glück hat (was früher häufiger war), sieht man sehr gut Tanzende. Diese Beobachtung ist kostenlos – im Gegensatz zu teuren Workshops, wo man auch nur dem Lehrpersonal zusehen und etwas nachtanzen soll. Ansonsten gibt es Tausende von YouTube-Videos mit stimmigen Tanzvorführungen.

Man sollte Kurse meiden, in denen man mit zu viel Choreografie eingedeckt wird. Sonst ist man mental vor allem mit den „Figuren“ beschäftigt, anstatt auf die Musik zu hören. Wenn Sie Bewegungen improvisieren, sind Sie wahrscheinlich dem gespielten Stück näher.

Geben Sie einander genügend Raum – das vorschriftsmäßige dauernde Aneinanderpappen verhindert ganz viele Lerneffekte! Wer mehr Platz hat, kann die Bewegungen zur Musik besser darstellen. Und lernen Sie voneinander, anstatt dem „Führungsbefehl“ zu folgen! Ich las neulich auf Facebook den genialen Spruch: „Führst du noch oder tanzt du schon?“

Ich habe jedenfalls das musikalische Tanzen in erster Linie von guten Partnerinnen gelernt, die mir immer wieder Impulse gaben, indem sie sich eigenständig bewegten.

Gerade erst erhielt ich von einem Tangolehrer den Kommentar, ein Großteil des Durchschnitts-Publikums sei nicht in der Lage, zu dem zu tanzen, was ich auflege. Mir lag die Frage auf der Zunge, warum er es ihnen dann nicht beibringt! Wahr ist allerdings: Die Lernenden werden heute meist darauf konditioniert, „schwierigere“ Musik zu meiden. Dann gehen öde Klänge und langweilige Bewegungen eine schreckliche Symbiose ein.

Sorry, aber wer weiterkommen will, muss sich auf Experimente einlassen – musikalisch und in der Wahl des Tanzpartners. In der Praxis ist leider genau das Gegenteil der Fall. Und man darf keine Angst davor haben, dass etwas schiefgeht. Gerade das ist der Motor der tänzerischen Evolution! Leider steht die heute weitgehend still und hat einen „Tango der Quastenflosser“ hinterlassen.

Aber, wie gesagt: Je nach musikalischer Begabung ist der Spielraum der Verbesserung unterschiedlich groß!

Liebe Leserinnen und Leser,

es steht Ihnen natürlich völlig frei, mir all das nicht zu glauben und lieber einen „Musikalitäts-Workshop“ zu besuchen. Wenn Sie meinen, dann tun Sie das – das Lehrpersonal muss schließlich auch von irgendwas leben!

Ich hätte aber einen Vorschlag: Stellen Sie Ihrer Lehrerin oder Ihrem Lehrer doch die Frage, wie er oder sie selber das musikalische Tanzen erlernt hat! Und – falls Sie überhaupt eine Antwort erhalten: Schätzen Sie dann ein, ob man Sie anlügt oder mit der Wahrheit bedient!

Natürlich soll Pepa Palazón nun noch vortanzen. Klar, sie ist schön in der Musik. Würde mich wirklich interessieren, wie sie das gelernt hat…

https://www.youtube.com/watch?v=-_j55rWu7IE

Kommentare

  1. Dario Moffa hat viele ähnliche Videos:
    https://www.youtube.com/watch?v=omXEp4eBJjg&list=PLGuQ4PoBtLtrm4ByRsijCNFGkgAvtfWPW

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    1. Schönen Dank! Hier ein Link, der funktioniert: https://www.youtube.com/@DarioMoffa_tango

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