Nicht mit den Nazis tanzen?

 

Man muss es Jörg Buntenbach, dem Chef des Profi-Tangovereins, lassen: Mit der Aktion „Tango gegen rechts“ hat er auf Facebook einen Debatten-Tsunami losgetreten. Grundsätzlich kann dies dem Anliegen nicht schaden.

Oliver Fleidl, meinungsstarker Münchner Tanzschulbesitzer, geht noch einen Schritt weiter: „Tanz nicht mit Nazis“ lautet sein Hasstag, in dem er die Vielfalt des Tango betont. Schweigen sei „in diesen Zeiten Zustimmung“.

https://www.facebook.com/groups/tangomuenchen/permalink/10159842965506186

Ich hoffe nur, er hat – wie weiland Harald Schmidt – ein „Nazometer“ zur Hand, um im konkreten Fall zu überprüfen, ob seine Diagnose stimmt!

Wie bei den meisten Diskussionen wird es nicht besser, wenn man noch stärkere Sprüche klopft. Ich bin jedenfalls mit Nazi-Vergleichen sehr vorsichtig. Die Ermordung von sechs Millionen Juden ist schon eine historische Einzelleistung – von der perfekten Diktatur mit mindestens 5000 Todesurteilen wegen abweichender Ansichten ganz zu schweigen.

Das Schlimme ist: Der inflationäre Gebrauch der „Nazi-Vokabel“ bewirkt das Gegenteil des Beabsichtigten – ebenso Bezeichnungen wie „Rassist“ (die seltsamerweise kaum gegendert wird).

Der Verein „proTango“ hat für seine Aktion viel Zustimmung erhalten: Ja, in diesen Zeiten müsse sich auch unser Tanz klar positionieren! Allerdings wurden auch Zweifel laut: Was denn mit „rechts“ gemeint sei – gar auch die Unionsparteien oder die Freien Wähler? Und was sei mit dem Linksextremismus? Gegen den solle man bitteschön doch ebenfalls eintreten!

Jörg Buntenbach hat seine Einstellung in einem persönlichen Statement zusammengefasst, das ich für lesenswert halte:

„Während die meisten Zustimmung signalisieren, gibt es auch Stimmen, die der Meinung sind, dass Tango nicht mit Politik vermischt werden sollte. Das ist nachvollziehbar: Der Tango soll dazu dienen, Abstand vom Alltag zu gewinnen und andere Menschen in angenehmer Atmosphäre zu treffen. Probleme sollen draußen, außerhalb der Blase bleiben.

In einer Zeit, in der Rechtsextreme an Einfluss und Macht gewinnen und zukünftig vielleicht sogar Regierungsverantwortung übernehmen könnten, halte ich diese Einstellung für grob fahrlässig. Die Rechtsextremen werten Schweigen für Zustimmung. Sie testen Grenzen aus – und wenn niemand widerspricht, gehen sie Schritt für Schritt weiter.“

https://www.tangosociety.de/post/tango-und-politik?

Die ebenfalls häufig vertretene Gegenmeinung beschreibt die Autorin Lea Martin: Tango müsse unpolitisch bleiben. Auch diesen Text empfehle ich durchaus:

„Auf die Frage, ob Tango ohne Politik denkbar ist, antworte ich mit einem klaren Ja. Wer tanzen will, will keine Politik machen, sondern tanzen. Tango ist eine Insel neben vielen anderen Inseln: Sport, Kunst, Musik, Theater, Film. Tango ist eine Insel der Wärme in Deutschland, das Kopflastigkeit in allen Lebensbereichen über Gebühr strapaziert, nicht nur in der Politik.“

https://www.tangosociety.de/wie-politisch-ist-tango

Na ja, im Tango schon auch…

Was ich aber ziemlich überflüssig finde: Dass nun die Kämpen verflossener Corona-Schlachten wieder die Rostra besteigen und uns darüber aufklären, wie sehr doch sintemalen der Staat die Grundrechte eingeschränkt und uns mit gefährlichen Impfstoffen versorgt habe – mit dem Ziel, eine Diktatur zu errichten.

Na ja, das scheint aber gründlich schiefgegangen zu sein…

Speerspitze ist mal wieder Ralf Sartori, der die AfD ernsthaft als „einzige Oppositionspartei“ bezeichnet. Ich nehme an, er wird demnächst in Russland politisches Asyl beantragen.

Wer die Debatten nachlesen möchte:

https://www.facebook.com/groups/913209017183518/permalink/913687317135688

https://www.facebook.com/iwan.harlan/posts/pfbid032s66tWuBDwd4Nhkywr1J6Cugtic7xNAK1UuSgEaSfrbmKZNnXJFguPgMowxNhmxvl

Ich meine aber: Bevor man den kritischen Blick nach außen richtet, sollte man den eigenen Laden aufräumen. Von der gepriesenen „Vielfalt“ im Tango gibt es zumindest Ausnahmen: So beschränkt  man das viel zitierte „Weltkulturerbe Tango“ in vielen Fällen auf die Musik bis zu den 1950er Jahren. Häretiker, welche wenigstens mal zur den Kompositionen des nun auch schon über 30 Jahre verstorbenen Astor Piazzolla tanzen möchten, kriegen immer wieder üble Abwertungen mit. Und lange Jahre sträubte man sich auch gegen noch lebende Ensembles mit dem Argument, früher habe man besser gespielt.

Die sehr oft mit Zähnen und Klauen verteidigten „Códigos“ locken nun auch nicht gerade Linksliberale an. Und dass man von den Frauen erwartet, die Herren mit Röckchen und Stöckelschuhen zu beeindrucken, als „Folgende“ dem Meister untertan zu sein – und sie per Gender-Quote von Veranstaltungen ausschließt, bildet auch keinen Ausweis von Emanzipations-Bestreben.

Welche Population erwartet man denn, wenn ständig mit „Tradition“, strengen Regeln und den Geschlechterrollen der 1940er Jahre geworben wird? Ich fürchte, beim Tango ist die Fraktion der Ewiggestrigen, der Deutschnationalen, nicht eben schwach vertreten. Und die könnten sich mit „rechts“ durchaus gemeint fühlen. Daher das Unbehagen.

Tango hat jedenfalls, was Toleranz und Vielfalt betrifft, durchaus noch unbearbeitete Bereiche.

Aber nun zur Gretlfrage: Würde ich mit einem Nazi (besser: einer Nazine) tanzen?

Wenn ich es wüsste: nein. Ich gebe mir aber beim Tango alle Mühe, solche Dinge nicht zu erfahren.

Der Grund: Nach einer anfänglichen Euphoriephase merkte ich bald, dass sich in unserem Tanz eine Menge höchst seltsamer Menschen (und Menschinnen) herumtreibt. Daher bemühe ich mich, von meinen Tanzpartnerinnen – und auch männlichen Kollegen – möglichst wenig zu erfahren. Einige enge Freundinnen und Freunde natürlich ausgenommen. Glücklicherweise hilft meine altersbedingte Vergesslichkeit dabei, selbst mir genannte Vornamen nicht zu behalten.

Es könnte die Qualität des gemeinsamen Tanzes erheblich beeinträchtigen, wenn ich daran denken müsste, dass mein Gegenüber querdenkt, die AfD wählt und Pendel oder esoterische Räucherstäbchen verkauft. Und auch meine Partnerinnen fühlen sich vielleicht wohler, nicht zu wissen, dass sie einen tangobekannten Häretiker umarmen.

Und man hat einander doch in dieser wortlosen Tangosprache so viel zu erzählen!

Auch am Rand der Tanzfläche gehe ich Gesprächen aus dem Weg. Ich möchte gar nicht mitbekommen, dass ein Kollege, dessen Tanzstil ich bewundere, sich außerhalb des Parketts als Depp erweist. Das ist meine Version von Philanthropie.

Wenn mir jemand auf einer Milonga politische Vorträge hielte, würde ich flüchten. Und ihm wahrscheinlich mitteilen, ich sei zum Tanzen da. Bei großer Hartnäckigkeit könnte ich sogar hinzufügen, dass ich Sozialdemokrat bin. Ich meine, das würde derzeit eine Diskussion zuverlässig unterbinden.

Ich erkenne gern die gute Absicht solcher Aktionen an. Dennoch fühle ich mich nicht wohl dabei, dass wir im Tango wieder mal alle für oder gegen etwas sein sollen.

Selber lehne ich jede Form des Populismus oder gar Extremismus ab, weil solche Ideologien die Menschen nur ins Unglück stürzen – und etwas übersehen, was ich für essentiell halte: den Einzelnen.

Doch dazu brauche ich den Tango nicht.

P.S. Auch nicht solche bekloppten Videos:

Kommentare

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