Zossen-Tango

 

„Auf einer Milonga versuchte ein Tangobekannter ziemlich lange, mir einen Wochenendworkshop ‚Tango und Tai Chi‘ schmackhaft zu machen. Zum Schweigen brachte ihn schließlich mein Satz: ‚Ich hab‘ mich aber schon zu einem Seminar ‚Autogenes Training und Cha Cha Cha' angemeldet.“ (Der große Milonga-Führer, 2010, S. 74)

Während Jörg Buntenbachs Verein zur Rettung der Tangoprofis und des Weltkulturerbes in ziemlicher Tatenlosigkeit herumdümpelt, produziert er auf seiner Seite „Tango-argentino-online“ immer wieder Videos mit hohem Satirepotenzial.

Beinahe übersehen hätte ich ein Interview, das sich „Tangourlaub: Seminar mit Pferden und Tango“ nennt. Zu Wort kommen der Berliner Tangolehrer Thomas Rieser sowie Anne Hille, die im Dörfchen Starkow (Nordvorpommern) einen Kunst- und Reiterhof betreibt.

https://www.artquartier.de/

In jeweils vier- oder siebentägigen Seminaren darf man dort die Parallelen von Gaul und Gancho erkunden. Wie das genau funktionieren soll, bleibt ziemlich nebulös, obwohl Jörg Buntenbach wie immer verzweifelt versucht, seine Gesprächspartner gut aussehen zu lassen.

Ich zitiere daher lieber aus der Kursbeschreibung der Website zum Seminar „Führen und Folgen mit Pferden und Tango“:

Dieses Seminar richtet sich an Menschen, die sich erfahrungsorientiert mit den Prinzipien des Führens und Folgens beschäftigen wollen. Der Tango Argentino und die Arbeit mit Pferden nach Prinzipien des Natural Horsemanship haben viele Gemeinsamkeiten.

In der Arbeit mit Pferden erhalten wir ungefilterte Rückmeldungen über die Eindeutigkeit unserer Signale als Führende und die Rezeption des Pferdes als Folgender. Im Tango ist Führen und Folgen ebenso grundlegend.

Körperspannung, Rhythmus und Bewegungsfluss, der Raum zwischen den Partnern mit Nähe und Distanz spielen eine tragende Rolle. Das erwartungsfreie, vorausfühlende und intuitive Bewegen wird im Folgen und im Führen trainiert. Wir gehen mit unserem Tanzpartner in einen physischen, räumlichen und emotionalen Kontakt, mit dem die gemeinsame Bewegung im Führen und im Folgen bewusst wahrgenommen und gesetzt werden kann. Wir tanzen in beiden Rollen, führend und folgend, und erhalten so Einblick in die Bedürfnisse und Erfordernisse beider Perspektiven. Die Erlebnisse aus der Begegnung mit den Pferden nehmen wir mit in den Tango. Umgekehrt sind unsere Tango-Erfahrungen hilfreich, um uns die Welt der Pferde-Sprache zu erschließen.“

Gerade für Männer wäre da wohl wichtig, sich nach dem Erlernen der Pferdesprache auch mit der weit unterschiedlicheren Frauensprache zu beschäftigen. Ein Besteigen des Rosses steht nicht auf dem Programm – man kommuniziert mit den Pferden „auf Augenhöhe“, also vom Boden aus.

Wie uns die Abbildungen auf der Seite informieren, geht es unter anderem um „Hufe heben“ – na, wird vielleicht für Anhänger des traditionellen Tango problematisch…

https://www.artquartier.de/veranstaltungen/fuehren-folgen-mit-pferden-und-tango-kompaktkurs/

Thomas Rieser ist offenbar nicht so wirklich klar, was da abgehen soll. Muss man Tangotanzen können? Nein, grundsätzlich nicht – aber besser wär’s schon! Es werde jedenfalls Open Role getanzt, also ohne Festlegung von Führenden und Folgenden. Das sei ja bei den Pferden anders, die generell Folgende seien. Ah so. Aber die Atmosphäre des Ortes werde es schon richten.

Hier das Video:


https://www.youtube.com/watch?v=TWZHxy9Aux8

So richtig billig ist der Zossen-Tango nicht: Für die viertägige Version darf man 270 Euro Kursgebühren berappen, für die Verpflegung zusätzlich 90 Euro, der Zimmerpreis kommt noch dazu. An die 500 Euro wird man somit locker los, Fahrtkosten natürlich nicht eingerechnet.  

Tatsächlich gibt es wohl Parallelen zwischen der Verständigung im Tanzpaar und der Kommunikation zwischen Pferd und Reiter. Eine passionierte Pferdesportlerin aus meinem persönlichen Umfeld schrieb mir nach Lektüre der ersten Ausgabe meines Tangobuches unter anderem:

„Interessant, dass sich offenbar trotz scheinbarer Verschiedenheiten Sportarten, die mit einem Partner zu tun haben, ähnlich sind.

Die Spezialsprache, die Du erwähnst, gibt es natürlich in der Reiterei auch (z.B. gut, dass Du beim Tango nicht verlangen musst, dass Deine Partnerin ‚durchs Genick‘ geht oder ‚von hinten ans Gebiss herantritt‘. Schon eher, dass sie ‚gut untertritt‘, und vielleicht hast Du Lust, mit ihr mal eine ‚Volte auf der linken Hand‘ zu probieren).

Die Einstellung auf den Partner, Tier oder Mensch, ist unerlässlich für die Harmonie des Ganzen (deswegen sind meist Reiterinnen für die Dressur eher geeignet, weil sie weniger Ego einbringen und besser erfühlen, worauf das Pferd am besten reagiert, ohne ihm grundsätzlich den eigenen Willen aufzudrängen). Und  auch ähnlich wie offenbar beim Tango – das Pferd muss vom Rücken her zum ‚Schwingen‘ kommen.“

Sicherlich kann man da aufschlussreiche Analogien erkunden – wenn man mal ein paar Jahre reitet oder Tango tanzt. Aber in wenigen Tagen per Kurs? Na gut, vielleicht ist es für manche Männer schon eine unbekannte Botschaft, dass man mit Tieren und Frauen auf Augenhöhe kommunizieren sollte – selbst wenn man auf ihnen sitzt.

Ich fürchte aber, hier geht es vor allem darum, zum Tango noch irgendein künstlerisch-seelenverschwurbeltes Beiwerk zu finden, um sich von anderen Reiseanbietern abzusetzen. An gleichem Ort kann man auch „art & ride“ sowie „Reiten und Yoga XL“ buchen.

Aber klar, wer Urlaub und neue Kontakte sucht, ist durchaus gut bedient mit solchen Angeboten. Aber ein tieferes Tangokönnen wird sich nicht einstellen – und Reiten lernt man eh nicht. Da wäre es besser, mit einigen Bekannten fast für lau eine kleine Practica zu organisieren statt einen halben Tausender auf dem Reiterhof zu lassen.

Als ich 2010 mein erstes Tangobuch herausbrachte, ahnte ich schon, dass der Tango für jeden Käse herhalten müsse. Zitat:

„Auf Events mit Festivalcharakter – ‚Internationales Tango-Weekend St. Dödel hinterm Holz‘: Hier gibt es vorwiegend Workshops (‚Pasos speciales para los ignorantes Alemanes‘), Tanzshows (‚Elvira y Roberto mit ihrem unvergleichlichen Milonguero-Salon-Fusion-Stil‘), Kulinarisches (‚Tango-Schlemmer-Büffett‘), Seminare (‚Zur Bedeutung des 4. Bandoneons bei Francisco Canaro‘) sowie kulturelles Rahmenprogramm (‚Vernissage von Dörthe Kraushaar-Krawuttke: Tangoskulpturen in Vollmilch-Trauben-Nuss‘).

Was mir damals nicht eingefallen ist:

„Den Pinsel führen und folgen: Tango und Aquarellmalerei“

P.S. Gerade erfahre ich, dass ein weiteres Tangoblog den Geist aufgegeben hat: Die „Berlin Tango Vibes“ von Laura Knight (alias Ritter). Wohin die Bloggerin ihre Aktivitäten nun verlagert hat? „Coaching für innere Hamonie, persönliches Wachstum und ein erfülltes Leben“.

https://www.laura-ritter.de/

Derzeit wohl noch ohne Pferd.

Illustration: www.tangofish.de

 P.S. Ein nicht genannt werden wollender Kommentator hat mir den Link auf eine Musikerin geschickt, die Tango-Geige unterrichtet. Er meinte, das sei etwas für den Satiriker. Im Gegenteil: Auch nach Rücksprache mit meiner Gattin (die selber Violine spielt), finde ich das Angebot sehr interessant:
https://www.susanne-hofmann.eu

Kommentare

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