Oscar mit Nachschlag

 

Mir wird ja gerne unterstellt, mich über die Gegenstände meiner Artikel zu „echauffieren“. In Wahrheit tue ich das nur sehr selten. Daher sei vorausgeschickt: In Fällen wie dem folgenden sehe ich tatsächlich glühende Brezeln!

Die Geschichte dürfte inzwischen durch die zahlreichen Presseberichte bekannt sein: Bei der diesjährigen Oscar-Verleihung ärgerte sich der Schauspieler Will Smith derartig über einen Gag des Komikers Chris Rock, dass er auf die Bühne eilte und diesem eine heftige Backpfeife verpasste.

Worum ging es im Detail? Die Gattin des bekannten Mimen, Jada Pinkett Smith, leidet unter einem krankhaften Haarausfall und erschien zur Gala mit einer modischen Kurzhaarfrisur. Chris Rock bezog sich auf den Film „G.I. Jane“, in dem Demi Moore eine Soldatin spielt, die sich das Kopfhaar abrasiert. Mit Blick auf die Ehefrau von Smith meinte er: „G.I. Jane 2 – ich kann es nicht abwarten, das zu sehen."

Will Smith lachte zunächst über den Gag, sah dann aber, wie seine Frau die Augen verdrehte. Kurz entschlossen marschierte er auf die Bühne und schlug zu. Chris Rock, der sich überhaupt nicht wehrte, äußerte dazu: „Wow! Will Smith hat gerade die Scheiße aus mir geprügelt!“ Der rief noch zweimal von seinem Platz aus: „Lass den Namen meiner Frau aus deinen verdammten Maul!“

https://de.wikipedia.org/wiki/Will_Smith

 Das Publikum nahm den Vorfall hin – manche glaubten wohl zunächst, es habe sich um einen verabredeten Gag gehandelt. Kurze Zeit später gewann Will Smith den Oscar als bester Schauspieler. In einer weinerlichen Dankesrede versuchte er, den Vorfall als „Schutz seiner Familie“ hinzustellen und entschuldigte sich bei den Anwesenden – nur nicht bei Chris Rock.

Hier das Ganze in bewegten Bildern:

https://www.youtube.com/watch?v=2eD32mnrTTI

Das Kulturmagazin „Capriccio“ des Bayerischen Rundfunks veröffentlichte dazu einen Kommentar mit dem Titel „Wieso werden Männer, die zuschlagen, beklatscht?“

Der Autor Martin Zeyn schreibt unter anderem: „Ändert sich gerade unser aller Bild von Männlichkeit? Kommen wieder die echten Kerle aus der Mottenkiste der Geschlechterbilder zurück? Fiese Helden, wie sie von ‚Dirty Harry‘ bis zum Punisher' immer wieder in Filmen als Vorbilder präsentiert wurden. Nimm die Vergeltung selbst in die Hand, sei Ankläger, Verteidiger, Richter und Henker in einer Person – nur so kann das Recht an all den Luschen im Rechtssystem vorbei durchgesetzt werden. Eine Argumentation, die übrigens sowohl der italienische wie der deutsche Faschismus lautstark vertreten haben – und die sich bei Trump wie Putin auffinden lässt.“

https://www.br.de/kultur/will-smith-ohrfeige-oscar-kommentar-100.html

Auf Facebook fand der Artikel nur begrenzte Zustimmung. Eine erstaunlich große Zahl von Kommentatoren rechtfertigten die Aktion von Will Smith:   

„Die Frage, welche sich stellt darf Satire oder solche böse Kränkung geduldet werden, wo sind die Grenzen wenn diese nicht mal bei einer schweren Krankheit enden?“

„es geht hier um verbale Gewalt gegen seine Frau, und ja , ein Mann hat durchaus das Recht Seine Familie zu verteidigen. In jedem anderen Land in Europa wäre das gar keine Frage, nur in Deutschland halt wieder.“

„Reaktion von Will Smith vollkommen in Ordnung, jeder der seine Familie schützt kann dies nachvollziehen.“

„Eine Ohrfeige um ihm zu zeigen das er zu weit gegangen ist, ist vertretbar. Hätt er ihn jetzt Krankenhausreif geprügelt sehe die Sache anders aus.“

„Wer unterschwellige Witze für billige Lacher loslässt, muss auch drauf gefasst sein das ihm wer die Grenzen aufzeigt.“

„Chris Rock hat es übertrieben und war respektlos. Sprache kann genauso verletzend sein wie eine Ohrfeige. Alles hat seine Grenzen die hat Chris Rock überschritten.“

Quelle: https://www.facebook.com/br.capriccio (Post vom 28.3.22)

Juristisch darf ich schon mal der Empörung Grenzen setzen: Natürlich war die Ohrfeige als Körperverletzung illegal und keine „Notwehr“.

StGB § 32 Notwehr:

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Die Frage ist ja schon mal, ob es sich angesichts der Kunstfreiheit um einen „rechtswidrigen Angriff“ handelte. Und selbst wenn, hätte sich das Ehepaar Smith mit Worten dagegen wenden können. Zuschlagen war keinesfalls erforderlich.

Die Attacke wird für Will Smith wohl keine rechtlichen Folgen haben – sein Kontrahent hat bislang auf eine Anzeige verzichtet. Sicherheitshalber schob der Schauspieler jetzt noch eine umfassende Entschuldigung nach – nun auch an den Komiker gerichtet:

„Ich möchte mich öffentlich bei dir entschuldigen, Chris", schrieb er auf Instagram. „Ich habe mich daneben benommen und lag falsch. Es ist mir peinlich und meine Handlungen waren nicht bezeichnend für den Mann, der ich sein möchte." „Gewalt in all ihren Formen ist giftig und zerstörerisch", erklärte er nun. „Mein Verhalten bei der gestrigen Oscar-Verleihung war inakzeptabel und unentschuldbar."

https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/will-smith-oscars-ohrfeige-entschuldigung-100.html

Tja, inzwischen dürften die Anwälte und Agenten dem Schauspieler dringend geraten haben, einen solchen Text vom Stapel zu lassen. Mit seiner Nähe zur Scientology-Kirche war Smith schon länger ins Gerede gekommen. Wenn nun noch ein Schläger-Image dazu käme…

Zudem prüft die amerikanische Filmakademie die Konsequenzen des Vorfalls:   

https://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_91917790/nach-ohrfeige-von-will-smith-oscar-akademie-prueft-konsequenzen.html

Warum mich das Ganze so aufbringt? Ich hätte nie gedacht, dass man als Satiriker oder Kabarettist wieder derartig gefährlich lebt. Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, ist es völlig unkalkulierbar, wer sich durch einen Gag wie beleidigt fühlt. Bildet dann Empörung jeglicher Art die Rechtfertigung für den Einsatz des Faustrechts?

Am gleichen Wochenende wurde der Komiker Oliver Pocher bei einer Veranstaltung von einem fetten Rapper niedergeschlagen. Der Grund: Pocher habe ja auch schon viele Leute „niedergemacht“. Ah so…

https://www.n-tv.de/leute/Boxpromoter-kritisiert-Totalversagen-article23229947.html

Klar, der Gag des Komikers Chris Rock war unterste Schublade. Andererseits ist man als Ehefrau eines der bestbezahlten Schauspieler keine Privatperson. Und auf Oscar-Verleihungen wird von den Moderatoren gerne kräftig geholzt. Wer das nicht aushält, soll daheim bleiben.

Ich hätte als Veranstalter einen Gast, der gewalttätig wird, auf der Stelle rausgeschmissen. Seinen Oscar hätte ich ihm dann per Post geschickt. Oder wegen charakterlicher Mängel aberkannt.  

Beginnt nun eine Zeit, in der Komiker und Kabarettisten nur noch mit Personenschutz arbeiten können? Dass sie befürchten müssen, irgendein Spinner sähe die Pflicht, sie wegen ihrer Frechheiten zu „bestrafen“? In Deutschlands dunkelsten Jahren mussten kritische Künstler damit rechnen, dass ein uniformierter Trupp von Braunhemden Kleinholz aus dem Lokal machte, in dem sie auftraten – und sie selber verprügelt wurden.

Sind sich Leute wie Will Smith eigentlich bewusst, auf welcher Klaviatur sie spielen?

Kommentare

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