Das Bildnis der Gottheiten

 

„Du sollst dir kein Gottesbildnis machen, das irgendetwas darstellt am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“ (5. Buch Mose)

Ich habe es schon vorher geahnt: Mit meinem letzten Artikel würde es Ärger geben. Der Grund: Ich hatte ein Tanzpaar vorgestellt, das mich immer wieder fasziniert – allerdings in einem weiteren Video eine Milonga-Interpretation eines anderen Paars, welche ich mit einer Portion Ironie versah.

Einem meiner Stamm-Leser missfiel das: Den „leicht satirischen Kontrapunkt“ hielt er für „unfaire Effekthascherei“. Er wolle seinem „spontanen Gefühl“ Ausdruck geben, es als „Grenzüberschreitung“ erlebt zu haben – so schrieb er auf meiner FB-Seite. Worin die genau besteht, teilt er nicht mit – ist wohl so ein Gefühl…

Aber ist es nicht tatsächlich unfair, ein international agierendes Profipaar mit Amateuren zu vergleichen? Wenn man da von gleichen Kriterien ausginge – sicherlich. Natürlich kann man von Hobbytänzern nicht ansatzweise das erwarten, was Berufstänzer zu leisten vermögen. Aber darum ging es mir nicht. Nur: Auch dann sollte man – gerade bei einer Milonga – eine gehörige Portion von dem Spaß, der Begeisterung und Leidenschaft fühlen und ausstrahlen, welche diese Musik jedenfalls bei mir auslöst. Dabei geht es kaum um technisches Können. Auf jedem Faschingsball kann man haufenweise Paare beobachten, die so gut wie nicht tanzen können – aber das mit höchstem erkennbaren Genuss. Gut so!

Beim Tango erlebte ich das in den letzten Jahren immer weniger – insofern sollte der satirische Absturz, den die beiden Videos nebeneinander auslösten, meine tiefe Verzweiflung über solche Verhältnisse illustrieren. Was man auf den meisten Milongas tänzerisch sieht, ist langweilig wie siebzig Meter Feldweg. So hätte der Tango auch in der historischen „goldenen Zeit“ nicht Hunderttausende begeistert.

Um das konkrete Hobbytanzpaar ging es mir dabei nicht – darum habe ich auch keine Namen genannt. Klar, Szenekundige werden dennoch wissen, um wen es sich handelt – und die Gesichter zu verpixeln hätte eine wichtige satirische Aussage weggenommen.

Auf meinem Blog stellte ein Kommentator dazu diese Frage: „Wo auf der Skala sehen Sie sich in Ihren tänzerischen Fähigkeiten?“ Motto: Du kannst es doch auch nicht besser – wenn überhaupt!

Ich finde, man sollte Ranking auf Sportwettkämpfe oder Wahlen beschränken. Im zwischenmenschlichen Bereich ist es vernichtend – gerade auch im Tango. Die Frage: „Mit wem tanzt du am liebsten?“ hat wahrscheinlich schon Ehen zerstört. Doch Rangfolgen setzen ja objektive Kriterien voraus – und die sehe ich im Tango wenig. Dieser Tanz ist höchst individuell – jeder muss eine eigene Art finden, ihn zu interpretieren. Daher habe ich noch nie geschrieben, jemand tanze schlecht. Andere hindert das nicht, solche scheinbar „objektiven Urteile“ abzugeben:

Vor gut sechs Jahren drehten wir ein Video, in dem wir unser „Duo Tango Varieté“ (Bettina und Karin) vorstellen wollten. Die Aufnahme fand vor unserer „Wohnzimmer-Milonga“ statt, auf der die beiden Live-Musik boten. Manuela Bößel und ich wollten zu einem der Stücke auch tanzen. Einfach, weil diese Klänge uns dazu heftig animierten. Viel Zeit war nicht – wir zogen das Ganze in einem Take, also ohne Schnitte, durch. Im Begleittext schrieb ich lediglich, wir hätten dabei viel Spaß gehabt – und das war garantiert nicht gelogen! Es war jedoch keine Rede davon, wir hätten besonders gut oder gar spitzenmäßig getanzt. Wer das Video noch nicht kennen sollte (die Tanzszene beginnt ab 5:49):

https://www.youtube.com/watch?v=fX4SXOPa4cY

Das hindert nun seit dieser Zeit Kritiker nicht daran, immer neue Häme über diesen Tanz auszugießen. So schrieb der Blogger Cassiel:    

„Sein jüngst veröffentlichtes Video hat mir noch einmal deutlich gezeigt: Sein Verständnis von der Musik und vom Tanz (ab: 5'49") im Tango hat mit meinem Tangobegriff keinerlei Berührungspunkte.“

 https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/11/tango-fur-cassiel_25.html    

„Mir ist auch rätselhaft, wie man in einer derartig gestalteten ‚Umarmung' eine Führung mit dem Oberkörper vermitteln will. Das geht nach meiner Einschätzung gar nicht. Damit ist ein akzentuiertes Tanzen (inkl. Pausen, Stopps, Synkopen, OffBeats usw.) unmöglich. Ich wage zu behaupten, dass man in einer solchen 'Umarmung' keinen Tango z.B. von Biagi musikalisch interpretieren kann."

Na gut, haben wir dann nachgeholt:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2017/07/gerhards-tanz-fur-cassiel.html

Ein österreichischer Standardtänzer schickte mir diesen Kommentar:

„Schauen Sie sich bitte nochmal Ihr berühmtes Tanzvideo an und dann schweigen Sie für immer. By the way, wenn die (Stamm-) Tanzpartnerin klein ist, gibt es trotzdem keinen Grund einen solchen Buckel zu machen.Schauen Sie mal bei YouTube.be Da gibt es einige interessante Lehrvideos zum Thema: Postura.“

Selber wollte der Herr mir per Mail untersagen, dass ich ein YouTube-Video verwende, das ihn bei einem Tanzturnier zeigt:

„Auch das am 22.10.2018 nachweislich illegal kopierte Video (…) ersuche ich Sie unverzüglich zu entfernen, da ich auf diesem Video deutlich zu sehen bin.“

Auch der Tanzlehrer Klaus Wendel meinte, über mich ein Urteil abgeben zu sollen:

„Er kann vielleicht ein paar szenetypische Zusammenhänge, Missstände und Eigenarten der Protagonisten satirisch, und ich muss zugeben, manchmal auch sehr treffend, beschreiben, aber ich spreche ihm keine besonderen Kenntnisse als Tänzer, als DJ oder Kritiker dieses Genres zu. (…)

„Da es beim Tanzen auch über die Interpretation der Musik geht, sollten beim Kritiker die Fähigkeit der musikalischen Interpretation vorhanden sein. In einem Video, das Sie stolz in einem Ihrer Beiträge als Beleg der ‚Tanzbarkeit' eines Tangostücks veröffentlich haben, erfüllen sie sichtbar diese Voraussetzungen nicht.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/01/hamse-jedient.html

Als Herr Wendel sich auf Facebook mal wieder mit einer Kontrahentin heftig fetzte, besprach ich diesen Dialog. Da es dabei auch um tänzerische Fähigkeiten ging, fügte ich ein Video an, in dem der Essener Tangolehrer selber tanzt – mit dem kurzen Kommentar:

„Doch lassen wir mal einen Tangolehrer vortanzen (ab 2:00) – und urteilen Sie selbst“.

Da knallten bei dem sich bloßgestellt Fühlenden alle Sicherungen durch. In einem Kommentar zum Artikel schrieb er unter anderem:

„Es ist bezeichnend, mit welcher Häme Sie, Herr Riedl, in ihrem Blog (…) Videos herausfischen, um Ihre Widersacher vorzuführen, wie sie sich in Ihrer geifernden Schadenfreude über persönliche Differenzen einiger Facebook-Mitglieder lustig machen und persönliche Statements dieser Menschen zu Ihrer Belustigung an die Öffentlichkeit zerren. Das spricht für eine typische Charaktereigenschaft Ihrerseits.“

http://milongafuehrer.blogspot.com/2018/07/von-hirntod-und-tangolehrern.html

Kurzfristig wurde das Video gelöscht, später jedoch wieder eingestellt.

Ich glaube, der Kern solcher Probleme liegt einmal darin, dass manche etwas noch nicht kapiert haben: Wenn sie einen Text, ein Bild oder Video auf einem Forum wie Facebook bzw. YouTube öffentlich stellen (obwohl es eingeschränkte Optionen gäbe), ist das halt weltweit von jedem zu sehen. Da kann man dann nicht nur auf Lobgehudel hoffen. Wenn darauf öffentliche Kritik oder gar Satire folgt, ist der Rückzug angesagt: Wie unverschämt, solche privaten Dinge ans Licht zu zerren!

Besonders putzig hat das einmal der Tangoveranstalter Christian Beyreuther formuliert:

„Lieber Gerhard Riedl, hiermit ‚untersage‘ ich dir schriftlich, mein Bild und Textmaterial, meine Zitate, sowie das Bild und Textmaterial von mir bekannten Personen, wo ich zitiert werde und allen Webseitenlinks wo ich namentlich genannt werde, auf deinen Tango-Blogs und anderen Publikationen zu veröffentlichen.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/09/perfekte-ronda.html

Nein, Leute, so haben wir nicht gewettet – man kann nicht öffentlich Räder schlagen, um die nachher als private Balz zu verkaufen!

Was solche Leute nicht verstehen wollen: Ich maße mir kein Urteil an, ob jemand gut oder schlecht Tango tanzt. Auf meinem Blog findet man keine absolut gültigen Expertisen, sondern Meinungen, also individuelle Sichtweisen. Sehr wohl nehme ich mir daher die Aussage heraus, ob mir persönlich ein bestimmter Tanz gefällt oder nicht. Andere dürfen das anders sehen – auf solche Diskussionen freue ich mich. Vor allem, wenn sie von einem Minimum an Respekt begleitet werden.

Wofür ich aber um Verständnis bitte: Mein Blog soll auch unterhaltend, im Extremfall sogar spaßig sein. Langweilige Abhandlungen über den Tango gibt es genug. Und ja: Ohne unterirdische Bilder und Texte ergibt sich keine satirische Fallhöhe – wobei ich nie mitteile, dass etwas lustig ist. Das dürfen die Lesenden selber herausfinden. Die hohen Zugriffsraten zu meinem letzten Beitrag beweisen: Das Publikum will sich amüsieren.

Unser Tanz krankt daran, dass jede Menge Unsinn ziemlich unwidersprochen publiziert wird. Daher wird „Gerhards Tango Report“ auch im Neuen Jahr Widerspruch erheben, wo es nötig ist. Und Lob verteilen, wo es möglich ist.

Aber ich mache mir ja kein Bild von den Gottheiten – das erledigen die schon selber!

Kommentare

  1. Lieber Herr Riedl,
    …ich hatte es schon vermutet: Kann es sein, dass Sie vor Ihrer ersten Tangostunde den Beipackzetttel nicht gelesen haben?
    Ihrem Buch („Der noch größere Tangoführer“) nach zu folgern, würde es ratsam sein, es gar nicht erst mit dem Tango zu versuchen, denn der damit verbundene „Nocebo-Effekt“ würde so einige vom Tango abschrecken. Die Inhaltsstoffe Ihrer dargebotenen Playlisten in Ihren Beiträgen würden obendrein dazu beitragen. Versuchen Sie es doch einmal mit dem Placebo-Effekt!

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    1. Lieber Herr Wendel,

      könnten wir uns vorab darauf einigen, dass der Titel meines Buches „Der noch größere Milonga-Führer“ lautet?

      Wo Sie recht haben: Als ich mit dem Tango anfing, habe ich mit Sicherheit den „Beipackzettel“ nicht gelesen. Ich fürchte, 1999 gab es noch gar keinen.

      Stellt mein Buch einen „Tango-Beipackzettel“ dar? Kann schon sein. Viele Kundenstimmen betonen aber, dass ich Licht und Schatten schon ziemlich gleichwertig dargestellt habe. Zum Beispiel diese:

      „Der Autor liebt den Tango und versteht es, die Leserinnen und Leser in eine Welt der Milongas zu entführen, die anziehend und abstoßend zugleich sein kann.“

      Näheres kann man hier nachlesen:
      https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/03/der-noch-groere-milonga-fuhrer.html

      Bezeichnend ist auch, dass ich von Anfang an dafür kritisiert wurde, beim Tango den Begriff „Spaßfaktor“ zu verwenden.

      Insgesamt meine ich, dass ich Vorzüge und Gefahren des Tango ziemlich ausgewogen dargestellt habe. Das darf natürlich jeder und jede sehen, wie er (oder sie) möchte. Wobei es mir prinzipiell egal ist, ob jemand zum Tango findet oder nicht. Ich muss ja nichts dran verdienen – auch nicht mit dem Buch.

      Und was meine Playlists betrifft: Ich habe jedenfalls eine Vielzahl von Musik-Empfehlungen veröffentlicht. Von Ihnen habe ich keine einzige gelesen. Und sie vermeiden es auch tunlichst, mal konkret auf eine von mir einzugehen. Wird seine Gründe haben.

      Mit besten Grüßen
      Gerhard Riedl

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