„Ham’se jedient?“
Ein Profi, Kurzwort von veraltet
Professionist, ist jemand, der im Gegensatz zum Amateur oder Dilettanten eine
Tätigkeit beruflich oder zum Erwerb des eigenen Lebensunterhalts als
Erwerbstätigkeit ausübt.
Der Begriff
Professionalität, vor allem das Adjektiv professionell, wird auch als
Kennzeichnung der Art der Ausübung einer Tätigkeit verwendet, vielfach
unabhängig davon, ob dies gegen Bezahlung geschieht.
Im Allgemeinen
erwartet man von einem Profi eine formale Qualifikation und eine höhere
Leistung als von einem Amateur.
Mein absolutes Lieblingswort „Profi“ verfolgt mich nun seit Jahrzehnten. Bereits der obige
Versuch einer Begriffserklärung
beschreibt das ganze Dilemma: Gehört
zu ihm zwingend, dass man mit einer Beschäftigung zumindest teilweise seinen Lebensunterhalt verdient, muss man dazu
eine Qualifikation nachweisen oder
beschreibt er vor allem eine hohe
Leistung bzw. eine ernsthafte Arbeitseinstellung?
Für jede dieser Definitionen drängen sich unschwer Gegenbeispiele auf:
Es gibt Menschen, welche für eine Tätigkeit eine offizielle Qualifikation besitzen und ordentlich bezahlt werden, obwohl sie unterirdische Leistungen erbringen. Aus
meinem erlernten Beruf weiß ich: Man findet solche Exemplare in jedem Lehrerzimmer. Auf sie trifft einer
meiner Lieblingswitze zu:
Mitarbeiter zum Chef: „Ich möchte endlich
leistungsgerecht bezahlt werden!“ Dessen Antwort: „Wir können Sie doch nicht verhungern lassen.“
Andererseits gibt es – nicht nur im künstlerischen Bereich
– Autodidakten, die sich das Malen,
Komponieren, Schreiben oder anderes selber beigebracht haben: eben Naturtalente. (So hatte Paul McCartney wohl nie Gitarren- oder
gar Kompositions-Unterricht.)
Und es fehlen in vielen Fällen schlicht geschützte Berufsbezeichnungen – gerade
im Tango kann sich jeder, der Lust hat, als Tanzlehrer oder DJ
bezeichnen sowie Musikseminare
veranstalten.
Bei einer meiner anderen Leidenschaften, der Zauberei, herrschen ähnliche
Verhältnisse. Ich habe mich in den über 30 Jahren meiner Aktivitäten immer mehr
von der einschlägigen Szene ferngehalten. Auch wegen des Rückgangs an Auftrittsmöglichkeiten
ist der Futterneid immens. Äußert
man sich dort öffentlich, vielleicht sogar kritisch, ereilt einen mit absoluter Gewissheit das Totschlag-Argument: Man sei ja nur ein
lausiger „Hobby-Zauberer“, so die Einschätzung von Leuten, die sich
optimistisch als „internationaler Zauberprofi“ titulieren. Widerstand zwecklos!
Leider teilt das Publikum,
ob bei Zauberauftritten oder Tango-Workshops, ungeprüft diese
Einstellung: „Profi“ klingt halt saucool – auch wenn der sich „Alonso El Caminar“ nennende Alfons Schnitzelberger gerade mal ein
Semester an der VHS Tango unterrichtet hat und sein Pferdeschwanz ebenfalls noch im
Wachsen ist.
Die satirische
Fallhöhe wurde mir schon vor vielen Jahren bewusst, als ich für eine gute
Freundin gratis zauberte.
Als ich direkt danach schwitzend im Garten stand, ereilte mich von einem der
Gäste die übliche Frage: „Kennen Sie …? Der
zaubert auch.“ Nein, leider nicht. „Aber
der ist richtig gut!“ Soso, wie schön! Meine Gegenfrage: „Welche Kunststücke zeigt er denn?“ Die
Antwort verfolgt mich bis heute: „Na, das
kann man nicht vergleichen, der nimmt pro Auftritt 500 Mark.“
Neulich las ich auf Facebook: „Immerhin leben in
München etwa 100 Menschen teilweise oder komplett vom Tango.“ (Wobei
ich annehme: 95 teilweise.) Ich kann nur allen raten, für ihre Bemühungen kräftig Geld zu verlangen: Nur was was
kost, is‘ auch was…
Der altgediente Essener Tangolehrer Klaus Wendel schraubt sich gelegentlich
rhetorisch in Höhen, welche einen satiremäßigen Absturz fast
unvermeidlich machen. Auf dem Blog von Thomas Kröter nahm er mich neulich in das,
was er für Gebet hält. Neben einigen positiven Würdigungen meines Tuns hält er
mich für deutlich überschätzt:
„Er kann vielleicht ein paar szenetypische Zusammenhänge,
Missstände und Eigenarten der Protagonisten satirisch, und ich muss zugeben,
manchmal auch sehr treffend, beschreiben, aber ich spreche ihm keine besonderen
Kenntnisse als Tänzer, als DJ oder Kritiker dieses Genres zu. (…)
Nur ist das
subjektive Gefühl und die persönliche Erfahrung damit noch kein Wissen über
alle Bereiche des Tangos. (…)"
Und
natürlich tanze ich schlecht:
„Da es beim Tanzen
auch über die Interpretation der Musik geht, sollten beim Kritiker die
Fähigkeit der musikalischen Interpretation vorhanden sein. In einem Video, das
Sie stolz in einem Ihrer Beiträge als Beleg der ‚Tanzbarkeit' eines Tangostücks
veröffentlich haben, erfüllen sie sichtbar diese Voraussetzungen nicht.“
(Lustigerweise
hatte ich vor einiger Zeit – ohne negativen Kommentar – ein Tanzvideo verlinkt,
das ihn zeigt, worüber er sich heftigst beschwerte…)
Fazit:
„Sie haben z.T. durch
Vermischung mit einer gewissen Sozialkompetenz mit einem Massenphänomen zu tun
und haben zumindest in der Laienabteilung viele Anhänger. Nicht dagegen in der
Profiabteilung!“
Womit
wir wieder beim Thema wären…Daher
musste ich mir peinliche Fragen stellen lassen:
„Ist er ein
Top-Tänzer? Ist er Musikkenner? Ist er ein anerkannter Musikkritiker? Was
zeichnet ihn denn als besonderen Kenner des Tangos aus? (…)
Wenn ich in einem
Feuilleton einer Zeitung eine Musikkritik lese, erwarte ich vom Kritiker, dass
er ein Fachmann seines Genres ist; dass er sich lange Zeit seines Lebens mit
Konzertbesuchen, dem Hören und Vergleichen unterschiedlicher Interpreten, mit
dem Lebenswerk einiger Komponisten und deren Lebensgeschichten auskennt. Seine
Kritiken sollten über die bloße Unterscheidung ‚gefällt-mir-oder-gefällt-mir-nicht‘
hinausgehen. Also danach nochmal die Frage: Sind Sie Musikkritiker?“
Thomas Kröter kommentiert das mit
der göttlichen Ironie:
„Der Fragenkatalog,
den Klaus Wendel Gerhard Riedl vorlegt, erinnert mich an das ‚Ham’se jedient?'
unserer Großväter.“
Na ja, die Musikkritiker, welche ich bislang in der Lokalpresse kennenlernen
durfte, waren eher Amateurmusiker, die ein bisschen schreiben können. Einen
Studiengang „Musikjournalismus“ jedenfalls gibt es erst seit 2012 an der
Universität Dortmund.
Und auch folgendes Zitat
hat mich sehr amüsiert:
„Die Frage heißt: Wie wird man
eigentlich Musikkritiker? Realistische Antworten könnten lauten:
a) per Zufall,
b) auf Umwegen,
c) wider Willen,
d) keine Ahnung.
Der Werdegang zum Musikkritiker kennt
kein Patentrezept.“
Aber es wird ja noch schlimmer: Könnte ich besser über die
„Tanzbarkeit“ von Tangoaufnahmen
urteilen, wenn ich Harmonielehre
studiert hätte oder Konzertpianist
wäre? Durch meine Frau (Amateurmusikerin) und unsere gemeinsamen Auftritte (ich zaubere und moderiere dabei) kenne ich
viele Musikerkollegen, darunter
hervorragende Amateure – und auch einige grottenschlechte Profis. Aber: Die
meisten können nicht tanzen (und wollen es auch nicht).
Und ob die „Tango-Musikexperten“,
die Klaus Wendel mir empfohlen hat (Amenábar,
Lavocah, Erdemsel)
und andere ein abgeschlossenes Musikstudium aufweisen können, ist mir nicht
bekannt. Welche bekannten Tangolehrer
haben eine Tanzausbildung an einer staatlich
anerkannten Akademie?
Aber
das macht ja nichts: Gerade im Tango verfügen gute Leute oft über exzellente
Fähigkeiten und Kenntnisse, die sie in vielen Jahren als Erfahrungswissen gesammelt haben. Klaus Wendel selbst schreibt in der „Tangodanza“ (Nr. 3/2018, S. 84) über sein argentinisches Lehrpersonal:
„Hinzu kam, dass
manche Tänzer, von denen wir lernten, ja eigentlich keine Lehrer waren. Zum
Beispiel Tete Rusconi: Der war eher ein Gefühlstänzer, er machte etwas vor,
erklärte es aber nicht, man musste also eine eigene Basis mitbringen, um bei
ihm etwas zu lernen.“
Sprich:
Die heute gerade in der konservativen Szene hoch gepriesenen „alten
Milongueros“ hatten keine
Diplome, sondern waren jahrzehntelang auf den Milongas unterwegs. Tanzen hatten
sie durch Tanzen gelernt.
Na
gut, ich will mich ja nicht vergleichen – aber auf mindestens 3000 Milongas habe ich es in fast 20 Jahren auch gebracht und dort sicherlich mit fast der gleichen Zahl von verschiedenen Tanzpartnerinnen das Parkett betreten. Learning by doing…
Zum
Schluss möchte ich noch persönlicher werden: Ich habe in über 1000 Zauber- und
Musikauftritten eine Menge Künstler kennengelernt. Am liebsten aber arbeite ich
mit den beiden Damen des „Duo Tango
Varieté“ (Bettina Kollmannsberger und meine Frau Karin) zusammen: Wir
können uns stets aufeinander verlassen: Jede(r) erscheint zu den Proben
pünktlich, konzentriert und gelernt. Und bei allem Spaß, den wir haben, ist uns
eines ernst: Jedes Publikum – ob 20 oder 200 Leute – bekommt von uns das Beste,
zu dem wir fähig sind, ohne den kleinsten Kompromiss.
Dies
ist für mich der einzige Sinn des Begriffs „Professionalität“.
Und den könnte ich bescheiden auch für uns in Anspruch nehmen. Tue ich aber nicht.
Und
ja – ob ich „gedient“ habe? Nein,
natürlich Zivildienst. Und dort
durfte ich – ohne jede Ausbildung – 18 Monate lang behinderte Kinder betreuen.
Ja, der Amateurstatus…
Offenbar werde ich wirklich berühmt – man redet nicht mehr mit mir, sondern nur noch über mich. So äußert sich Klaus Wendel nun auf dem Blog von Thomas Kröter zu meinen Qualifikationen:
AntwortenLöschen„Bei diesem sogenannten Fragenkatalog, in dem ich eine gewisse Qualifikation Herrn Riedls abklopfe, handelt es sich nicht um eine Nachfrage nach geleisteten Diensten – ‚hamse jedient?‘, sondern nur um eine Vergewisserung, ob man sich als Diskussionsteilnehmer und (sogar) Kritiker der Musik der Epoca de Oro eine gewisse Grundkenntnis erworben hat, um auf einem einigermaßen gleichen Wissenstand zu diskutieren. (…) In diesem Beispiel konkret sollte man die Struktur eines Tangos der Epoca de Oro verstehen können, um zu erkennen, dass sie eigentlich gar nicht langweilig ist. Des Weiteren, dass man beim Tango (EdO) nicht einfach nur den Grundtakt ‚ablatscht‘, sondern die Melodie, die Akzente, die Nuancen, die Dynamik und den Charakter tanzt.“
„Meine Kritik gegen Herrn Riedl richtet sich eigentlich gar nicht gegen ihn persönlich, sondern gegen seine Anhänger, die seine sicherlich satirische und manchmal realistische Sicht auf manche Unarten der Tangogemeinde mit Fachwissen auf allen Gebieten verwechseln oder sie ihm deshalb zumindest zutrauen. Denn schreibt ein Autor über ein Thema, setzt man doch zumindest eine gewisse Kenntnis voraus und stellt sie nicht so schnell in Frage.“
Quelle: http://kroestango.de/aktuelles/persoenliche-antworten-in-sachen-astor-p/#comments
Glücklicherweise bin ich nicht so anmaßend, Klaus Wendel einmal einen „Fragenkatalog“ vorzulegen, um seine musikalischen und tänzerischen Fähigkeiten zu überprüfen und so entscheiden zu können, ob er sich in Tangofragen legitimiert äußern kann. Nein – auf dem Prüfstand stehe nur ich – das ist ein „Naturgesetz“…
Und merke: Wenn man die Musik der EdO richtig versteht, kann man gar nicht mehr meinen, dass sie langweilig sei!
Meine von ihm kritisierten Leser seien also dringend gewarnt, meine Blödeleien zu ernst zu nehmen oder gar zu glauben, ich könne in Tangofragen sachkundig mitreden. Zwischen Hofnarren und Hofhaltern muss es ja Unterschiede geben!