Krebs: Wege aus der lauten Stille des Schweigens
„Die es schaffen,
stehen nicht in der Zeitung.“ (Zitat aus obigem Buch)
Die
„Punktlandung“ zum heutigen Weltkrebstag
ist geglückt: Die „persönlichen Berichte von Krebsbetroffenen und ihnen nahestehenden Menschen“
sind nun auf dem Markt!
Es
war einer dieser seltsamen Zufälle, dass die Herausgeberin Christel Schoen im gleichen Jahr (2008) wie ich ihre Krebsdiagnose
erhielt und ebenso auf die Idee kam, in dieser beklemmenden Situation mittels
eines Buches den mentalen Befreiungsschlag zu wagen. Während es bei mir der „Große
Milonga-Führer“ wurde, suchte sie Mitpatienten, welche bereit waren, die ganz
persönliche Geschichte ihrer Krebserkrankung aufzuschreiben. Nicht nur ich
reagierte auf ein entsprechendes Angebot in der Zeitschrift „Signal“ der
„Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr“ (GfBK) – auch insgesamt war die
Resonanz riesig. So erschien 2011 das sehr erfolgreiche „Mut-mach-Buch“ mit dem Titel „Alles
ist möglich – auch das Unmögliche“.
Nachdem
die erste Auflage nun verkauft ist, wollte Christel Schoen eine überarbeitete
Neufassung (mit zum Teil anderen Beiträgen) – diesmal in Eigenregie – herausbringen. Weiterhin hatte sie neue Geschichten
zu einem bisher wenig bearbeiteten Gebiet gesammelt: Das nähere Umfeld eines
Krebspatienten ist ja ebenfalls schwer belastet. Wie kann man Worte finden bei
diesem tabuisierten Thema und so das Schweigen brechen? Wie schafft man den
Spagat zwischen Fürsorge und Respekt für den individuellen Lösungsweg des
Kranken? Wie verhindert man es, sich total zu verausgaben, sozusagen selber zum
Patienten zu werden? Wie wird man mit teilweise enttäuschenden Reaktionen der
Außenwelt fertig, die meist auf Panik vor dem „K-Wort“ beruhen? Wie geht man
mit der oft genug unsensiblen Behandlung im „Medizinbetrieb“ um und verschafft
sich ausreichend Informationen, um einen selbst verantworteten Genesungsweg zu
wählen?
Ein
weiterer Zufall wollte es, dass die Herausgeberin und ich in der gleichen
Gegend wohnen und sich so ein intensiver Kontakt entwickelte. Bei zwei
Wochenenden, an denen sich die Buchautoren trafen, konnten wir die Vorträge und
Seminare mit einem „künstlerischen Rahmenprogramm“ komplettieren. Und wir kamen
schließlich überein, dass meine Frau und ich die „Endpolitur“ der Texte
übernahmen und meine Illustratorin Manuela Bößel sich um Drucksatz und
Umschlagillustration kümmerte. Vor Kurzem konnten wir die Buchdatei des neuen
Werkes beim Verlag einreichen – und derzeit arbeiten wir an der Fertigstellung
der Neufassung des früheren Buches.
Es
hat mir große Freude gemacht, unter dem Titel „Tumor-Tango“ meine eigenen
Erfahrungen mit einer solchen Krankheit zu schildern – ebenso wie Karin die
Schilderung der Außensicht der Ehefrau übernahm. Besonders beeindruckt waren
wir aber von der Fülle an persönlichen Erlebnissen, welche jede Seite der
beiden Bücher enthält. In ihrem Vorwort bringt Christel Schoen es auf den
Punkt: „Dieses Buch soll kein typischer
Ratgeber sein, sondern eine Schatztruhe – gefüllt mit erstaunlichen, berührenden
und bewegenden Erfahrungsberichten…“
Wie
ich selbst erlebt habe, ist das Thema „Krebs“ mit immensen Klischees behaftet:
Ab der Diagnose ist man ein „Todgeweihter“ – dass heute viele zumindest
jahrelang überleben, nicht selten sogar als (vorläufig) „geheilt“ gelten, wird
weitgehend ignoriert. Fast noch schlimmer als das Leiden selbst seien die
medizinischen Therapien, unter denen die Patienten Höllenqualen litten. Naturheilkundliche
Ansätze gar werden teilweise als reiner „Hokuspokus“ betrachtet, der nur dazu
diene, sich kurz vor dem Ableben noch an einen letzten Strohhalm zu klammern.
Wer
so denkt, wird in dem vorliegenden Werk gewaltige Überraschungen erleben: Da
gibt es Patienten, welche trotz finsterster Prognosen der Ärzte nun schon die
zweite Buchauflage erleben, manchmal sogar unter bewusstem Verzicht auf
schulmedizinische Behandlungen. Schönfärberei findet allerdings nicht statt:
Angst, Leiden, Schmerzen und Tod werden nicht ausgeklammert.
Was
ich vor allem gelernt habe: Krebs ist ein Sammelbegriff, der eine Menge
verschiedener Erkrankungen umfasst – und es gibt so viele Heilwege wie
Patienten. Eine Mehrzahl von ihnen hat sich an schulmedizinische Vorgaben
gehalten, diese aber oft mit komplementären Methoden ergänzt, von denen man
eine Fülle entdeckt, wenn man nur danach sucht: Traditionelle Chinesische
Medizin, Homöopathie, spezielle Ernährungsweisen, sportliche Aktivität,
fernöstliche Bewegungskünste, Meditation, Visualisierungen und vieles mehr. Das
Spannendste aber: Fast alle Autoren berichten, sie hätten in der konkreten
Situation genau gefühlt, was ihnen gut tut – und oft genug hat es ihnen dann
geholfen. Ich bin, auch durch eigene Erfahrungen, inzwischen sicher, dass für
eine erfolgreiche Therapie die Stärkung des Immunsystems unerlässlich ist, und
die hängt wesentlich von der psychischen Verfassung des Patienten ab.
Die
Schulmedizin gibt in vielen Beiträgen kein gutes Bild ab: Da spüren manche
Patienten schon längst, dass sie ernsthaft krank sind – gerade Frauen müssen
aber erst einmal ihren Arzt davon überzeugen, dass sich dahinter mehr als
„Hysterie“ verbirgt. Die nachfolgende, schlimme Diagnose wird teilweise
nüchtern und ohne Anteilnahme verkündet – und bis auf die technische
Organisation der Behandlung macht man gar nichts, lässt den Kranken mit seinen
Ängsten allein, auf dass er zunächst einmal in ein tiefes Loch falle.
Psychoonkologische Betreuung scheint vielerorts noch ein Fremdwort zu sein! Rückfragen
oder gar Zweifel am Sinn von Therapien sind störend bis unerwünscht – da fallen
dann schon mal Sätze wie „Wenn Sie keine
Chemotherapie machen, gebe ich Ihnen noch ein halbes Jahr!“ Aha, der Doktor
hat also eine Portion Leben in Verwahrung, die er dem Patienten gibt – je
braver der ist, umso mehr… Angesichts mancher unglaublicher Äußerungen aus der
Medizinerfraktion wundert es mich, dass die meisten Autoren dies in moderatem
Tonfall berichten!
Ich
weigere mich standhaft, die klassische und „alternative“ Medizin als Gegensätze
zu sehen, im Gegenteil: Beide lassen sich wunderbar kombinieren. Nur ist die
Offenheit in den Fraktionen höchst unterschiedlich: Während meine
Heilpraktikerinnen sich stets sehr für die Befunde und Therapien der Ärzte
interessierten, haben meine Onkologen kein einziges Mal auch nur gefragt, ob
bei mir noch andere Behandlungen stattfänden. Und da hatte ich noch Glück! Nicht
selten berichten die Buchautor/innen von abwertenden Sprüchen wie: „Machen Sie ja nicht auf homöopathisch, das
ist der größte Schmarrn!“ Übereinstimmend kamen aber die meisten Patienten
zur Erkenntnis, dass sie allein entscheiden müssen, welche Therapien für sie
richtig sind, und verantworteten ihr Schicksal selbst – oft mit beeindruckendem
Erfolg!
Dabei
scheint die genaue Wahl der Behandlungsarten gar nicht so entscheidend zu sein,
gemessen an einer anderen Parallele, die in fast allen Geschichten auftaucht: Die
Bedrohung durch eine gefährliche Krankheit führt nämlich dazu, plötzlich zu
wissen, was einem im Leben wirklich wichtig ist und was nicht. Viele ordnen
schlagartig ihr gesamtes Dasein neu: Konfliktbelastete Situationen in Beruf,
Familie und Partnerschaft werden grundlegend verändert, andere
Betätigungsfelder gesucht, die Sorgen des Alltags ausgetauscht durch das
Genießen des Augenblicks, die Freude daran, hier und jetzt noch zu leben und
sich selber Gutes zu tun, anstatt sich weiter für das Wohl anderer abzurackern.
Ich bin inzwischen felsenfest davon überzeugt, dass dieses Abstellen
krankmachender Faktoren die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass Therapien
greifen können.
Auch
ich habe damals die Gelegenheit benutzt, einen Beruf aufzugeben, der mich zwar
stets fasziniert hat, dessen Belastungen jedoch durch eine komplette
Veränderung der gesellschaftlichen Vorstellungen zum „Bildungsbegriff“ für mich
immer größer wurden. Ich tat das, was ich schon immer wollte: Bücher schreiben
– und falls ich nicht mehr tanzen könnte, gleich mal eines über den
argentinischen Tango. Glücklicherweise konnte ich dieser Leidenschaft auf dem
Parkett aber weiterhin nachgehen – auch während der Chemotherapie und den
Kräfte zehrenden Untersuchungen. Vielleicht, so beschreibe ich es in meinem
Beitrag zum vorliegenden Buch, bin ich auf diese Weise dem Krebs davongetanzt…
In
vielen Geschichten ist zu lesen, man verdanke es seinem Leiden, neue
Lebensperspektiven gewonnen zu haben. Auch ich kann inzwischen mit der speziell
zu Feiertagen grassierenden Feststellung, das „Wichtigste im Leben“ sei nun einmal „die Gesundheit“, nichts mehr anfangen. Dafür habe ich in den
letzten Jahren zu viele glückliche Kranke und leider noch mehr unglückliche
„Gesunde“ erlebt!
Jedenfalls
sind wir alle sehr stolz auf das neue Buch, das übrigens nur entstehen konnte,
weil alle Schreiber auf ein Honorar verzichteten. Doch nie habe ich so deutlich
gespürt, dass die Belohnung in dem liegt, was man tut.
„Die Ankunft eines
Komödianten in einer Stadt ist für die Gesundheit der Bewohner wichtiger als
das Erscheinen eines Dutzends Ärzte.“ (Chinesisches Sprichwort)
„Krebs:
Wege aus der lauten Stille des Schweigens“ (Verlag BoD, Norderstedt, ISBN
9783734753107, 19,60 €, auch als E-Book erhältlich)
Kommentare
Kommentar veröffentlichen