Kröterdämmerung



„Ihr freien Söhne, frohe Gesellen, segelt nur lustig dahin! Dünkt er euch niedrig, ihr dient ihm doch, des Nibelungen Sohn.“
(Richard Wagner: „Götterdämmerung“)

Seit längerer Zeit kann sich der Berliner Journalist und Tanguero Thomas Kröter nicht entscheiden, ob er nun meinen verehrten Mitblogger Cassiel oder mich lieber hat oder uns beide zum Abgewöhnen findet. Während er beispielsweise Anfang Februar meinen Beitrag zur risikoarmen Benutzung des Tangoparketts noch „1 grundvernünftige alternative zu den encuentriven oberlehrerereien in sachen codigos“ fand, sieht er nun in der deutschen Tangoszene „zwei ausufernde blogs (jeder auf seine weise doktrinär), deren betreiberbeiträge auch auf die diskutanten (wenn es denn welche gibt) abfärben.“

Abgesehen von der seit Stefan George (gest. 1933) etwas aus der Zeit gefallenen Kleinschreibung hat der Autor zunächst einmal recht: Ausweislich ausufernder Zugriffzahlen und Ergebnisse bei den Suchmaschinen gibt es hierzulande nur zwei ernsthaft als „Tangoblogs“ zu bezeichnende Seiten. Und wie die jeweils auf „Diskutanten“ abfärben, kann er ja als Kommentator beim Tanz auf beiden Hochzeiten selber beurteilen. Ansonsten allerdings ist halt links nicht gleich rechts, unten anders als oben, hinten nicht dasselbe wie vorne – nicht einmal bei ihm.

Weiterhin konstatiert der Beobachter aus der fernen Bundeshauptstadt: „ihr beide habt die angewohnheit eure wertungen, na ja, ziemlich ex cathedra zu formulieren“ – allerdings mit dem Unterschied: „da ist der bayer ehrlicher und besteht darauf, dass er recht hat“. Dieses Kompliment überzeugt mich schon deshalb nicht, weil meiner Vermutung nach beide Blogger in Bayern leben. Und ist es doktrinär oder gar dogmatisch, eine eigene Meinung zu haben und diese sogar öffentlich zu äußern – so wie die Mehrzahl der Journalisten?

Um nur ein Beispiel zu nennen, das ich neulich bearbeitet habe: Es gibt Tangoleute, welche meinen, expressive Tanzfiguren wie Boleos sollten auf Milongas verboten werden. Solches kann man wahrhaft „doktrinär“ nennen, weil man für seine Einstellung Allgemeingültigkeit beansprucht – ebenso wie die (bezeichnenderweise nie geäußerte) Ansicht, alle hätten Boleos zu tanzen. Aber wie steht es mit meinem Wunsch, solche Bewegungen tanzen zu dürfen, falls man es mag (und kann)? Der Unterschied müsste doch sogar einem Kröter dämmern!

Nun steht es ja jedem frei, in meinen bislang 74 Blogbeiträgen nachzuforschen und mir per Kommentar mitzuteilen, welche Äußerungen darin er für doktrinär oder gar päpstlich unfehlbar hält. Ich fürchte halt, die insgesamt relativ mäßige Zahl von Wortmeldungen (bei derzeit über 30000 Zugriffen) liegt an der Scheu, sich mit wahrem Namen öffentlich zu äußern – noch dazu gegen führende „Doktrinen“. Da hält der Konkurrenzblog die Hürden niedriger, da dort jeder Hans seinen Dampf anonym ablassen kann – und die meisten Kommentare sind auch nicht namentlich rückverfolgbar. Na und? Soll ich jetzt Workshops in Zivilcourage anbieten? Da ist mir unser Wohnzimmertango lieber!

Es verstört mich schon fast, dass auf dem mehrfach zitierten Facebook-Dialog mein verehrter Kollege Cassiel Argumente anführt, die von mir sein könnten: „Du bist flott dabei, anderen das Etikett doktrinär' aufzukleben. (…) Wenn ich es richtig mitbekommen habe, dann geht es Dir doch um Dein Verständnis vom Tango. Kann es nicht sein, dass es anderen Menschen ebenso ergeht? Was ist daran ‚doktrinär‘?“
Apropos „aus dem Zusammenhang gerissene Zitate“: Der gesamte Dialog der Herren auf FB findet sich unter https://www.facebook.com/thomas.kroter.5?fref=ts

Zum Schluss des Wortwechsels liefert uns der Berliner Autor noch eine tränentreibende „Fantasie“: talkshow im tangodanza tv. ich als günther jauch oder besser frank plasberg des tango. links: du mit maske a la sido, die stimme wird anonymisierungshalber verzerrt wie bei kronzeugen gegen die maffia, neben dir eine tissuebox, aus der ich dir reiche, wenn dich das gefühl ob der bösen außerencuentrischen welt übermannt. rechts der pfaffenhofener im leichten stoiber' (ein modischer grauer trachtenjanker). ab und zu kommt eine stimme aus der technik, er soll mit seinen schweren tangohaferlschuhen nicht so auf den studioboden stampfen, wenn er sich x wieder so erregt... hohe einschaltquoten in der community diesseits und jenseits der goldenen grenze wären garantiert.“

Mein Lieber, da muss ich nun schon einige Korrekturen anbringen: Nicht nur, dass Günther Jauch und Frank Plasberg in einer ganz anderen Medienliga spielen und Sie da höchstens in der Halbzeitpause die Zitronenschnitzel reichen dürften – als abstammungsmäßiger Sudetendeutscher, durch die Vertreibung der Eltern nach dem Krieg in Bayern zwangsangesiedelt, habe ich noch nie in meinem 64-jährigen Leben einen Trachtenjanker oder Haferlschuhe getragen. Dennoch eine professionelle Anerkennung: Sie könnten schon schreiben, wenn Sie nur wüssten, worüber…

Was Sie beispielsweise nicht wissen (war wohl vor Ihrer Tangozeit): Cassiel hätte beinahe mal mit mir eine solche Podiumsdiskussion bestritten – und er wäre sogar unverhüllt gekommen, dafür aber nur gegen Honorar. Daran ist es dann gescheitert.

Und es ist ja schön, dass Sie moderne Tangos und sogar Piazzolla mögen und sich nicht auf „Oldieveranstaltungen mit Omas Geschmacksradius“ langweilen wollen. Dies alles spricht mir aus dem Herzen, trotz der Tatsache, dass Sie es sagen.

Daher möchte ich Ihrer zitierten englischen Redensart “if you cant stand the heat, stay out of the kitchen” hinzufügen: “If you don’t get the herd on, then cook not”.

Kommentare

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