Schwindel-Tango
„Vertraue, aber prüfe nach“ (Lenin)
In der Tango-Facebookgruppe, aus der man nicht zitieren darf, wird derzeit ein interessantes Thema besprochen – und was mich besonders wundert: sogar (noch) relativ vernünftig.
Ein Fragesteller, der – wie man früher gesagt hätte – dem Amte wohlbekannt ist, wollte gestern wissen:
„mal ein frage zu 3g und den testergebnissen.
wie wird mit gefälschten testergebnissen umgegangen? wird bei den milongas die ihr besucht erwartet, dass ihr die e-mail mit dem ergebnis vorzeigt oder reicht ein ausdruck, der ja leicht manipulierbar ist?“
Na gut, sich in deutscher Tugend statt mit dem Inhalt mit dem technischen Hergang zu beschäftigen, hilft weder beim Tango noch bei Rettungsaktionen in Afghanistan. Dennoch fand ich viele der geäußerten Ansichten erstaunlich realistisch:
„Mir haben die Leute immer sofort ‚irgendwas‘ auf dem Handy gezeigt. Das scheint mir genauso leicht manipulierbar. Ich könnte keine Fälschung erkennen. (…) Und ganz ehrlich, wer betrügen will oder infizieren will, der wird einen Weg dafür finden."
"Und gleichzeitig mag es naiv sein - ich denke die Anzahl von Tänzer*innen, die ‚so drauf sind‘, ist verschwindend gering.“
„Es entspricht definitiv auch meinem Kenntnisstand, dass es sehr wohl Menschen gibt, denen das Testen so lästig ist oder die davon ausgehen, dass Schnelltests sowieso zu ungenau sind oder eine Infektion bei Geimpften nicht nachweisen können, dass sie einfach behaupten, sie hätten einen negativen Schnelltest gemacht. Und damit kommt man durchaus durch, den Veranstaltern ist das Kontrollieren ja auch sehr lästig. (…) Es gibt nicht nur einen dicken, fetten Graben zwischen Geimpften und Ungeimpften, sondern dazwischen auch many shades of grey, die man als unterschiedlich unverantwortlich einstuft.“
„Ich glaube das größere Problem sind Veranstalter, die keine Prüfung durchführen.“
„Ich würde als Veranstalter momentan so restriktiv wie möglich (2G) und gleichzeitig pragmatisch handeln und nur verantwortungsvolle Gäste einlassen. Die sind geimpft. Und werden beim Eintritt Verständnis haben und ihren Status mittels App (Luca, GreenPass etc.) in Verbindung mit Ausweispapieren gern nachweisen.“
„Ein Zettel mit Tel Nr. reichte für evtl. Nachverfolgungen. Keiner wollte einen Ausweis, wir vertrauen uns.“
Um ein Wort von Jürgen Trittin über Angela Merkel aufzugreifen: Viele Tangoveranstalter tun auch jetzt das, was sie am besten können – nämlich nichts. Nun gut: Auch wir haben bei unserer Wohnzimmer-Milonga keine Zertifikate geprüft. Aber hier zeigt sich halt wieder einmal der Unterschied zwischen zwei grundverschiedenen Ansätzen: dem Tango als Subkultur oder als Branche.
Wenn ich Milongas und andere Aktivitäten organisiere, um damit Geld zu verdienen, muss ich mich natürlich darum kümmern, dass etwaige Auflagen nicht durch Schwindeleien unterlaufen werden. Schließlich muss ich auch Gäste akzeptieren, die ich überhaupt nicht kenne. Und ich bin sicher: Leute, denen das Schicksal anderer völlig egal ist, werden versuchen, ohne Impfung, Tests etc. zum Tanzen zu kommen – vielleicht auch in der Vermutung: wird schon nichts passieren...
Ich fürchte, das sind auch genau solche, die früher auch bei der Musikauswahl oder den bekannten Tanzregeln durchdrehten: Wenn es nicht exakt nach ihrem Kopf ging, schrien sie Zeter und Mordio.
Da stimme ich dem Initiator der Debatte völlig zu, wenn er auf die Frage
„Was hast du denn für ein Menschenbild?“ antwortet: „ein realistisches (…) und schilderungen von veranstaltern belegen solche versuche.“
Auch ich kenne inzwischen Geschichten über Veranstalter, welche von Quertänzern zumindest wegen ihrer Vorsichtsmaßnahmen angepflaumt oder unter Druck gesetzt wurden. Ich meine aber: Bereits die Ankündigung von Auflagen und Kontrollen wirkt abschreckend genug. Man muss dann halt das Genöle ertragen. So richtige Fälschungen sind schon das Geschäft von Profis – und die gibt es im Tango bekanntlich kaum. Die meisten besorgen sich auch keine falschen Pässe, nicht mal nachgemachte Eintrittskarten für die Bundesliga.
Das Ganze steht und fällt halt wieder einmal mit dem Verhalten der Organisatoren: Man möchte ja niemanden verärgern – schon wegen des Eintrittsgelds. Man kann es sich sogar noch einfacher machen wie ein benachbarter Tangoverein, der nun laufend „private Geburtstags-Milongas“ veranstaltet. Na klar, irgendwer feiert jede Woche sein Wiegenfest – sofern man mindestens 52 Mitglieder hat…
Für den Pörnbacher Tanzboden kündigen wir inzwischen „2G“ an, verlangen aber in der Regel keine Nachweise. Warum? Weil wir halt den Tango als Subkultur betreiben – also rein auf der Basis privater Einladungen an Menschen, von deren Zuverlässigkeit wir fest überzeugt sind.
Die Pandemie hat mir eine Erfahrung beschert, die mich nicht überraschte: Diejenigen in der Szene, welche ich längst vorher als vernünftig und rücksichtsvoll erlebt habe, sind das jetzt immer noch. Und die Spinner und Egomanen haben durch Corona neue Themen gefunden, die aber auch nicht weniger bekloppt sind. Daher fand ich es amüsant, was ein Altersgenosse geschrieben hat, der schon lange Zeit die Tangoforen mit seinen Lauterbachschen Apokalypsen beglückt:
„Merkt man denn nicht, dass das hier mit Corona eine unendliche Geschichte aller möglichen Für und Wider ist und wir hier - die ganze Bevölkerung - in eine Art Geisterbahnfahrt eingepackt sind. Da werden Menschen, die zuvor unser ganz normaler Umgang in Milongas waren, auf einmal zu schrecklichen Monstern, die mit gefälschten Papieren unverantwortlich handeln.“
Da kann ich nur sagen: Umgekehrt wird ein Schuh draus! Wir pflegten halt vor Corona ganz normalen Umgang mit teilweise beträchtlichen Monstern. Das wollten nur die meisten nicht wahrhaben.
Hatte also Wladimir Iljitsch Lenin recht damit, dass Kontrolle dem Vertrauen vorzuziehen sei? Man sollte dabei vielleicht bedenken, dass der Kommunismus in der Geschichte noch nie zu einem Staat führte, der ohne Unterdrückung seines Volkes auskam.
Ich finde es im persönlichen Feld jedenfalls besser, nur mit denen Umgang zu pflegen, welche man nicht kontrollieren muss, weil man ihnen vertraut.
Woran ich mich allerdings gewöhnen muss: Früher wurden im Tango Menschen beschimpft, welche für weniger Regeln plädierten. Nun ist es umgekehrt.
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