Mischen impossible


Angesichts der heutigen Regeln, wie denn eine „traditionelle“ Tanda vorschriftsmäßig zusammenzustellen sei, packt mich manchmal – altersbedingt verständlich – nostalgische Wehmut:

Wenn wir früher zum Tanztee oder auf einen Ball gingen, boten der Plattenspieler respektive die Band zwar ebenfalls drei oder vier Titel am Stück, aber meist verschiedene Tänze. Manchmal gab es die separat nach Standard- oder Latein-Sektion, also beispielsweise entweder Langsamer Walzer, Foxtrott und Tango oder Cha Cha Cha, Rumba und Jive. Wir hätten uns jedoch sehr gewundert, wären es drei gleiche Tänze gewesen: Dreimal Wiener Walzer hintereinander – ach, wie öde…

Freilich wären wir dereinst dennoch nicht zum DJ oder Bandleader gerannt und hätten uns beschwertgutes Benehmen, so hatte uns der Tanzlehrer eingebläut, sei Voraussetzung. Und getanzt werde, was aufs Parkett komme, basta!

Im heutigen Tango dagegen ist die Welt verkehrt: Jede Runde bietet logischerweise dieselbe Tanzart (bestenfalls in den Geschmackrichtungen Tango, Vals und Milonga) – damit aber nicht genug, es muss noch viel mehr passen, um die Tanzenden nicht in schreckliche Unruhe zu versetzen.
 
So las ich jüngst in einem DJ-Forum die Anfrage:

„Hallo zusammen, es würde mich mal interessieren, wie Ihr Eure Tandas zusammenstellt. Klar, ein Orchester und musikalisch zueinander passend. Aber Gesang und instrumental gemischt? Und der Gesang immer von einem Sänger/Sängerin? Oder auch nach Jahren?“

Natürlich wird sofort der aktuelle Katechismus zitiert:

„Also, in der Regel sollte eine Tanda entweder instrumental oder mit Gesang sein. IMMER der gleiche Sänger, soweit mich das betrifft, denn das verändert den Charakter der Lieder schon deutlich. (…) Ich achte auch darauf, dass die Lieder aus nahe zusammenliegenden Jahren stammen, auch dies hat mit dem Charakter der Entwicklungen im Lauf der Zeit bei den Orchestern zu tun.“

„Wenn es geht, nicht mischen. Keine Sänger mischen. Wenn keine 4 passende Stücke von einem Sänger da sind, nehme ich ein instrumentales dazu. Das ist aber eher die Ausnahme.“

Das Problem dabei: Hält man sich strikt ans Reglement, kann man manche Aufnahmen nicht spielen, da es nicht genug orthodox vertretbare weitere Titel gibt. Darf man dann eine Ausnahme machen? Die Tendenz: Eventuell vielleicht schon, aber schön ist’s nicht:

„Wenn ich keine passenden Stücke von einem Orchester habe, mache ich das auch, das ist normal. Also nicht der Vorsatz, ich mache jetzt eine gemischte Tanda. Die Reaktion der Tänzer hängt natürlich stark von der Szene ab. In manchen Milongas hier in meiner Gegend habe ich sofort 5-6 Tänzer am DJ Pult, wenn ich das mache, welche fragen, warum ich das mache.“

„Ich habe keinen Spaß an solchen Tandas. Tandas als buntes Allerlei mit starken Kontrasten nerven mich. Wenn ich mir ein Stück Torte aussuche, will ich nicht, dass die Hälfte aus leckerem Zwiebel-Tartar besteht, wenn es mir serviert wird.“
Tja, man sollte halt noch mitkriegen, ob man sich grade beim Bäcker oder Metzger befindet...

Und vor allzu großen Zeitsprüngen jedenfalls wird gewarnt:

„Mixed Tandas nur, wenn zum Stück nichts passendes zu vom selben Orchester zu finden ist; aber nie Jahrzehnte übergreifend. Hab das 2-3 Mal erlebt, dass da innerhalb einer Tanda 40 Jahre überbrückt werden... grauenhaft! Aber das ist nur meine Wahrnehmung, andere fanden genau das toll!?“

Besonders nervig ist die Suche bei den weniger häufig vorkommenden Milongas und Valses. Offenbar nehmen das selbst die Argentinier nicht ganz so genau:

„Aber alles, was hier hinsichtlich Konsistenz genannt wurde, gilt bei Milonga- und Valstandas offenbar nicht. Neuerdings begegnen mir immer häufiger Zusammenstellungen, die so gewagt, bzw. hergeholt wirken, dass es mich ratlos macht.
Neulich überraschte mich auf einem großen Festival ein weltbekannter Tango DJ mit einer Valstanda: Troilo - A unos ojos / Canaro - Soñar y nada más / de Angelis - Flores de Alma.
Mir als reingeschmecktem Nordlicht kommt das recht verwegen vor. Ich mische Milongas nur in Ausnahmefällen. Aber ich will es nicht vorschnell abtun – der Mann ist Porteño und als TDJ auch in B.A. gefragt, also weiß er bestimmt, was er tut.“

„‘der Mann ist Porteño und …gefragt‘:
Auch in der Religionssoziologie ist beschrieben worden, dass die Hartleiner eher in der Diaspora zu finden sind. Insofern kann ich mir gut vorstellen, dass der Regelkanon hierzulande durchaus von den Aficionados am La Plata belächelt wird.“

„So ist es. Ich habe mit dem nämlichen DJ über diese Regeln gesprochen und er meinte tatsächlich, dass manche eben päpstlicher als der Papst sein wollen.“

In solchen Fällen darf man sogar mal auf die Argentinier schimpfen:

„Es ist eher so, dass die Argentinier sich im Ausland Sachen leisten, für die sie zu Hause mit Schimpf und Schande aus der Milonga gejagt werden würden. Die blöden Europäer schlucken eh alles, mal schauen wie weit man sie verarschen kann.“

„Obwohl es in BsAs super DJs gibt, gibt es auch das Gegenteil.“

Schüchtern wird gelegentlich angemerkt, eine allzu strenge Regelauslegung könnte manchmal… ahem… langweilig werden:

„Das kann ja funktionieren, aber was ist der Vorteil vor einer ungemischten Tanda? (…) Ich kenn mehrere DJs, die das machen, sie gelten hier bei den guten Tänzern als langweilig, weil sie zu lange im gleichen Mood bleiben. Ich bin mehr für Kontraste.“

„Und ich frage mich oft ‚warum‘ ein DJ gerade jetzt diese oder jene Tanda spielt, vor allem dann, wenn ich mir schon 5 Tandas lange denke, wenn das so weiter geht, gehe ich nach Hause, da kann ich besser schlafen.“

Warum also nicht etwas mehr riskieren?

„Und trotzdem gibt es Tandas aus der, wie ich sie nenne ‚Hexenküche‘, die nicht aus derselben Feder, Orchester, Sänger oder Epoche stammen, die sehr schön harmonieren.“

Wahrlich, im „traditionellen“ Tango bin ich schon für geringe Erkenntnis-Fortschritte dankbar. Die Front der sturen Regelbefolger bröckelt – immerhin!

Ich bezweifle schon einmal, ob der durchschnittliche Milongabesucher (auch wenn der konservativ eingestellt ist), es überhaupt mitbekommt, dass es in einer Tanda vier Tangos vom Orchester X mit dem Sänger Y (und zwar ausschließlich vor seiner Mandeloperation) gibt. Und die paar, welche es merken und bei Abweichungen dann beschwerdeführend vor dem DJ-Pult stehen, möchte ich fragen: Regt ihr euch auf, weil ihr euch wirklich tänzerisch beeinträchtigt fühlt, oder nur, weil sich da jemand illegal verhält?

Schließlich: Wenn ihr wirklich wegen stilistisch unterschiedlichen Stücken an Gemütsschwankungen leidet – wieso muss es dann unbedingt eine Cortina sein, welche ein musikalisches Irgendwas in eure Gehörgänge pustet? Wiewohl ich akustisch nicht empfindlich bin, erlebe sich das öfters als völlig unpassend! Und bei Neolongas wird es noch absurder, falls man da als Zwischenmusik nicht – wie schon von mir vorgeschlagen – einen Tango verwendet…

Natürlich finde ich es gut, wenn man den Tanzenden nicht ständig Kraut und Rüben zwischen die Beine pfeffert – das macht kein guter DJ, ob nun in der Disco, beim Seniorenschwof oder einer anderen Milonga. Das gegenteilige Extrem – Tandas nach dem Motto „Kennst du eines, kennst du alle Stücke“ ist – zumindest für mich – halt nur sterbenslangweilig.

Aber klar, der Gegensatz zwischen meinen Tanzschulbällen von einst und den heutigen Tangoveranstaltungen ist kaum auflösbar, da auf einer ganz einfachen Tatsache beruhend: Wir konnten damals mehr als nur einen Tanz und standen daher auf Vielfalt. Die heutigen „One Trick Ponies“ auf der Milongapiste brauchen die Einfalt, weil sie tänzerisch halt viel weniger flexibel sind. Daher auch das ständige Bekenntnis, für jeden Tangostil eine andere Tänzerin zu benötigen, was wir früher einfach lachhaft gefunden hätten. Im Gegenteil galt bei uns der als cool, welcher es mit jeder hinbekam.

Daher, liebe Freunde vom anderen Ufer, habe ich ja Verständnis dafür, wenn ihr es langsam angehen lasst: Vielleicht mal in einer Tanda Aufnahmen eines Orchesters, die mehr als fünf Jahre auseinander liegen? Oder mal unterschiedliche Sänger? Oder sogar verschiedene Ensembles (natürlich alle aus demselben Jahr)?

Ich hätte nur eine herzliche Bitte: Verkauft eure mangelnden Fähigkeiten nicht als Krone der Tangoentwicklung! Sonst müsste ich mit einem Sponti-Spruch aus meiner Jugendzeit antworten:

„Keuschheit ist ebenso wenig eine Tugend wie Unterernährung.“

Ach ja, und vom Mischen verstehe ich als Zauberer ja ein bisschen was. Glaubt mir: Ein Durcheinander kann richtig elegant wirken!

Kommentare

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