Wie wichtig ist der DJ für eine Milonga?


Ein ähnliches Thema wurde kürzlich in einer Facebook-Gruppe für Tango-DJs besprochen. Die Ausgangsfrage lautete:

„Mal ne Frage in die Runde... wie werden DJs bewertet? Sie sind schließlich mit ihrer Musikauswahl maßgebend am Erfolg oder Misserfolg einer Milonga, Marathon etc. beteiligt.“

Genau diese Behauptung wollten einige Kommentatoren nicht unterschreiben. Eine DJane und Veranstalterin meint:

„Was mir in letzter Zeit aber auffiel, ist, dass der DJ gefühlt nach der Location und den bekannten Lieblings-Tanguer@s kam. Ich war jetzt auf mehreren Veranstaltungen mit für mich grausamer Musikzusammenstellung, aber den Leuten hat dies in Mehrheit nichts ausgemacht. (…)
Die Stücke in der Tanda hatten keinen erkennbaren Zusammenhang, weder von der Energie, vielleicht irgendeine Kurve oder Gleichmäßigkeit der Tempi, manchmal noch nicht mal drei Stücke derselben Taktart. Kein erkennbarer roter Faden über den Abend und kein Spannungsanstieg oder sonstiges erkennbar. Einfach alles völlig in Unordnung.“

Ein Kollege schreibt:

„Die DJs werden oft zur Symbolfigur eines Tango-Abends, da wir anscheinend die Tendenz haben, die komplexen Dynamiken einer Milonga zu großen Teilen einer Person zuzuschreiben.“

Noch deutlicher wird ein anderer Aufleger:

„Meine Beobachtung: Wenn's mit den Wunschpartnern nicht geklappt hat, ist der DJ schuld. Oder der Boden. Oder die fehlenden Codigos. Alles, nur nicht die fehlende Einsicht in die eigenen Kenntnisse / Unkenntnisse.“

Andere Faktoren, so die mehrheitliche Ansicht, seien viel wichtiger:

„Wenn ich wählen dürfte zwischen guten Tangueras und Tangueros oder einem guten DJ, würde ich die Tänzer wählen. Die können aus Sch... Gold machen und mich trotzdem glücklich nach Hause gehen lassen.“

Und ganz vorsichtig kommt ein schrecklicher Verdacht auf:

„Und ich glaube, dass viele mittlerweile auch gerne gemischte Milongas bevorzugen und es vielleicht auch welche gibt, die eine gute Musikauswahl von einer schlechten noch nicht unterscheiden können.“

Ich möchte meine Ansicht viel deutlicher formulieren:

Im Regelfall spielt die wirkliche Leistung eines DJ für den Erfolg einer Milonga kaum eine Rolle.

Das hat nichts damit zu tun, dass eine objektive Bewertung der Musikauswahl schwierig ist. Die Geschmäcker sind halt verschieden – man kann dem DJ also nicht vorwerfen, dass er nur EdO-Titel, ein gemischtes Programm oder vorwiegend moderne Einspielungen (auch mit höherem Non Tango-Anteil) auflegt. Das alles kann hoch interessant oder furchtbar öde wirken.

Es gibt jedoch handwerkliche Kriterien, die man durchaus jenseits persönlicher Vorlieben beurteilen kann: Dazu gehören beispielsweise ständige Anpassung von Lautstärke und Klang und regelmäßige Kontrollgänge zur Überprüfung der Akustik im Raum. Und natürlich sollten Kämpfe mit der Wiedergabetechnik nicht auffallen.

Soziale Kompetenzen sind für mich mindestens ebenso wichtig: Wer sich nur hinter seiner Anlage verschanzt und keinerlei Kontakt mit den Gästen sucht, macht einen schlechten Job. Weitere No-Gos sind Essen oder Hantieren mit dem Smartphone. Und oft habe ich das Gefühl, die Person am Computer sei heilfroh, selber nicht zu dem Gedudel tanzen zu müssen, das sie auflegt. Das mag zwar verständlich sein, ist aber hinsichtlich der gerne beschworenen „Dienstleistung“ ein Unding.

Und jenseits unterschiedlicher Geschmäcker gilt für mich: Wer das auflegt, was alle auflegen, ist als DJ völlig überflüssig – den Job machen doch schon genug andere! Man sollte schon hören, auf welche Musik der Aufleger selber steht, individuelle Vorlieben registrieren. Ob ich die nun persönlich mag oder nicht – jedenfalls erregt das mein Interesse mehr als das übliche Mainstream-Geplürre.

Ich meine auch, dass es – wie immer das Programm im Einzelnen aussieht – ohne Kontraste nicht geht: Man kann so viel variieren – schnelles oder langsames Tempo, innig oder rotzig, süß oder dramatisch, frech oder elegisch, fröhlich oder trist, Zwei-, Drei- und Viervierteltakt und einiges mehr. Wer auch noch Tangomusik verschiedener Epochen bietet, hat eine schier unendliche Auswahl. Und es ist dann sehr wahrscheinlich, dass doch für fast jeden Geschmack etwas dabei sein dürfte!

Die künstlerische Qualität zeigt sich besonders darin, Abwechslung zu schaffen und dennoch keine abartigen Stilbrüche zu liefern. Tom Waits nach Fresedo ist halt wie ein kalter Wassereimer ins Genick…  

Ach ja – bevor ich’s vergesse: Tango (im weitesten Sinne) sollte schon dominieren. Klar kann man zu fast jeder Musik – auch einem Menuett, dem Kufstein-Walzer oder der deutschen Nationalhymne – Tangoschritte vollführen. Oder sich die Hose mit einem Kälberstrick festzurren. Von geschmacklichem Feinsinn zeugt das alles kaum.

Wie wichtig ist das alles für den Erfolg einer Tangoveranstaltung? Da habe ich ganz schlechte Nachrichten:

Noch nie habe ich es erlebt, dass eine Milonga zumachen musste, weil der DJ einfachste handwerkliche Fähigkeiten nicht besaß oder die Wiedergabetechnik grauslich war. Daher ist das ganze Technikgehubere auf den einschlägigen Seiten sozialer Foren schlechtweg für die Katz. Das stört höchstens HiFi-Nerds, also weniger als ein Promille der durchschnittlichen Gäste.

Auch hinsichtlich des Musikprogramms gibt es natürlich Spezialisten, welche eine Biagi-Aufnahme von 1939 von einer aus dem Jahr 1941 unterscheiden können. Doch die treffen sich mehrheitlich auf Encuentros und anderen geschlossenen Events, wo sie vor allem kennerisch beurteilen, ob der DJ „vorschriftsmäßig“ auflegt, und auf ihr Lexikonwissen stolz sind. Vertieftere musikalische Begabungen dürften da ebenfalls rar sein, sonst könnte man ohne schwerwiegende seelische Verwerfungen nicht drei Tage hintereinander das Gleiche tanzen.

Auf „normalen“ Milongas dürfte dieser Personenkreis kaum mehr als fünf Prozent der Gäste umfassen, wofür ich unendlich dankbar bin.

Bei den restlichen 95 von Hundert darf man von einem größeren Überblick zum Repertoire der EdO oder gar über das gesamte musikalische Schaffen aus 100 Jahren Tango nicht ausgehen. Scherzhaft wird manchmal behauptet, der durchschnittliche Milongatänzer könne einen Di Sarli nicht von einem Pugliese unterscheiden. Wahrlich ein guter Witz, denn die meisten wissen wohl gar nicht, um wen es sich bei diesen Namen handelt…

Da man in den letzten 15 Jahren vor allem die Risiko-Vermeider zum Tango gelockt hat, wird zumeist die ständige Wiederholung einfachster Stücke goutiert – ob nun bei den Anhängern des historischen oder modernen Tango. Ich habe jedenfalls noch nie den Niedergang einer Milonga erlebt, weil dort ewig der gleiche öde Quark gespielt wurde. Ambitioniertere DJs schaffen das gelegentlich durchaus.

Am ehesten fördert noch das positive Sozialverhalten von DJs und Veranstaltern den Erfolg einer Milonga. Ich kenne Beispiele, wo Milongas vor allem deshalb seit vielen Jahren überleben. An der Musik kann es unmöglich liegen!

Daher meine ich, die DJs sollten sich auf den Veranstaltungen eher als Sozialbetreuer und Eintänzer betätigen und zu Beginn irgendeinen Datenstick in den Computer schieben. Das reicht völlig. Und falls sie dann noch über einen Pferdeschwanz plus südländischen Namen und einige tausend Likes auf Facebook verfügen… Wenn der DJ gar aus Buenos Aires kommt, könnte er verletzungsfrei wohl sogar Das große Album der Volksmusik" abnudeln!

Klar träumt man in unserem Bereich stets von einem musikalisch verständigen und aufgeschlossenen Publikum mit hoher tänzerischer Flexibilität – und da ich eine „Außenseiter-Milonga“ veranstalte, erfüllt sich mein Traum wohl deutlich öfter als im Durchschnitt. Das macht mich sehr glücklich.

Aber auch für meine Kollegen sehe ich einen Hoffnungsschimmer: Wenn es doch eh fast Banane ist, was man spielt, könnte man sich doch einfach etwas mehr trauen. Wenn man Glück hat, merken es nur die Richtigen – und man hat sich selber einen Wunsch erfüllt.

Ob man damit Erfolg hat, ist natürlich nicht garantiert. Dazu hat ein Kommentator im obigen Forum einen wunderbaren Satz formuliert – vielleicht ohne den Gag selber kapiert zu haben. Zu den DJs schreibt er:

„Scheinbar gute werden wieder gebucht und scheinbar schlechte nicht.“

Eben: nur „scheinbar“ – nicht „anscheinend“!

Und nicht vergessen: Die Geschmäcker sind verschieden...

Madame Rosalie geht baden * www.tangofish.de

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