El Flaco Dany
Heute stieß ich auf Facebook auf einen Text von Daniel García (1936-2019), in der Tangoszene besser bekannt als „El Flaco Dany“ – wegen seiner Figur also „der dürre Dany“.
Er galt als einer der letzten „alten Milongueros“, geboren in Buenos Aires. Zum Tango kam er über seine Eltern:
„Zum Tango bin ich gekommen, als ich noch sehr jung war. Mit meinen Eltern ging ich in die Lokale, in denen sie damals tanzten. Diese waren nicht wie die heutigen Salons, es gab keine Tische drinnen, die Salons waren drinnen und die Teestube draußen. Und so begann ich nach und nach meine ersten Schritte zu tanzen, indem ich meiner Mutter folgte und später den großen Tänzern jener Zeit zusah. Ich war damals acht oder zehn Jahre alt. Als ich mich dem Alter von achtzehn oder neunzehn Jahren näherte, lernte ich weiter, indem ich verschiedenen Tänzern zusah. (…)
Es war sehr schön, meine Eltern beim Tanzen zu beobachten, sie hatten einen sehr schönen Salonstil. Ich kann Ihnen versichern, dass es zu dieser Zeit tatsächlich noch keine Tangolehrer gab. Wir trafen uns immer montags oder mittwochs, Tage,die wir für das Tanzen reserviert hatten, und übten verschiedene Schritte ein.“
Eigentlich hätte er wohl abends auf seinen jüngeren Bruder aufpassen sollen. Sobald der aber eingeschlafen war, schlich sich Dany aus dem Haus und zur Milonga.
Man tanzte damals nicht nur Tango – auch Foxtrotts waren sehr in Mode. Vielleicht kam daher Danys Hang zur Milonga.
Sein Betätigungsfeld waren die Salons, nicht die Bühne. Sein Freund Carlos Gavito ermutigte ihn, seinen Tanzstil weltweit zu unterrichten und vorzuführen.
Bekannt wurde er vor allem durch seine „Milonga con traspié“, auf die er mit seinem Kollegen Omar Vega beim Üben kam: Der zeigte ihm einen neuen Schritt, bei dem sie ins Stolpern gerieten. So einfach kann man neue Ideen entwickeln!
https://www.todotango.com/english/artists/biography/1692/El-Flaco-Dany/
https://www.romymusholt.de/galerien/tango-hautnah/einzelportraets/the-last-milonguero-dany-flaco
Nun aber zu dem Text von Flaco Dany, den ich heute entdeckte und übersetzte:
Nimm dir Zeit. Der Tango ist zu wertvoll, um das Lernen nicht zu schätzen. Lerne zuerst die Technik und vergiss sie dann. Der Körper wird sie haben, aber nur dein Geist macht den Tango. Wie mein Freund Gavito sagte: „Das Saubere nützt nichts. Du musst es schmutzig machen,(... ) deine Persönlichkeit muss den Tanz diktieren, das ist es, was dem Europäer fehlt“ - das Saubere, Richtige ist nicht gut, du musst es schmutzig machen, lass deine eigene Persönlichkeit den Tanz entwerfen, das ist es, was dem Europäer fehlt. Haltung, Technik kann man lehren, sogar Musik, aber Subtilität und Improvisation sind in dir oder nicht, du musst mit ihnen geboren werden. Es ist gut, dass jetzt so viele Leute angefangen haben, Tango zu tanzen, aber schauen Sie sich auch an, was sie tanzen. Sie tanzen Bewegungen, statt zu fühlen (…), sie schauen auf den Boden, kümmern sich nicht um die Frau in ihren Armen. Viele sehen aus wie Klone. Das ist traurig für mich, ich habe gelernt, dass Tango Respekt bedeutet, vielleicht bin ich altmodisch, aber warum kommen dann so viele junge Leute in meinen Unterricht? Nichts ist wirklich neu, alles war schon erfunden worden, wenn du Todaro 1953 tanzen siehst, merkst du, dass ich Recht habe. Beim Tango geht es um Subtilität. Ich habe Angst, ob du sie hast oder nicht - es sagt so viel über dich aus, wie du die Frau küsst, wie du Pausen machst. Der Tango geht buchstäblich Schritt für Schritt, je weniger du tust, desto mehr ist es Tango.
Der Tango zu den „goldenen Zeiten“ unterschied sich deutlich vom heutigen. Damals tanzten vor allem die einfachen Leute (Dany arbeitete als Taxifahrer), während heute Akademiker das Parkett füllen. Es tanzt mehr der Kopf als die Seele. Die früher Aktiven gerieten oft schon in sehr jungen Jahren auf die Milongas, während viele sich heute erst in der zweiten Lebenshälfte zum Tango entschließen. Typischerweise bucht man dann eine Menge Kurse, die es vor 80 Jahren noch gar nicht gab. Also traf man sich einst in der Familie oder unter Gleichgesinnten, übte und bastelte an seinen Bewegungen herum. Häufig erlernte man – wegen der äußeren Umstände – beide Rollen.
Es ist ein riesiger Unterschied, ob man diesen Tanz durch Herumprobieren erwirbt oder in einem Lehrgang gezeigt bekommt, wie es „richtig“ ist. Ziel ist heute, dass alle so tanzen wie ihre Tangolehrkräfte. Damals bemühte man sich, seinen eigenen Stil zu finden.
„Viele sehen aus wie Klone“, so Flaco Dany. Ich rate, über diesen Satz einmal nachzudenken!
Heute ist eine eigene Art, Tango zu tanzen, eher ein Anlass, heruntergemacht zu werden: Das sei „gar kein Tango“. Ich kann ein Lied davon singen!
Ich finde es aufschlussreich, dass Flaco Dany auf seine Milonga traspié-Aktionen durch einen Stolperer kam. Als ich mal in meiner Anfängerzeit eine neue Milonga-Figur ausprobierte, die ich irgendwo gesehen hatte, erzählte mir meine Tangolehrerin, diesen Schritt gebe es nicht. Zum Glück kehrte ich daraufhin dieser Schule den Rücken und entwickelte meinen Tango vor allem daheim im Wohnzimmer und auf den Milongas.
Wäre ich damals geblieben, würde ich heute vielleicht Stunden als Tangolehrer anbieten. Das ist der Welt glücklicherweise erspart geblieben.
Tango ist nichts, das man sich kaufen kann – wie schön! Man muss ihn sich durch jahrelanges Tanzen erwerben. Wenn man verrückt genug ist, macht das Spaß. Und die wichtigsten Sachen – auch da stimme ich dem alten Milonguero zu – muss man in sich tragen. Lernen kann man sie nicht.
Zum Glück gibt es von Flaco Dany noch eine Reihe von Bilddokumenten. Hier tanzt er mit Silvina Valz eine typische Milonga:
https://www.youtube.com/watch?v=ByDOGu4mMn4
Im folgenden Video interpretieren die beiden eines meiner Lieblingsstücke, die Candombe „Tango negro“ von Juan Carlos Cáceres:
https://www.youtube.com/watch?v=IDda9NSxofk
Daniel Garcia wurde ein eigenes Stück
gewidmet: Von Bebe Ponti und Ariel Prat stammt der Titel „Milonga para El Flaco Dany”:
Le dicen el Flaco Dany,
traje blanco, rubio fuego
y en sus pies dos llamaradas
de un candombe arrabalero.
Porteño de pura cepa,
bailarín de noche entera.
Son sus pasos resonancias
de una extirpe milonguera.
Sie nennen ihn El Flaco Dany,
weißer Anzug, feuerblond,
und an seinen Füßen zwei Flammen
einer Candombe Arrabalero.
Ein Porteño reinsten Wassers,
Tänzer der ganzen Nacht.
Seine Schritte sind Resonanzen
einer aussterbenden Milonga-Ära.
https://www.youtube.com/watch?v=9YZVB4Gn5pA
Zum Weiterlesen: https://blog.neunmalsechs.de/2017/06/28/tango-legende-flaco-dany-81-in-darmstadt-frankfurt/
Lieber Herr Riedl,
AntwortenLöschendieser El Flaco Dany hat es Ihnen ja wohl angetan, oder? Scheint er doch d'accord zu gehen mit ihren Vorstellungen über Tango und das Lernen dieses Tanzes. Aber Vorsicht.
Denn es ist ein Irrtum zu glauben, dass der Tango in Buenos Aires nicht unterrichtet wurde, zumal es sehr viele Academias (de Tango) gab. So ist es nicht richtig, dass Tango nur durch abschauen und persönliche Privatstunden vermittelt wurde. Es gab klare Vorstellungen, wie ein gutgetanzter Tango auszusehen hat und man traute sich nicht so ohne weiteres auf die Tanzfläche bis man einige Grundfertigkeiten erlernt hatte, seine Partnerin einigermaßen sicher über eine gefühlte Tanzpiste zu führen; und blamieren wollte man sich auch nicht. Eine gewisse Eitelkeit war schon maßgeblich.
Die Zeit, bis man einen eigenen Stil entwickelte, verlangte viel Übung. Bis dahin kopierte man eben die guten Tänzer und gehörte zu den Klonen, was man aber schnell ändern wollte.
Diesen Text von Flaco Dany so zu interpretieren, seinen eigenen Tanzstil als bewußt "schmutzig" zu deklarieren, weil man es eben nicht "sauber oder besser" kann, trifft nicht das, was El Flaco Dany hier gemeint hat. Stilvoll zu tanzen ist eine persönliche kunstvolle Entscheidung und keine unbewusste Fehlerkultur aus Unvermögen.
Sollten sich aus dieser Tatsache Bezüge auf den von Ihnen "gepflegten Tanzstil" herleiten lassen, so sind diese nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Seipel
Lieber Herr Seipel,
Löschenich war damals (50er Jahre) nicht dabei (Sie vermutlich auch nicht) und kann mich daher nur auf Aussagen von „Zeitzeugen“ beziehen. Wenn Sie andere Quellen haben, wäre ich für eine Nennung dankbar. Mit bloßen Behauptungen mag ich mich jedoch nicht näher beschäftigen.
Was Carlos Gavito unter „schmutzigem“ Tanzen versteht, habe ich im Artikel nicht interpretiert. Ich glaube aber nicht, dass er darunter verstanden hat, Unvermögen zu kultivieren.
Jedenfalls gefällt mir sehr, wie Daniel Garcia tanzt. Ich hoffe, man gesteht mir diese Neigung zu. Mein persönlicher Tanzstil tut da nichts zur Sache. Der Ihre (den ich nicht kenne) übrigens auch nicht.
Beste Grüße
Gerhard Riedl