Dies Bildnis ist erschreckend schön

 

„El hombre conduce, la mujer seduce y se luce. – Der Mann führt, die Frau verführt und glänzt.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Queer_Tango 

Vor drei Tagen veröffentlichte ich eine Satire zu einer Wochenend-Tangosause, bei der in zehn Workshops mal wieder vorrangig Schritte verkauft werden. Zufällig fand ich beim Veranstalter ein Werbefoto, das ich so kommentierte:

„Auf der Salon-Website finden wir das Programm unterhalb eines gar leidenschaftlichen Fotos, das Kennern eigentlich schon alles sagt: Pferdeschwanz mit geblümter Weste hypnotisiert Fin de Siècle-Dutt.

https://www.tango-salon-leipzig.de/specials

Ein durchaus tangoerfahrener Leser wies mich darauf hin, es handle sich aber um ein gutes Lehrerpaar, keinesfalls Dünnbrettbohrer. Ich hätte vorrangig auf den Pferdeschwanz des Lehrers allergisch reagiert.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/06/und-taglich-tanzt-das-murmeltier.html?showComment=1656062941685#c3922038973002195308

Nun ist es mir beim Tango generell nicht so wichtig, wer wo welchen Schwanz trägt. Und da ich noch nie Unterricht dieses Paars erlebt habe, gibt es in meinem Artikel auch keinerlei Wertung hierzu.

Zudem sind solche hormontriefenden Fotos im Tango ja durchaus branchenüblich. Was ich mich nicht erst seit heute frage:

Was bringt eigentlich erwachsene Menschen – außerhalb der engeren Erotik-Branche – dazu, von sich solche Bilder anfertigen zu lassen?

Und vor allem: Was sagen solche Fotos darüber aus, wie gut der Unterricht eines solchen Paars sein wird? Mich würde dabei die Befürchtung plagen: Vielleicht sind die beiden so bremsig aufeinander, dass sie sich kaum noch um die Lernenden kümmern können…

Nein, ich weiß  natürlich: Hier werden Träume und Illusionen verkauft: Den Herren wird es nach Erlernen der Basse mühelos gelingen, ein solch holdes Weib zu erringen. Und die Schülerinnen werden von einem gnadenlos schönen, streng blickenden Caballero auf dem Strich bewegt. Welch wohliger Schauer!

Ich habe wiederholt solche Tango-Bildnisse veröffentlicht  (und im Nachhinein gelegentlich schmunzelnd festgestellt, dass man die schlimmsten davon gelöscht hat). Daher hier nur wenige Beispiele aus der Ocho-Geisterbahn!

Der Klassiker:

https://tango-lugo.de/galerie/

Immerhin zirka 50 Bilder gibt es hier:

https://www.oscaryvickytango.com/galerie

Was mir immer wieder auffällt: Von den Männern geht auf vielen Bildern ein deutlich herrischer Zug aus – oft wird die Dame fast zu Boden gedrückt, während der Tänzer wie ein Hühnerhabicht über seinem Opfer dräut.

https://www.oscaryvickytango.com/galerie?pgid=kcakeak8-cb1ce818-e6a8-40c7-bacb-23dd65fc27f9

https://www.pabloyludmila.com/gallery?lightbox=dataItem-ityflf33

Ich finde, die sexuelle Konnotation ist hier überdeutlich. Und sie transportiert durchaus deftige Klischees zu den Geschlechterrollen. Mir fällt dazu ein bereits einmal zitiertes Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1957 ein, wo es um die Ungleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Beziehungen geht (Homosexualität unter Männern war strafbar, die unter Frauen nicht). Aus der gruseligen Rechtfertigung dieses Unterschieds:

 „Schon die körperliche Bildung der Geschlechtsorgane weist für den Mann auf eine mehr drängende und fordernde, für die Frau auf eine mehr hinnehmende und zur Hingabe bereite Funktion hin. (…)

Anders als der Mann wird die Frau unwillkürlich schon durch ihren Körper daran erinnert, dass das Sexualleben mit Lasten verbunden ist. Damit mag es zusammenhängen, dass bei der Frau körperliche Begierde (Sexualität) und zärtliche Empfindungsfähigkeit (Erotik) fast immer miteinander verschmolzen sind, während beim Manne, und zwar gerade beim Homosexuellen, beide Komponenten vielfach getrennt bleiben.

(BVerfGE 6, 389) http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv006389.html#Rn111

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/07/magst-du-fuhren.html

Wahrlich, im „traditionellen Tango“ stammt nicht nur die Musik aus den 1940-er  Jahren, sondern auch die verquasten Sexualvorstellungen: Der Mann arbeitet als Erotik-Geber, die Frau als Erotik-Nehmerin, welche sich dem fordernden Macho „hingibt“. Dazu fertigt man dann Fotos von Figuren, welche auch in der Kleidung an Wanderzirkusse mit Zauberern und Kunstschützen nebst ihren Assistentinnen erinnern.

Und diese versalzene Suppe bringt man dann auch noch mit „Tangokultur“ in Verbindung. Kultur? Nein, eher verlogene Geschichtchen aus den Groschenromanen und den Courths-Mahler-Schmonzetten!

Das Schlimmste daran: Durch dieses Image des argentinischen Tango wird eine Männer-Population angelockt, welche bei diesem Tanz – wie heute fast nirgendwo sonst – ihre vorsintflutlichen und schrägen Ideen von der Geschlechterbeziehung ausleben wollen. Solche Leute möchte ich nicht geschenkt haben!

Doch abschließend nun von den „erschreckend schönen“ Tango-Bildnissen zum Kern meiner Titel-Anspielung: In Mozarts „Zauberflöte“ betrachtet Tamino ein Bild seiner geliebten Pamina. Deren äußere Vorzüge können wir nur durch die Reaktion Taminos erahnen, als er die berühmte „Bildnisarie“ singt. Auch so kann man weibliche Schönheit beschreiben – falls man Fantasie hat.

Diese Szene hat kein Tenor so zauberhaft dargestellt wie Fritz Wunderlich – hier ein altes, unscharfes Schwarz-Weiß-Video. Und dennoch: Welche Ausstrahlung! Davon könnten wir bei den Tango-Bildnissen einiges brauchen…


https://www.youtube.com/watch?v=px0H0rD2L2E

P.S. Hier noch eine sehr gute biografische Sendung über den größten Tenor des 20. Jahrhunderts:

https://www.youtube.com/watch?v=TCfYlogx8SE  

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