Gute Nachrichten. Wirklich?


Um mit einem unerwarteten Kompliment zu beginnen: Es lohnt sich tatsächlich immer wieder, im Tangoblog von Melina Sedó zu blättern – insofern ist der dort angegebene Wert von „two cents“ wahrlich untertrieben.

Die Saarbrücker Tangolehrerin und deutsche Begründerin des Encuentro-Formats bloggt seit 2010 – und bereits im Gründungsjahr schrieb sie sich einen im Tango weit verbreiteten weiblichen Frust von der Seele. Ich habe den Artikel aus dem Englischen übersetzt.

Unter dem Titel „Good news. Really.” knöpft sie sich in eindrucksvoller Weise die männlichen Tänzer vor:

Die Herren seien nun einmal visuelle Wesen – das könne man in jedem Café beobachten. Jedes Mal, wenn eine attraktive weibliche Person an ihrem Tisch vorübergehe, richte sich der männliche Fokus auf sie – ungeachtet von Essen oder Gesprächspartnern. Die Frauen nützten dies ja auch aus, indem sie sich entsprechend aufbrezelten. Mit den Traditionen und Bildern des Tango sei dies höchst kompatibel – daher habe die Autorin noch nie so viele wunderschöne Damen gesehen wie in diesem Metier. Und in großer Zahl seien sie auch recht ordentliche Tänzerinnen.

Den Unterschied formuliert sie ziemlich provokant:

„Leider habe ich noch nie so wenige großartige Männer gesehen wie im Tango. Männer sind in der Minderheit, ziehen sich oft sehr nachlässig an, und die durchschnittliche Attraktivität ist nicht atemberaubend. Auch das Tanzniveau ist bei Männern viel niedriger als bei Frauen. Und deshalb kann sich jeder halbwegs anständige Tänzer wie ein Kind in einem Süßwarenladen fühlen und unter der weiblichen Bevölkerung frei nach der Checkliste auswählen:
- Alter
- Attraktivität
- Aufmachung und Schuhe
- Tanzqualität” 

Tatsächlich komme die tänzerische Fähigkeit erst an letzter Stelle – erstens, da sie nicht besonders bedeutsam sei, und zweitens, weil die Herren annähmen, gut aussehende Damen auf Stöckelschuhen seien automatisch bessere Tänzerinnen. (Die gelernte Psychologin erinnert daran, dass man allgemein gut aussehenden Personen mehr zutraue.) Nicht zu vergessen: Ein hohes weibliches Tanzniveau werde von den Tangueros oft als Bedrohung empfunden.

Das lustige Ergebnis: Die Autorin kenne auch aus ihrem persönlichen Umfeld gute Tänzer, welche mit weit unterdurchschnittlichen Tangueras zugange seien, welche kaum laufen könnten – wegen ihrer komischen Fehlentscheidungen, die auf Aussehen, Absatzhöhe und Alter beruhten.   

Die weniger spaßige Folge: Die Mehrheit der Frauen über 40 – oder solche mit weniger idealen Körpermaßen säßen die meiste Zeit herum, egal, wie sie sich anzögen oder tanzten. Und Achtung:

„In Buenos Aires ist das noch krasser: Viele der ältesten Milongueros tanzen grundsätzlich nur mit den jüngsten Tangueras und wählen sie oft sogar als Liebhaberinnen. Und erzählt mir nicht, dass in den argentinischen Milongas das Alter geehrt wird! Die älteren Tangueras werden vielleicht auf ein Ehren-Podest gestellt, aber es sind die jungen Mädchen, die man auffordert. Das ist alles ein bisschen traurig, und es erzeugt eine Menge Frustration bei Frauen und einen hohen Druck auf Männer.“

So viel zur vorbildlichen Wirkung der Traditionen vom Rio de la Plata…

Selber habe Melina Sedó das auch erlebt: Als Anfängerin sei sie jung, attraktiv und talentiert genug gewesen, um zu einer der Lieblingspartnerinnen lokaler Tango-Cracks zu werden: Sie konnten mit ihr all die ausgefallenen Sachen tanzen und ihr die Welt zeigen, wie Männer das halt gerne täten.

Mit zunehmendem Alter und einigen Kilos mehr – sowie inzwischen als professionelle Tangolehrerin – wurde sie weit weniger aufgefordert und durfte ihrem Partner beim Tanzen zusehen. Frust!

Im Lauf der Jahre hätten sich jedoch ihre Prioritäten verschoben: Sie sei anspruchsvoller geworden und wolle gar nicht tanzen, wenn sie müde sei, ihr Musik oder Tangueros nicht zusagten. Sehr oft lehne sie sogar Aufforderungen ab.

(Nebenbei: Als „Melina-Kenner” fällt mir ihr etwas mauliger Tonfall nicht zum ersten Mal auf – verdächtig oft betont sie, gar nicht unbedingt tanzen zu wollen. Eine Folge einstiger Traumata? Aber ich bin ja kein Psychologe…)

Wo bleiben den nun die guten Nachrichten? Sie erscheinen zu guter Letzt:

„Die jungen Männer kommen! Und sie sind anders.“

Die Jungs in den Dreißigern zeichneten sich als wirklich gute Tänzer aus, welche sich ohne jeden Schnickschnack auf Umarmung, Qualität und Musik konzentrierten. Klar seien sie bei den jungen, attraktiven Tangueras beliebt, aber die Kerle gingen mit allen Arten von Damen aufs Parkett – auch mit denen in doppeltem Alter und Gewicht sowie mit bequemer, unspektakulärer Bekleidung. Und beide Partner hätten Spaß daran.
  
Melinas damalige Zukunftsperspektive:

„Es scheint jedoch, dass sich mit zunehmender Betonung der Bewegungs- und Umarmungsqualität die Auswahlkriterien im sozialen Tango im Laufe der Jahre ändern könnten. Die Frauen würden aufgrund ihrer Erfahrung im Tanz und aufgrund ihrer Fähigkeit, sich wirklich in der Umarmung zu engagieren, und nicht aufgrund ihres Aussehens oder Alters, als attraktive Tanzpartnerinnen wahrgenommen.
Und da die Gesellschaft älter wird und somit auch alle jungen Frauen im Tango, ist dies eine sehr positive Aussicht. Oder?“

Hier der Originaltext:

Neun Jahre später müssen wir leider feststellen: Der Einmarsch der Jugend im Tango ist ausgeblieben – und die prähistorischen Auswahlkriterien auf der Basis von Altherrenfantasien gelten nach wie vor. Inzwischen ist auch die Blog-Autorin wesentlich pessimistischer:

Ich sehe da durchaus eine persönliche Tragik bei Leuten wie Melina Sedó: Das Milonga-Format, welches sie seit bald 20 Jahren bewirbt, lockt halt gerade die Konservativen im Tango an – und die sind tendenziell männlich und älter. Jüngere, kreative Menschen schreckt man durch altväterliche Verhaltensnormen und historische Musik eher ab. Diszipliniertes Hintereinanderherlaufen im Kreis ist ungefähr das Letzte, womit man Zwanzig- bis Dreißigjährige begeistern kann.

Und selber?

Ich gebe gerne zu: Trotz meines weit fortgeschrittenen Alters ist mein Testosteronspiegel noch hoch genug, um an einem hübschen jungen Mädchen Gefallen zu finden – ebenso wie an einem rassigen Lipizzaner bei einer Dressurvorführung. Mit beiden tanzen muss ich jedoch nicht unbedingt (und wenn, dann würde mich das Bewegungstalent des Zossen mehr interessieren).

Ich habe es immer wieder erlebt: Erst wenn man weiß, wer man selber ist, kann man gut Tango tanzen. Unter Vierzig ist das selten, und manche schaffen es auch mit Achtzig noch nicht.

Letztlich ist es mir egal, wie alt eine Tanzpartnerin ist. Aber da bei den wenigen jungen Dingern im Tango die alten Trottel eh Schlange stehen, fällt mir die Auswahl umso leichter. Und mir ist auch nicht so wichtig, auf welchem „technischen Level“ eine Tanguera tanzt. Womit man mich allerdings schwerstens beeindrucken kann, ist eine gewisse Emotionalität, die sich nicht nur auf mich, sondern ebenso auf die Musik bezieht. Dann können „Traumtangos“ entstehen.

Daher kann ich älteren Tänzerinnen nur raten: Stürzt euch nicht in Wettbewerbe, die ihr nicht gewinnen könnt, lasst also das peinliche Aufgetakel und bietet den Tänzern lieber das, was Jüngere ihnen vielleicht nicht geben können: Persönlichkeit. Und – um mich zu wiederholen: Nehmt auf die Milongas eine größere Menge mentaler Sticker mit der Aufschrift „Depp“ mit und verteilt diese großzügig.

Und ja: Setzt euch nie neben eine deutlich jüngere Kollegin – mit fast mathematischer Sicherheit wird die zuerst aufgefordert. Persönlich finde ich das abartig und bitte in solchen Fällen zunächst die Ältere um einen Tanz.

Mein Spaß dabei ist schon einmal, das Herunterklappen der Unterkiefer im Saal zu beobachten!

Das sind dann für mich wirklich gute Nachrichten.

Tango-Tiefenentspannung

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