Eine Karikatur des Patriarchiats
Wieder
einmal hat mich der Berliner Tango-Korrespondent Thomas Kröter auf einen sehr interessanten Artikel aufmerksam
gemacht, welcher immerhin aus der New
York Times stammt – und noch dazu vom Tango in Buenos Aires handelt.
Unter
dem Titel „A Caricature of the Patriarchy” berichtet
der Journalist Ernesto Londoño von der Tänzerin Liliana Furió, die aktiv im „Tango Feminist
Movement“
ist – einer losen Gruppierung, die „den Tango weniger
dogmatisch in Bezug auf traditionelle Geschlechterrollen und selbstbewusster in
Bezug auf die Bekämpfung sexueller Belästigung und Misshandlung“ machen will.
Auf
ihrer Milonga „La Furiosa“ („Die Wütende“) verletzt sie bewusst „alle Regeln des Tangos, Argentiniens
wichtigsten kulturellen Exportgutes“:
Die
momentane Realität wird so
beschrieben:
„Egal, ob sie es
lieben oder nur aushalten – die Frauen, von denen erwartet wird, dass sie
Cocktailkleider und High Heels tragen, müssen sich für Vier-Lieder-Sets
festhalten. Erfahrene Tangotänzer sagen, dass die 15-minütigen Strecken zur
Qual werden können, wenn sich die Umarmung eines männlichen Partners erstickend
anfühlt – oder wenn seine Hand weit unter dieTaille wandert. (…) Es ist ein Spiel, um
zu testen, wo die Grenzen sind."
In
diesem Juli veröffentlichte die Gruppe ein Protokoll, das Richtlinienvorschläge für Veranstalter
enthält: So sollen Paare akzeptiert werden, die nicht in der traditionellen Geschlechterrolle tanzen;
es bietet Anleitungen zum Umgang mit sexuellen
Belästigungen und Misshandlungen.
Männer, die sich unangemessen benehmen, sollen aus der Veranstaltung gewiesen
werden.
„Tango ist ein
Spiegelbild dessen, was in unserer Kultur vor sich geht, und unsere Kultur hat
es Männern lange Zeit ermöglicht, einen zu berühren, wann immer sie wollen, und
wenn man sich beschwert, wird man als verrückt abgetan", so ihre Kollegin Victoria Beytia.
Die
Dokumentarfilmerin Liliana Furió lernte den Tango durch ihren Vater kennen, der
regelmäßig Tangoshows im Fernsehen sah. Sie war fasziniert und besuchte viele
Milongas. Allerdings wurde sie abgeschreckt „durch
die Rituale und Verhaltensregeln, die sie als sexistisch und erniedrigend
empfand.“
Auch
die oft dramatischen und leidenschaftlichen Tangotexte machten vor Gewalt gegen Frauen bisweilen nicht Halt,
beispielsweise in den Stücken „Amablemente“
und „Tortazos“. Aber auch generell
komme in ihnen der „allgegenwärtige
strukturelle Sexismus“ zum Tragen, so die Tangolehrerin Soraya Rizzardini González: „Die Geschlechterrollen sind
festgelegt", sagt sie. „Eine Person
führt und die andere nicht. Tango ist eine Karikatur des Patriarchats."
Liliana
Furió meint, dass das Erlernen des Tango mehr als konventionelle Kurse
erfordere, nämlich einen psychologischen
Durchbruch, nachdem sie sich Jahre ihres Lebens damit abgefunden hatte, sich
herabgewürdigt, unterschätzt und herumgestoßen zu fühlen. Aber es habe einen
magischen Wendepunkt gegeben, als sie merkte, dass sie die durchsetzungsfähige Rolle auf der Tanzfläche übernehmen konnte:
„Als Frau begreift man, dass man führen kann und es gut macht. Im
Laufe der Jahre habe ich vielen Frauen geholfen, die mit dem gleichen Problem
zu kämpfen hatten."
Sehr konservative Tangoveranstalter in Buenos Aires
freilich konnte sie noch nicht überzeugen, so Héctor Norberto Pellozo, der die Milonga „Cachirulo“ leitet. Er besteht darauf, dass sich die Gäste elegant
kleiden und die Werberituale einhalten, bei denen Frauen das Interesse der
Männer erwarten müssen. Zu den Neuerungen bei den Geschlechterrollen sagt er: „Frauen wissen, wie man Respekt verdient. Jetzt
geht es darum, dass Frauen die Männer überholen wollen."
Pellozo sagt, während er schwule Menschen respektiere, sei
die Vorstellung, dass sie am Tango teilnehmen könnten, Gotteslästerung: „Brust an Brust zu sein ist nicht dasselbe,
wie wenn es zwischen einem Mann und einer Frau geschieht.“
Folglich flog Liliana
Furió einmal aus dieser Milonga, weil sie versucht hatte,
mit einer anderen Frau zu tanzen. Aber inzwischen ziehe ihre Veranstaltung „La Furiosa“ eine größere Menschenmenge
an: „Wir haben es vielleicht zu etwas
erweitert, das brüderlich und nicht unbedingt sinnlich ist.“
Hier der Originaltext:
Fazit
Ich bin immer wieder froh, solche
„O-Töne“ zu entdecken. Sie zeigen in
schöner Regelmäßigkeit, dass letztlich im Tango-Mekka – bei allen kulturellen
Unterschieden – ähnliche Gegensätze ausgefochten
werden wie bei uns. Wer sich auf Buenos Aires als „Hort der Tradition“ beruft,
ist schief gewickelt. Auch dort behaupten viele Machos, keine zu sein, während dies etliche Frauen ganz anders
sehen: Aus deren Perspektive ist man im Tango von einer umfassenden
Gleichberechtigung noch weit entfernt, begünstigen die allfälligen „Códigos“
eindeutig die Männer. Und das liegt am wenigsten am stets beschworenen „Frauenüberschuss“!
Freilich werden sich die Damen das
Recht, wie und mit wem sie tanzen
wollen, selber nehmen müssen. Die
Herren besitzen es und werden es ihnen nicht freiwillig geben!
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