Realsatire


In meinem Buch „Der noch größere Milonga-Führer“ schrieb ich auf S. 80:

„Códigos: Zurück zu den Wurzeln?
Manche Gralshüter der reinen Leere machen sich damit wichtig, der neuzeitlichen sowie erstaunten mitteleuropäischen Tangopopulation archaische Benimmregeln vom „Rio de la Platitüda“ aufzutischen. Insbesondere auf Veranstaltungen, welche „original argentinisch“ daherkommen („Tanzen wie auf den Milongas in Buenos Aires in Hintergwemfting, Bräuroselgasse 14“) wird den erstaunten Gästen Museumströdel von anno dunnemals verordnet: bestimmte Sitzordnung, Aufforderung per gluhe Blicke („Cabeceo“ – gibt’s jetzt auch schon als „Blinzel-Workshop“), Tandas, Cortinas und die knisternde Erotik der Schellackplatten von 1915 aufwärts. („Los Wochos: Jetzt neu, nur für kurze Zeit, mit original südamerikanischer Soße!“). Als unbegründbares Axiom dient jeweils die ultimative Feststellung, selbiger Brauch ginge auf die „argentinischen Gründerväter“ des Tangos zurück.“

Klar, das war Satire, aber:

Neulich veröffentlichte Peter Baumgartner auf seinem Blog eine Einladung, die ihn erreichte:

“Dear Friends of McA!” (heißt wohl “Milonga con Amigos”)
“We would like to invite you to our next milonga:
4714 MEGGENHOFEN
Dorfplatz 2
It will take place on the 15th of February 2014
We are very glad to present (…) from Graz ( Styria/Austria) as DJANE .
We are looking forward meeting you in February.
PLEASE DO !
Mirada & Cabeceo, Close Embrace , Ronda
PLEASE DON`T !
Gancho, Boleo, “Stage-Tango”
LIEBE AMIGOS!
Es ist uns eine Freude, euch zu unserer nächsten McA am 15. Februar einzuladen. Wenn ihr Freunde habt, die die enge Umarmung und die Musik der “Epoca de Oro” so schätzen wie ihr, dann nehmt sie mit, sie sind herzlich willkommen.
Auf unserer Milonga wird die Musik der goldenen Epoche des Tangos aus den 30er bis hin zu den 50er Jahren arrangiert in Tandas gespielt.
Das Auffordern: Jede Tanda wird beendet von einer Cortina, in der die Paare die Tanzfläche verlassen, um allen – Männern wie Frauen – die Möglichkeit zu geben, per Augenkontakt und Zunicken (Mirada und Cabeceo) neue Tanzpartner zu finden.
Die Ronda auf der Tanzfläche: Beginnt ein Paar zu tanzen, empfiehlt es sich, vor dem Einordnen ebenfalls Augenkontakt mit den Nachkommenden aufzunehmen, denn oberste Maxime ist: Jede und jeder soll sich auf der Tanzfläche sicher fühlen und nicht durch unberechenbare Bewegungen anderer gestört oder gar verletzt werden. Besonders stressfrei wird es, wenn jedes Paar für sich entweder die erste oder die zweite Spur wählt und diese Position zwischen Vorderpaar und Hinterpaar beibehält, also nicht überholt. Die Führenden können dann leicht einschätzen, wie viel Platz ihnen für die nächsten Schritte bleiben.
Ein ausgewogenes Verhältnis der Führenden und Folgenden: Ein halbwegs gutes Gleichgewicht zwischen Leader und Follower verhindert Stress und Frustration, sodass alle gleichermaßen die Möglichkeit haben zu tanzen. Daher ein Wunsch an unsere Solas. Wir freuen uns, wenn ihr zu unserer Milonga con Amigos kommt. Doppelt freuen wir uns, wenn es euch gelingt, einen Solisten mitzubringen.
Wir freuen uns darauf, gemeinsam mit euch die Atmosphäre einer derartigen Milonga zu genießen!
Das Team”
Da steht man als Satiriker ganz schön blöd da: Die Wirklichkeit übertrumpft als „Realsatire“ die Fantasie des Autors! Da ich dies nicht so lassen will, habe ich den im schönsten Hispano-Denglisch gehaltenen Text noch etwas ausgestaltet:

Dear friends of YMCA,

We’d like to complete this invitation as follows:

If you have friends who also cannot dance anything else like to a boring music with the old fashioned “hatsching” steps, bring them along to us – they also won’t be recognized as individuals, too.

PLEASE DO: a grim face and a frozen embrace
PLEASE DON’T: making jokes, giggling and fooling around

Tandas, Cortinas and the cabeceo:
After three or four sluggish titles of music you will hear a few beats of interesting sounds; that’s called “cortina” – and as you anyway can’t dance that, you have to leave the floor instantly and wait until the dull music continues. During this time, you should look for a new dance partner pulling faces or do other silly things drawing the attention on you. That is called “mirada”. If anyone of the other sex responses in that lunatic way (“cabeceo”), you can continue dancing.

Ronda Rules:
Before this can take place, you should draw a number like the “Hartz IV-receivers” in the German “working agencies”. This number marks your position in the so called “ronda” (dancing couples marching anticlockwise). If this is an odd number, you have to use the inner trace of the ronda, otherwise the trace outside. For the right order, every leader has to glue the paper with his number on his forehead.

Equipment:
Security is the A and O of traditional dancing. Everyone must feel safe und protected against violations and unusual styles of dancing which probably could overstretch his creativity. As for the equipment, you will need a crash helmet, safety glasses, tibia protectors and safety shoes (men also a jockstrap) as illustrated in Gerhard Riedls “Der noch grossere Milonga-Fuhrer” p. 351.
For female participants skirts and high heels are obligatory - otherwise they won't find any dance partners.

Gender balance:
Furthermore, we need a good balance between the numbers of leaders and followers, so that the men don’t have stress and frustration. Therefore, dear single ladies: If you are not capable to force a male partner coming with you, then chop off, you silly bitches!

So we look forward to enjoy with you the very special atmosphere of an “encuentro”!

The team

Dennoch sollten wir ein Wort von Werner Schneyder bedenken:
„Realsatire ist es nur, wenn einer sich totlacht und wirklich stirbt.“

Kommentare

  1. Lieber Gerhard

    Das ist tatsächlich das Zitat aus Oberösterreich, welches die Stimmung der Übenahme fast aller Milongas durch die Hardliner der EdO dokumentiert.

    "Therefore, dear single ladies: If you are not capable to force a male partner coming with you, then chop off, you silly bitches!"

    Mit Deinem Spruch am Ende bist Du der Wahrheit ganz nahe: Es hat Aufruhr bei uns gegeben, weil tatsächlich aus diesem Kreis zwei Frauen aus meinem Freundeskreis direkt ins Gesicht gesagt wurde, sie seien ohne männlichen Tanzpartner nicht erwünscht.

    Herzlich
    Peter

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    1. Lieber Peter,

      ich weiß, es ist derzeit schwer, per Satire die Realität zu übertreffen, aber ich versuche es weiter!

      Herzliche Grüße
      Gerhard

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