Cortina mit der Tina

Wie angekündigt gibt es nun noch eine Rezension der Podcast-Reihe „Tango Talk“. Bei unserem Gespräch hatten sich Sabine Holl und Dieter Ringlstetter darüber beklagt, dass ich nur eine Folge angehört hätte – und zwar ausgerechnet die erste. Was allerdings nur teilweise stimmt.

Daher habe ich mir jetzt die aktuelle Ausgabe vorgenommen: „Was ist das Geheimnis einer perfekten Milonga, Niki Lettner?“.

Um es vorwegzunehmen: Natürlich wird dieses Geheimnis nicht gelüftet – wäre ja noch schöner, wenn das dann alle nachmachen würden! Abgesehen davon, dass eine „perfekte Milonga“ wohl schrecklich langweilig wäre. Aber gut – um solche Ziele wird ja inzwischen heftig konkurriert…

In der Einleitung erfahren wir von Dieter Ringlstetter, der sich ebenfalls als DJ betätigt, er halte sich für ein „Naturtalent“, da er „eher faul“ sei und einfach die Musik raussuche, auf die er gerne mit Tangoschritten antworte – von traditionellen Aufnahmen bis zum Non-Tango. Da ich schon einmal Zeuge seiner Bemühungen war, darf ich bestätigen: Das kann durchaus funktionieren.

Ganz anders gestrickt ist die Salzburger DJane Niki Lettner, wegen der man extra nach Österreich gereist ist: Sie hat sich in ziemlich kurzer Zeit höchst intensiv ins musikalische Tangoschaffen eingearbeitet – natürlich vorwiegend in dessen historisches Segment. Sie habe, so Ringlstetter bewundernd, das Tangomusik-Abi gemacht.

Na ja, 13 Schuljahre liegen dem nicht zugrunde: Die „kommende, aufstrebende Tango-DJane“ kam erst 2017 zum Tango – und legt seit 2019 (unterbrochen durch die Corona-Pause) ausschließlich in ihrer lokalen Milonga in Salzburg auf, wohin sie damals der reine Zufall verschlug. Die Stimmung dort habe sie sofort fasziniert.

Ansonsten weist sie die heute übliche Karriere auf: Außer einem Tanzkurs, den sie zu ihrem 30. Geburtstag geschenkt bekam, habe sie mit dieser Betätigung nichts am Hut gehabt – und auch nach dieser Erfahrung sei ihr klar gewesen: Wenn schon, dann würde sie als Führende agieren – tatsächlich eine bemerkenswerte Ausnahme. Kontrolle abzugeben falle ihr sehr schwer. Da liegt natürlich die Aufgabe des DJ nahe – die wohl dominanteste Rolle auf einer Milonga.

Zu jeder Tages- und Nachtzeit hörte sie dann Tangolieder, merkte sich Titel und „Orchestras“, entwickelte persönliche Vorlieben. Musikalität, so ist ihr inzwischen klar, sei der Dreh- und Angelpunkt guten Tanzens.

Leider driftet das Gespräch dann ziemlich vom Thema ab und beschäftigt sich unter anderem mit den Rollen von Führenden und Folgenden. Klar, Männer bewegen sich anders als Frauen – ebenfalls eine wahrhaft nicht neue Erkenntnis. Auch, dass Tanzen eher zu kurz kommt, wenn man auflegt. Dennoch versuche die DJane, beide Beschäftigungen voranzutreiben.

Die Musik wählt Niki Lettner nicht nur nach eigenem Gusto auf – schließlich weiß sie, was in der „kleinen, aber feinen“ Salzburger Szene gut ankomme. Leider erfahren wir nur wenig darüber, was sie nun konkret auflegt. Beiläufig werden Namen wie Canaro, Tanturi, Fresedo und Pugliese erwähnt. Sie kündigt das jeweilige Orchester stets zu Beginn einer Tanda an – immerhin! Mit modernen Tangostücken habe sie kein Problem, lege jedoch zu 80 Prozent Traditionelles auf. Welche zeitgenössischen Aufnahmen sie auswählt, erfahren wir leider kaum. In einem Podcast hätte man durchaus Musik-Einspielungen bieten können.

Da sie kein Spanisch spricht, schaut sich die DJane gelegentlich Übersetzungen an – aber auch ohne diese Hilfe spüre sie oft, worum es in einem Stück gehe. Na ja, da kann man sich fallweise gewaltig täuschen…

Sie präsentiere manchmal auch Stücke, „die sonst nicht gespielt werden“ – was sie aber nicht sicher wisse, da sie ja wenig auf anderen Milongas zu Gast sei. Sabine Holl spricht in diesem Zusammenhang von einem „begrenzten Fundus“ der Tangomusik. Immerhin gewinnt dadurch der Meinungsaustausch kabarettistische Züge.

Mit den „weltanschaulichen Grabenkämpfen“ in der Szene beschäftigt sich Niki Lettner nur als passiv Lesende. Für sie zähle lediglich die Resonanz, welche sie von den Gästen erhalte. Gut – man muss halt sehen, dass man auf vielen Milongas, nach der Vertreibung Andersdenkender, ein spezielles Publikum hat!

Die DJane betont immer wieder, dass sie „nach Gespür“ auflege. Ich halte das tatsächlich für die beste Methode – wenn man denn eins hat. Sie entwerfe zwar ein Konzept, weiche davon aber auch je nach Stimmung ab. Und die Cortina, möglichst stets dieselbe, sei besonders wichtig. Zum Tod von Tina Turner habe sie beispielsweise eine „Cortina mit der Tina“ gespielt – was die großartige Sängerin meines Erachtens nicht verdient hat.

Einem Wettbewerbsdruck, so ihre durchaus sympathische Einstellung, wolle sie sich jedenfalls nicht aussetzen.

Quelle: https://www.tango-talk.de/podcast/

Übrigens kommt Niki Lettner bereits in einem früheren Artikel von mir vor:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2023/01/lustiges-aus-dem-salzkammergut.html

Wie zu erwarten war, begibt sich „Tango Talk“ nun wieder in den Streichelzoo statt ins Raubtier-Gehege. Salven kritischer Fragen muss sich die DJane, im Gegensatz zu mir, nicht aussetzen. Na gut, Holl und Ringlstetter werden selber sehen, wie ihr Konzept ankommt.

Ob man jemanden vorstellen sollte, der ohne viel Erfahrung eher am Beginn der Karriere steht, kann man diskutieren. Nur sollte die Betreffende dann schon mit neuen, ungewöhnlichen Perspektiven aufwarten können. Davon habe ich wenig vernommen. Sympathisch immerhin, dass die Anfängerin betont, stets „nach Gefühl“ aufzulegen.

Ich meine aber, man muss lange Zeit – und am besten nicht nur Tango – getanzt haben, bevor man sich ans Mischpult trauen sollte. Die entscheidende Perspektive auf die Verbindung von Musik und Tanz kann man sonst nur schwer einschätzen. Weiterhin sollte man mehr Milongas kennen als die hauseigene.

Und natürlich ist Niki Lettner ein Kind der heutigen Tangophase und hat nur einen eingeschränkten Blick darauf, was unser Tanz an Optionen bietet. Schließlich wurde sie von ihrer „Lehrmeisterin“ entsprechend eingenordet.

Leider verliert man sich immer mal wieder in eher themenferne Erörterungen. Eine Kürzung hätte dem Podcast sicherlich gutgetan.

Oder ein anderer Gesprächspartner. So hätte es Peter Ripota durchaus einmal verdient, zum Interview gebeten zu werden. Der tanzt seit 35 Jahren Tango, legt seit 2000 auf und betreibt nun schon 16 Jahre lang mit seiner Frau Monika eine monatliche Milonga in Freising. Der Vorteil wäre, dass er nur zirka 15 Kilometer von den beiden Podcastern entfernt wohnt.

Allerdings ist er noch etwas sperriger als ich. Aber Nonkonformismus in Kombination mit Erfahrung ist im heutigen Tango eher unerwünscht.

Daher werden sich die Wege von „Gerhards Tango-Report“ und dem „Tango Talk“ nun wohl wieder trennen. Ich werde die Langeweile in Zukunft wieder mehr auf den lokalen Milongas suchen.

P.S. Glücklicherweise geht es im Salzburger Tango manchmal auch heftiger zu. Dann darf es schon mal Piazzolla sein:

https://www.youtube.com/watch?v=TmYPrmmQPeE

Und als Kontrast:

https://www.youtube.com/watch?v=EjWiBEg429o

Kommentare

  1. Sie möchte nicht polarisieren, sie hat vor allem einen mehrheitsfähigen Musikgeschmack. Und sie hat ihre Hausaufgaben gründlich gemacht. (Wir sind im Bereich der Erwachsenenbildung für Qualifizierte - mir scheint ein Tango-Abitur in vier konzentrierten Jahren durchaus realistisch zu sein.)

    Sie musste auch so oder so ihre Milonga mit Musik versorgen. Sofern niemand im Team diese Aufgabe zuverlässig erfüllen konnte, wird sie wenig Alternativen dazu gehabt haben, selbst DJ zu werden.

    Also da hat sie rundum beste Voraussetzungen geschaffen, ich finde dazu kann man ihr gratulieren.
    Ob man daraus viel ableiten kann, ob man dafür eine Podcast-Folge machen muss ... das steht auf einem anderen Blatt.

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    1. Niki Lettner kam erstmals 2017 mit dem Tango in Berührung. Bereits 2019 hat sie dann mit dem Auflegen begonnen.
      Dass sie die DJ-Rolle übernahm, weil es sonst niemand anders gemacht hätte, geht aus den Quellen nicht hervor.

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    2. Ich bedanke mich bei Gerhard Riedl, dem Altmeister des modernen Tangos, für die regelmäßige Erwähnung unseres Podcasts Tango-Talk (mittlerweile knapp 16.000 Streams und Downloads) und bei seinen Lesern für etliche nette, interessante und zustimmende Zuschriften.
      Dieter Ringlstetter

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    3. Aber bitte - sehr gerne!
      Bei insgesamt fast 1,4 Millionen Zugriffen auf mein Blog hat das sicher einen gewissen Werbeeffekt.
      Allerdings werde ich, wie angekündigt, die Besprechungen wohl nicht fortsetzen. Es sei denn, euch gelänge mal etwas wirklich Außergewöhnliches. Aber das ist eher nicht zu befürchten.

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  2. Dieter Ringlstetter29. November 2023 um 15:30

    Das täte mir natürlich sehr leid, wenn wir das in Ihrer verbleibenden aktiven Zeit nicht noch hinbekommen würden.

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    1. Na ja, ich bin schon jetzt nicht mehr sehr aktiv. Aber zu den Milongas fährt mich der BUFDI, und den Eintritt zahlt die Kasse.
      Ehrlich gesagt schreibe ich die Artikel auch schon lange nicht mehr selber. Dafür habe ich eine junge, begabte Ghostwriterin. Ich gebe nur noch meinen Namen her.
      Aber von Picasso heißt es ja auch, dass er in reiferem Alter im Restaurant nicht mehr zahlte, sondern nur noch das Tischtuch signierte...

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