Sekt oder Stelter
„Moralische,
religiöse und weltanschauliche Auffassungen einzelner Bevölkerungskreise, wie
sie in den verschiedenen Landesteilen verschieden entwickelt sind, sind zwar
innere Werte. Das Grundgesetz hat sie aber nicht unter den besonderen Schutz
der staatlichen Grundordnung gestellt. Dem polizeilichen Einschreiten fehlte
somit die rechtliche Grundlage.“
(Bundesverwaltungsgericht,
Urteil vom 21.12.1954)
Dieses
Urteil beendete die jahrelangen Debatten über den Willi Forst-Film
„Die Sünderin“, der 1951 in die
deutschen Kinos kam – oder jedenfalls kommen sollte. Nicht so sehr Hildegard Knefs für wenige Sekunden zu
sehender nackter Oberkörper war der Grund für die Empörung konservativer
Kreise, sondern die angebliche Verherrlichung von Prostitution, Sterbehilfe und
Suizid. Der amtierende Bundesfamilienminister Wuermeling forderte eine „Volkszensur“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_S%C3%BCnderin
Besonders
Gläubige warfen Stinkbomben in Kinosäle, an manchen Orten wurde die Aufführung
des Films durch Polizeiverfügungen
verhindert. In Regensburg gingen Polizisten mit vorgehaltenem Gewehr gegen
Demonstranten vor, welche die „Sünderin“ doch sehen wollten.
Bei
Ingmar Bergmans Film „Das Schweigen“ (1963) war die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) dann
schon vorsichtiger und verlieh dem Streifen trotz ziemlich expliziter Szenen
das Prädikat „Besonders wertvoll“.
Der Proteststurm dagegen führte zur Gründung der „Aktion saubere Leinwand“. Eine Einschränkung der Kunstfreiheit im Grundgesetz (unterstützt
von zwei Dritteln der CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten) wurde seinerzeit gerade noch
verhindert.
Kein
Geringerer als Marcel Reich-Ranicki
äußerte damals, nun könnten Spießer und Heuchler beruhigt „einen feuchten weiblichen Busen“ betrachten und „sich aufgeilen“ lassen, „denn man hat ihnen ja erklärt, es ginge um
Gott“.
Seither
hat man Filmemacher, Kabarettisten und Komiker weitgehend in Ruhe gelassen,
selbst wenn sie Dinge sagten, welche dem angeblich „gesunden Volksempfinden“
widersprachen. Schon zu meiner Jugendzeit agierten Aufrührer wie Dieter Hildebrandt oder Gerhard Polt weitgehend störungsfrei
auf der Bühne – höchstens sorgte einmal der Bayerische Rundfunk durch Abschalten einzelner Sendungen für gesteigerte
Popularität.
Zweifellos
war Satire zu früheren Zeiten spannender – bekanntlich musste man
Anfang der 1930-er Jahre jederzeit damit rechnen, dass braune Kloppergarden einen
Auftritt vorzeitig beendeten oder man beim Polizeiverhör ausführlich
Gelegenheit hatte, seine Texte zu erläutern. Der Grund war jedes Mal, man habe
irgendwelche gesunden, völkischen oder sonstwie nicht verhandelbaren Empfindungen verletzt.
Ein
Hauch jener Empörungskultur hat nun ausgerechnet
den braven, gar nicht subversiven Kabarettisten Bernd Stelter ereilt. In offenbar staatszersetzender Weise hat er
ein Heiligtum des vorgeblichen Feminismus geschändet: den Doppelnamen.
In
einer vom Fernsehen aufgezeichneten Karnevalssendung
im Kölner Gürzenich riss der Komiker zunächst einen Witz über die eigene
Familie: Der Geburtsname („Mädchenname“ ist ja verpönt) seiner Frau sei „Rumpen“, ein möglicher Ehename daher „Rumpen-Stelter“ – und da habe der Standesbeamte zu ihnen gesagt:
„Nee. Sie wollen keinen Doppelnamen."
Die Parallele bekam dann die neue CDU-Vorsitzende ab: „Hätte nicht ein Standesbeamter Frau Kramp-Karrenbauer warnen
können?"
Einer
aus Weimar angereisten Zuschauerin
missfiel das offenbar derart, dass sie minutenlang den Vortrag störte. Als
Stelter sie bat, damit aufzuhören, enterte die Dame die Bühne und äußerte Aug
in Aug mit dem Künstler: „Männernamen
sind immer toll – und Frauennamen sind immer scheiße. Und Doppelnamen sind
Doppelscheiße."
Anschließend wurde sie von Sicherheitskräften
nach draußen begleitet und erhielt Hausverbot
(na gut, kriegt man in München schon für musikkritische Texte).
Der
Grund ihrer Empörung: „Ich dachte, dieses Geschlechterverständnis
hätten wir hinter uns." (…) Ich
habe selbst einen Doppelnamen und muss das nicht über mich ergehen lassen. (…) Ich
konnte das nicht mehr hören und empfinde es als diskriminierend."
Versteht
sich: Die beruflich als Steuerberaterin Aktive heißt nämlich – und jetzt bitte
keinesfalls lachen – Gabriele Möller-Hasenbeck. Bumtää,
bumtää, bumtää…
„Offensichtlich ist
Kritik nicht erwünscht, sondern nur Klatschen erlaubt“, so ihre Rechtfertigung.
Doch,
natürlich. Man darf bei gefühlt schlechten Leistungen eines Künstlers
gerne auch pfeifen oder Buhrufe ertönen lassen. Aber irgendwann
muss wieder Schluss sein – und die Bühne
zu entern und einen Vortragenden mit seiner originellen Privatmeinung zu
belästigen geht gar nicht!
Vor
allem aber könnte man sich im Vorfeld einmal informieren, was man im Rheinland
unter „Fassenacht“ respektive „Karneval“ versteht: Das einstige Aufbegehren gegen die napoleonische
Besatzung ist längst zu einer Volksbelustigung
verkommen, bei welcher satirisches Florett oder intellektuelle Pointen nicht
gerade die Hauptattraktion sind.
Daher
ist der Stelter-Spruch sicherlich der Kategorie „Flachwitz“ zuzuordnen – und zudem ausgelutscht: Kaum ein Kabarettist konnte es bislang vermeiden,
über den saarländischen Doppelnamen herzuziehen – so wie dereinst über die
Merkelsche „Raute“. Nein, da hat Stelter keinen Sekt kredenzt, sondern ziemlich
abgestandenes Selters.
Nur:
Die grundgesetzlich garantierte Kunstfreiheit
gilt auch für schlechte Witze und dämliche Pointen. So einfach ist das.
Ich
fürchte, die zunehmenden sprachpolizeilichen
Vorschriften zur Political Correctness führen zurück in die Restauration der 1950-er Jahre. Was man
damals „gesundes Volksempfinden“
nannte, kommt heute im schicken Mäntelchen von „Gender-Mainstreaming“ und „keine sexistischen
Äußerungen“ daher. Wann erfolgt der erste Bühnensturm, falls der männliche
Comedian es unterlässt, die „-innen-Sternchen“
mitzusprechen?
Da
muss ich als alter, weißer,
heterosexueller Mann schon mal aufbegehren: Es ist absolut sexistisch, Kerle meiner Spezies
nackend sowie mit einer dämlichen Badekappe in die Wanne zu setzen und einen
depperten Schwanzvergleich-Dialog aufsagen zu lassen. Ich fühle mich diskriminiert!
Ich
kenne die Malaise ja auch vom eigenen Blog, wo nur eine Sperrung der üblichen Kommentarfunktion verhindert, dass
dauerempörte Rechthaber mir fast täglich mitteilen, sie fühlten sich „beleidigt“. Und dieses selbstgemachte
Urteil berechtigt selbstverständlich dazu, die Kinderstube unwiderruflich zu
verlassen…
Und
weil ich mich nun richtig ärgere und heute doch „Weiberfastnacht“ ist, möchte
ich dem altgedienten Büttenredner Jupp
Menth („Der Kölsch Schutzmann“) ein Denkmal setzen, der unter anderem mit
folgendem Spruch über Claudia Roth richtig
Ärger bekam:
„Zur Paarungszeit
wird die sogar von Buntspechten angeflogen. Obwohl sie rein ornithologisch von
Vögeln keine Ahnung hat.“
Man
verzeihe mir die sittliche Verworfenheit:
Ich hab Tränen gelacht!
Und hier noch die witzologische Aufbereitung der Affäre in der Satiresendung „Quer":
P.S. Der Film „Die Sünderin“ war nach
einhelliger Meinung der Kritik kein Meisterwerk und verdankte seine Popularität
weitgehend dem Empörungssturm. Er hat inzwischen die FSK-Freigabe ab 12 Jahren!Und hier noch die witzologische Aufbereitung der Affäre in der Satiresendung „Quer":
Weitere Quellen:
https://web.de/magazine/unterhaltung/stars/entert-buehne-doppelnamen-witz-karnevalist-bernd-stelter-33579012
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