Die Unaufforderbaren


„Auch bei den Menschenaffen gibt es verschiedene Kulturen. Bei den Gorillas haben die Weibchen eigentlich nur selten die Wahl, sie leben in Harems. Schwer zu sagen, welchen Typ Männchen sie bevorzugen. Und bei den Orang-Utans kommt ein Männchen vorbei, schnappt sich das Weibchen, und damit ist die Sache entschieden.“
(Dr. Jane Goodall)


Es gibt beim Tango eine Subspezies unaufforderbarer Weibchen – jedenfalls für den Durchschnittstänzer. Sie gehören eher zum jüngeren Segment (im Tango also unter 60), fallen meist durch deutliche Aufbrezelung auf – und wissen vor allem genau, was sie wollen: Alphamännchen.

Denen verdanken sie ihren Status: Früher oder später gelingt es ihnen, Mitglied (hier ein nicht ganz zutreffendes Wort) eines Harems zu werden, welcher von einem bis maximal drei dominanten Männchen regiert wird. Die Bullen halten ihre Weiberschar zusammen, indem sie ständig um sie herum sind (was oft auch akustisch durch Oktaven auseinander liegende Balzrufe verdeutlicht wird) und ausgiebigst mit ihnen tanzen. Typisch ist auch, dass nach Einfall auf eine Milonga sofort ein passendes Sitzrevier beschlagnahmt wird, wobei dort von den Vorbesitzern abgelegte Kleidungsstücke umgehend durch den Duft männlicher Analdrüsen markiert werden (siehe auch: „Stinkkampf“ bei Kattas, https://www.hellabrunn.de/tiere/welt-der-affen/katta)

Eine solche Frau als „Normaltänzer“ aufzufordern, verlangt Mut, starke Nerven und rücksichtsloses Vorgehen: Man muss sich ihr am Ende einer Tanda (oder sonst wann, wenn ihr Alpha sie mal loslässt) direkt in den Weg stellen und sie per Aufforderung gar nicht erst zum Hinsetzen kommen lassen. Und wenn man die Beute erstmal erobert hat, gilt: Tanzen bis zum Abwinken – eine zweite Chance wird der Revierinhaber an diesem Abend sicherlich nicht zulassen!

Natürlich ist der bestrebt, seinem Harem ständig etwas frisches Blut zuzuführen. So fragte mich jüngst eine Leserin:

„Und was macht man mit Männern, die einen zwei- oder dreimal auffordern? ‚Ich würde gerne eine Tanda pausieren, fordere doch eine Dame da drüben auf, die schon eine Stunde herumsitzt.‘ (…)
Ich sehe ja, welche Männer die immer gleichen Frauen auffordern. Ich tanze aber auch gerne mit ihnen. Dilemma. Sind Männer weniger ‚sozial‘ beim Tango als Frauen? Spricht man sie drauf an, dann hören sich ihre Argumente auch plausibel an, und ich muss mich selbst an der Nase packen und mich fragen, ob ich es nicht genauso machen würde, wenn ich ein Mann wäre.“

Kann sein – jedenfalls, wenn man zu einem bestimmten Männertypus gehören würde. Und nein, natürlich sind die Kerle weniger sozial als Frauen – nicht nur beim Tanzen. Daher haben sie im Geschäftsleben das Mobbing erfunden und beim Tango den Cabeceo. Da kann man mit seinem ausladenden Gorillahintern schon mal das Blickfeld verstellen. Und sollte ein Omega es wagen, direkt aufzufordern – wie rücksichtslos!

Ich habe der Fragestellerin geraten, multiple Aufforderer an eine gute Übung zu erinnern: eine Tanda pro Abend. Mehr geht nur, wenn man sehr gut bekannt ist. Sonst muss man die Dame spätestens beim dritten Mal ehelichen… ich liebe argentinische Traditionen!

Bei der Schilderung eines solchen Falles wurde meine Leserin überraschend deutlich: „Klarer Fall von Mann, der nur seinen eigenen Spaß haben will. Da frage ich mich zuweilen schon, ob die es im Bett mit der Frau genauso machen.“
So naiv können wirklich nur Frauen fragen! Na sicher, was denn sonst?

Was ich mich (vielleicht ebenso naiv) frage: Warum machen die Damen so einen Sums mit? Einfache sowie biologische Antwort: Zur Sicherung der Ressourcen. Wenn man einen solchen Kerl wegschickt, könnte es ja sein, dass der einen nie mehr auffordert und man – noch schlimmer – bei seiner gesamten Clique unten durch wäre (hier eine ziemlich drastische Umschreibung).

Der Erhalt von „Nahrungsquellen“ zur Versorgung des Nachwuchses ist dem Weibe offenbar ebenso angeboren wie dem Männe der tunnelmäßige  Verfolgerblick. Es ist oft schauerlich, mit welchen verzweifelten Mitteln die Damen gerade im Tango gegen das Alter ankämpfen: Ohne gefärbte Haare und Nägel, Kriegsbemalung, Klimperschmuck, Glitzerschühchen und die Cellulitis nur unzureichend verhüllende Flatterröckelein respektive Raffung an der Kimme geht gerade im traditionellen Tango nix. Und ob so manche Rundungen am Pectoralis major oder Gluteus maximus echt sind, wage ich inzwischen – nach Informationen meiner Korrespondentinnen – zu bezweifeln.
Gelegentlich wird sogar die Befürchtung laut, die Aufforderungschancen könnten durch flaches Schuhwerk sinken (und das tragischerweise wohl zu Recht...).

Entgegen der landläufigen Meinung sind Männer zutiefst romantisch. Frauen nicht. Die checken knallhart ab, ob sich der Aufwand im Verhältnis zum Ertrag lohnt. Und wenn ja, kriegen die Kerle halt das, was sie wollen.

Gewisse Herren sind natürlich keinen Deut besser: In den entsprechenden Gehirnen macht sich die Illusion breit, das eigene Alter könnte durch die Jugend der Tanzpartnerin verdeckt werden. Natürlich ist das Gegenteil der Fall: Der Kontrast wird noch verstärkt – und man sieht überdeutlich, dass sich mal wieder ein alter Sack an ein juveniles Schneckerle herangemacht hat.

Das Grundproblem ist natürlich, dass es im derzeitigen Tango vorwiegend nicht ums Tanzen geht. Da hätten ältere Frauen nämlich oft ein deutliches Plus: Man muss im Leben schon einiges erlitten haben, um die Widersprüchlichkeit, die Zerrissenheit guter Tangostücke interpretieren zu können. Auch deshalb legt man die schon gar nicht auf. Junge Mägdelein mit fehlender Körpermitte und einem Bewegungsmuster wie Waldmeistergrütze in der Kurve könnten sonst oft gewaltig abstinken.

Mir persönlich würde unspektakuläre Kleidung völlig reichen – allerdings bitte mit Schuhen, welche die Bewegung gut und stabil mitmachen! Und ich habe schon mit vielen Frauen getanzt, welche die Sechzig, ja sogar die Siebzig deutlich überschritten hatten – und es waren wunderschöne Momente dabei: Manchmal bekommt man statt des üblichen Figurensalats in drei Tangos ein ganzes Leben erzählt. Das sind die Tänze, die in meiner „Tangovitrine“ landen.

Und die Startänzerinnen aus der „Unaufforderbar-Abteilung“... ja gut, ist sehr spannend, wenn es mal klappt. In die Schlange stelle ich mich deshalb aber nicht. In fast zwanzig Jahren hat mich der Tango reich beschenkt – es wäre vermessen, da noch irgendetwas zu fordern. Vor allem aber gibt es in meiner engeren Umgebung einige exquisite Frauen, die sehr oft mit mir tanzen, ohne sie aus den Klauen eines Primaten-Machos befreien zu müssen.

Für die jüngeren und ambitionierten Tänzer habe ich jedoch einen Tipp: Ja nicht auf den Baum klettern, um den Affen zu fangen. Da ist der nämlich geschickter! Stattdessen ganz entspannt darunterlegen. Wenn der Aff nämlich wirklich will, lässt er sich irgendwann freiwillig auf einen drauffallen. Ist mir erst heute Nachmittag wieder passiert. War sehr lustig!

Aber merke: Bei unzureichenden Tanzkünsten kann man schnell auf den Hund kommen!

Kommentare

  1. Lieber Gerhard, da hast du dich ja mal wieder selbst übertroffen!! Congrats!
    Was ich aber immer schon mal zum outfit der Damen sagen wollte : Auch ich bin ab und an in der Glitzer Bling Bling heels sowieso und schwarze Rose im Haar Liga dabei aus dem einfachen Grund :ich steh drauf!!! Und in Zeiten wo man mit Jeans in die Oper kann, wird es schon schwer als Frau auch mal Prinzessin, Kurtisane, femme fatale oder sonst was zu geben... Was man(Frau) auch mal ausleben möchte und im Büro nicht immer so gut kommt ;) will sagen : Unser Outfit ist nicht immer nur für die potentiellen Tänzer...
    Besonders gut gefallen hat mir allerdings der Teil wo du sagtest :manche Tänzerin erzählt in einer Tanda ihr ganzes Leben !!! Ja!!!! Das ist es, was Tango kann, unabhängig von Alter, Outfit, Musik, Vorlieben und all dem Gschiß.
    Dir alles Liebe und ich hoffe, wir sehen und tanzen uns bald wieder!
    Liebe Grüße Alessandra

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    1. Liebe Alessandra,

      ich bin Dir sehr dankbar für den Hinweis. Klar darf und soll man sich so kleiden, wie es einem selber gefällt – und anlassbezogen. Da geht gesellschaftlich einiges verloren, auch bei Männern. Ich war neulich in einem Konzert und habe bei manchen Herren Outfits erlebt, die ich höchstens beim Grillen getragen hätte.

      In meinem Arbeitsleben waren für mich schicke Anzüge schlichtweg „Berufskleidung“: Du wirst ganz anders respektiert – Schüler schätzen es durchaus, wenn der da vorn nicht versucht, mit herunterhängender Baggy Jeans den Berufsjugendlichen zu geben.

      Bei den Kollegen kam es nicht so gut an – die fanden es schrecklich eitel. Und meine Chefs sahen ihr „Krawattenmonopol“ gefährdet. Das hat mir natürlich besonderen Spaß bereitet…

      Aber es gab ja Zeiten, da wurde von Lehrern Anzug erwartet. Da wär ich garantiert im Pullover gekommen. Was ich sagen will: Kleidung muss ein Ausdruck von Autonomie und nicht von Anpassung an Machtverhältnisse sein. Der Jammer beim Tango ist halt, dass Uniformierung und nicht Ästhetik dominieren. So war’s gemeint.

      Ja, wäre schön, wenn wir mal wieder nicht-digital zusammenkämen. Ihr seid natürlich stets zu unseren „Wohnzimmer-Milongas“ eingeladen!

      Herzliche Grüße nach Wien
      Gerhard

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    2. Jaaaaa!!!!!! Wäre schon schön euch mal in Wien mit unserer XPT Musik beglücken zu dürfen und ebenda mit euch zu tanzen 💃🏼 🕺🏻 🎶 🌹
      btw ich wusste, dass dieser Artikel ein Quotenbringer wird 😎
      Liebe Grüße Alessandra

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