A Schmarrn bleibt a Schmarrn



„Abends ging ich durch die Straßen,
und sah einen Schatten steh'n,
dann sind alle Lampen ausgegangen,
und was kam, das war so wunderschön.
Dich erkenn' ich mit verbund'nen Augen,
ohne Licht und in der Dunkelheit,
dich erkenn' ich mit verbund'nen Augen
nur an deiner Zärtlichkeit.“
(Kurt Hertha / Karl Götz: „Dich erkenn‘ ich mit verbund’nen Augen“, 1968)

Bayern hat seine neue Tangosensation: Auf der stets unter Satireverdacht stehenden Facebook-Seite „Tango München“ las ich kürzlich:

MIlonga negra – Tanzen in absoluter Dunkelheit

You want it darker, we kill the flame'
...
Unter diesem Motto des ‚letzten Tangos‘ von Leonard Cohen steht meine erste ‚Milonga negra‘ in Baierbrunn in einem efeuumrankten Haus am Ortsrand.
Tanzen in absoluter Dunkelheit, sich einlassen auf Führen und auf Folgen, den Tanzpartner spüren und sich auf die gemeinsame Energie konzentrieren.
All das versuchen wir bei jedem Tango, doch im Dunkeln sind wir unbedingt darauf angewiesen: Die Wahrnehmung für den Partner, auch für die anderen Tanzpaare darf wacher und intensiver werden, wir lernen, ein Gefühl für den – nicht sichtbaren – Raum zu entwickeln, und uns auf unsere Präsenz, auf unser Körpergefühl zu verlassen.“

Abgekupfert hat Gastgeber das Konzept von einer gewissen Peggy aus Tübingen, welche übrigens etwas sauer ist, weil er schon zu viele Details ausplauderte. Natürlich gibt es hierfür ein argentinisches Vorbild, das „Teatro A Ciego in Buenos Aires“Teatro Ciego“ in Buenos Aires, wo man auch in völliger Dunkelheit speist oder musiziert. Ob das an den (kürzlich beklagten) horrend steigenden Strompreisen in der Tango-Metropole liegt? Egal, Hauptsache aus Argentinien!

Wie das im Einzelnen gehen soll, ist etwas schwierig zu erklären: So ganz ohne vorherige Einweisung wird es nicht klappen, daher müssen auch alle Gäste pünktlich erscheinen – für zu spät Kommende sieht der Veranstalter also schwarz. Ein Nebenraum für die Nahrungs- und Getränkeaufnahme bleibt erleuchtet. Und Desorientierte können sich jederzeit an die Gastgeber wenden – ein Vorzug, mit dem Münchner Milongas nicht unbedingt aufwarten können!

Anmeldung ist zur Wahrung der Geschlechterparität nötig – im Dunkeln ja eine besonders zwingende Voraussetzung. Dazu passt ideal, dass man auch die „Möglichkeit zur Übernachtung“ anbietet – „für schnell Entschlossene sogar im Bettchen“. Da ist doch an alles gedacht!

Man wäre nicht auf dieser FB-Seite, wenn nicht eine der beiden Administratorinnen (gemeint ist die mit Humor) das dort alles entscheidende Thema angesprochen hätte:
Cabeceo wird bestimmt spannend hier“

Nun, auch dafür gebe es Alternativen, so der Gastgeber, und deutet so etwas wie Fingerschnippen an – was wegen des Geheimnisverrats den Unwillen von Peggy erregt und daher wieder gelöscht wird. Parfümproben, so meine eigene Idee, wären doch ebenso möglich und gäben dem Begriff „Schnupperkurs“ endlich einmal eine realistische Bedeutung!

Kleinliche Bedenken wie die Unmöglichkeit der Einhaltung von Tanzspuren sowie die höhere Verletzungsgefahr spielen offenbar keine Rolle:
 
„Tanzen in absoluter Dunkelheit, sich einlassen auf den Partner/die Partnerin, den Raum erspüren, achtsam sein...die Musik neu hören, die Langsamkeit entdecken, Pausen genießen, das Tempo verlangsamen, die Hälfte… ein Viertel... still zu stehen scheinen im Takt der Musik...“

Spätestens ab da frage ich mich: Weniger als das sonst schon übliche Zeitlupen-Geschleiche geht doch nun wirklich kaum noch – oder möchte man dies jetzt durch Löschen der Lichter rechtfertigen?

Ein spezieller „Dresscode“, so der Organisator, sei „nicht so enorm wichtig“. Man solle jedoch auf weiße Sachen verzichten, da die „im Dunkeln dann aufgrund der überall vorhandenen Aufheller“ nachleuchteten. Das leuchtet ein. Aber das Beste kommt noch: „Gilt auch für Unterwäsche bei durchscheinenden Oberstoffen!“  Das triggert nun sogar meine erotische Fantasie: zu Tangomusik umherschaukelnde weiße Büstenhalter vor nachtschwarzem Hintergrund! Schwarzes Theater!

All das schien einen wegen seiner holzschnittartigen Meinungsäußerungen gefürchteten Tanguero nicht zu beeindrucken. In deutlich süddeutschem Timbre kommentierte er: „Auch so ein Schmarrn wie eine Silent Milonga. Tut mir leid... aber das ist Quatsch.“

Dies ergab die in der Münchner Szene gerne ergriffene Gelegenheit, sich zu kloppen wie die Kesselflicker. Auszüge des folgenden Dialogs:

„... aber mit ‚Quatsch‘ musst Du mich nicht beschimpfen, egal wie gut oder nicht du oder ich Tango tanzen. Höflichkeit ist das Gebot der Stunde.“

„Dass Du Deinen Kommentar von wegen ‚Quatsch‘ und ‚Schmarrn‘ allerdings direkt zur Veranstaltung (…) hinzufügst, finde ich unfreundlich. Wenn Du das – vielleicht im Anschluss an eine persönliche Erfahrung – unabhängig postest, ist das in meinen Augen eine andere Geschichte.“

„Und auf bairisch: Ein Schmarrn ist kein Schimpfwort.“

„Da ich des Bayrischen nicht besonders mächtig bin: Was bedeutet denn ‚Schmarrn‘? Der Duden übersetzt das mit ‚Unsinn‘.“

„Es ist Unsinn...“

„Und ‚Unsinn‘ ist in Deinen Augen keine Abwertung?“

„A Schmarrn bleibt a Schmarrn...

Da es offenbar bei einigen Diskutanten etwas preißelt: In Ober- und Niederbayern ist die korrekte Reaktion auf die Feststellung „A soa Schmarrn“ die Frage „Basst dir was ned?“, was von beiden Parteien gemeinhin als Signal aufgefasst wird, dem Kontrahenten den Filzhut über die Glubscher zu ziehen und ihm eins auf die Nase zu hauen – möglichst vice versa: Wer nicht sehen will, muss fühlen.

Insofern ist die Aussage eines Kommentators vielleicht zutreffender, als sein Legastheniker-Smartphone meint: „Also, jedem Tierchen sein Blessierchen.“

Na gut, selbst wenn das Umhertappen in einer Tangonacht, wo alle Katzen grau sind, ein „Pläsierchen“ werden sollte: Was kommt nach der Milonga für Taube und Blinde als Nächstes? Eine für Lahme? Tschuldigung, die gibt’s ja schon… Ein Erfolg wird die Sause bestimmt werden – im Münchner Tango gibt es ja Blinde genug…

Mich erinnert die Chose halt ein wenig an die Kellerpartys meiner Pubertät. Nach dem letzten Kontrollbesuch der Eltern drehte irgendwann einer das Licht aus, und es erklang ein ultimativer Schmusesong. Nach einem feststehenden Código hatten die Mädchen alsdann zu kreischen.

Immerhin endet die Debatte auf der Münchner Tangoseite denn doch noch friedlich:

„Lieber (…) du kaufst die Katze nicht im Sack, gell?“
„Liebe (…), dich würde ich auch im Dunklen erkennen, du bist einzigartig.“

So wollen wir uns denn auf den voradventlichen Weihnachtsfrieden einstimmen und zum Schluss noch einmal den Serben-Gardel Bata Illic das Leitmotiv anstimmen lassen:

Kommentare

  1. Milonga im Darkroom...
    Sehr aufregend, Hauptsache es kommt einem niemand in die Quere getanzt wenn´s spannend wird.
    Man braucht schließlich sein Alleinstellungsmerkmal im heiß umkämpften Tango Markt.
    Mir fiele da durchaus noch eine Variante ein, von der ich manchmal träume: Die Kombination aus einem tollen Parkett, Musik aus einer guten Anlage mit Lautsprecherboxen, bei deren Platzierung sich jemand was bei gedacht hatte und "Gute Lüfte" .....
    Ich weiß.. meine Fantasie geht zu sehr mit mir durch...
    Man soll ja immer realistisch bleiben.
    Dann mach ich lieber mal das Licht aus ...

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    1. Ja, und das dann noch mit inspirierender, abwechslungsreicher Musik... aber davon träumen darf man ja!

      Klar, es geht um Konkurrenzkampf und Alleinstellungsmerkmale.

      Ein Kommentator in unserer Facebook-Gruppe hatte noch einen anderen Gestaltungsvorschlag: die "No sound of music milonga" gemäß dem Motto: "Macht doch mal die Musik aus. Wir möchten in Ruhe tanzen."

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  2. Milonga im Dunkeln? Was es nicht alles gibt. Hier in Berlin haben wir ab und an eine Silent Milonga. Musik gibts natürlich schon, aber Reden soll man nicht, stattdessen hört man dann das Parkett knarren.

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    1. Ich fände es halt weniger aufwändig, wenn man beim Tanzen die Augen schließen würde. Soll ja Tangueras geben, die das eh machen...

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  3. Beim Toulouser Neotangomarathon gab es auch eine "dunkle Stunde", und ich fand sie ziemlich atmosphärisch und schön!
    Für alle Teilnehmenden gab es Schwarzlichtarmbändchen, gestreift für "Führend" und nicht gestreift für "Folgend" - und einige hatten an einem Arm eines und am anderen Arm das andere. Das hat zumindest für manche Tänzer dazu geführt, dass sie zum ersten Mal mit einem männlichen Folgenden getanzt haben - für die meisten eine positive Erfahrung!

    Insofern: nicht alles Neue ist schlecht ;-) , und eine Stunde Tango ohne Licht kann eine interessante Ergänzung für eine gute Milonga sein. Nicht zuletzt wird der Drang neutralisiert, sich für die Zuschauer darzustellen - das könnte manch Führendem helfen, ein bisschen mehr Verbindung mit der Folgenden aufzunehmen...

    Robert

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    1. Lieber Robert,

      ist doch schön, wenn „dunkle Stunden“ im Leben sich auch einmal positiv auswirken – und das in der (angeblichen) Geburtsstadt Gardels! Vielleicht könnte man zumindest dort auch einmal zu seinen Aufnahmen tanzen – das wäre wirklich revolutionär…

      Kern meines Artikels war vor allem die lustige Diskussion um diese spezielle „dark milonga“. Ein Experiment, wie von Dir geschildert, kann ja durchaus spannend sein und zu neuen Erfahrungen führen. Ich frage mich halt, ob es den Aufwand braucht. Das Schließen der Augen täte es doch auch…

      Ob allerdings das Ausschalten des Lichts bei Männern eine angeborene Disposition beseitigt, wage ich zu bezweifeln. Und ich finde es sehr komisch, mir seit Jahren erzählen zu lassen, wie gefahrenträchtig Tangotanzen doch sei und daher in „geordneten Bahnen“ zu erfolgen habe – und plötzlich schafft man Situationen, die ich wirklich für riskant halte. Und vom Cabeceo, ansonsten ein Muss, verabschiedet man sich auf einmal ganz locker…

      Trotzdem danke für deinen Beitrag – er enthält Aspekte, über die nachzudenken es sich schon lohnt!

      Beste Grüße
      Gerhard

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