Na also – geht doch!
„Wenn mir die Rumtreiber eine Figur klauen, mache ich mir einfach eine neue.“ (Pepito Avellaneda, zitiert nach Klaus Wendel)
Wie konnte ich dieses aufregende Video nur übersehen? Der Tangolehrer Klaus Wendel tanzt hier zu „Milongueando en el Cuarenta“ („Milonga tanzen in den Vierzigern“) in der Version von Aníbal Troilo.
Seine Partnerin ist Ingrid Saalfeld, die heute noch in der Hamburger Gegend aktiv ist und sich nun anscheinend mehr der tänzerischen Seniorenbetreuung widmet.
Die Tangovorführung der beiden stammt aus dem Jahr 1996, wurde aber erst vor 5 Monaten auf YouTube gestellt. Wendel und Saalfeld, so wird angegeben, seien eines der letzten Paare, die der argentinische Tangolehrer Antonio Todaro bis 1993 noch unterrichtet habe.
Der gelernte Maurer Todaro (1929-1994) war kein ausgebildeter Tanzlehrer, sondern ein begeisterter Milonguero, der seine Nächte auf den Tanzpisten verbrachte. Schon früh erteilte er in Buenos Aires Tangounterricht und trainierte Showpaare. In seinen späten Lebensjahren wurde er dank des aufkeimenden Tangobooms in Europa herumgereicht und gilt heute als „Tangolegende“. Sein Unterricht war stark von ellenlangen Schrittsequenzen geprägt – in der irrigen Annahme, die Europäer würden die nicht einfach nachtanzen, sondern als Material für ihren eigenen Tanzstil verwenden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Antonio_Todaro
Wendel und Saalfeld benutzten für ihren Auftritt ausschließlich Figurenmaterial von Todaro, was ihre Show auch zu einem wichtigen Zeitdokument macht. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1996, wurde aber erst vor 5 Monaten ins Netz gestellt. Leider wurde sie auf YouTube bislang nur gut 160mal angeklickt. Ich hoffe, das ändert sich noch!
Also, zuschauen und (hoffentlich) genießen:
https://www.youtube.com/watch?v=cXj1X3Ly9e8
Mich erinnert der Tanzstil sehr an unsere ersten Eindrücke vom Tango, welche uns ab 1999 zu diesem Tanz zogen: Wechsel der Positionen, hohes Tempo, knackige Effekte, abgefeimte Moves. Halt im Gegensatz zu vielen heutigen Tangoshows ohne das langweilige Getue und Geschleiche.
„Was wollen wir wirklich vom Tango?“ fragt Klaus Wendel in einem Artikel. „Wollen wir uns nur bewegen – oder ausdrücken? Wollen wir beeindrucken – oder berühren?"
„Die Faszination für Figuren, für Technik und spektakuläre Abläufe ist menschlich, ja, sie gehört zum Tango dazu. Aber Figuren sind nur das Vokabular. Der wahre Ausdruck entsteht erst im Dialog mit der Musik und dem Gegenüber.
Wer im Tango nur nach dem ‚Was‘ sucht, verpasst das Wesentliche. Erst das ‚Wie‘ macht den Tanz lebendig – macht ihn zum Tango.“
https://www.tangocompas.co/gedanken-ueber-tango-unterricht-9-teil/
Da hat der Kollege zweifellos recht. Und der Tango ist persönlich – keine Blaupause gekaufter Choreografien!
Wie würde ich meinen eigenen Tanzstil beschreiben?
Ich lasse einfach alles weg, was ich nicht kann!
P.S. Nein, da müsste ich ja fast alles weglassen – da derzeit das Kommentieren schwierig ist, bringe ich den dummen Spruch lieber gleich selber...
Und noch ein zweites Video, das uns ein Gefühl dafür gibt, wie man es in den Vierzigern krachen ließ – klar, auf der Bühne. Stilbildend war es aber allemal! Es tanzen die Legenden Gloria und Eduardo Arquimbau:
https://www.youtube.com/watch?v=q9ZJsN_BIdo&list=RDq9ZJsN_BIdo&start_radio=1

Eine Kommentatorin schrieb dazu heute auf Facebook: „Das ist mir zu hektisch.“ Gut – persönliche Ansicht. Sie muss ja auch nicht so tanzen.
AntwortenLöschenEine solche Sichtweise zeigt mir halt deutlich, wie sehr sich der Tango in den letzten 25 Jahren verändert hat: Was wir damals aufregend fanden, wird heute abgelehnt, weil es vom langsamen Geschlurfe abweicht.
Ich sage nur: Das war auch mal Tango – in der so genannten „Goldenen Ära“…
Gerade erreichte mich ein Kommentar von Klaus Wendel mit der Bitte um Veröffentlichung:
AntwortenLöschen„Lieber Herr Riedl,
verblüffend ist ja immer wieder, wie Zuschauer alter Tango-Videos heute ihre Urteile fällen – selbstverständlich aus der sicheren Komfortzone ihrer drei bis fünf Tango-Jahre Erfahrung und genährt von YouTube-Clips moderner Gastlehrer, die mit bedeutungsvoller Miene durch Pausen tanzen.
Wenn also ein Murat Erdemsel, der Hohepriester des Minimalismus, in 45 Sekunden ganze fünf Schritte wagt und das Publikum mit der atemlosen Spannung des „Nichts“ fesselt, während dieses sich fragt, ob er vielleicht gerade eingefroren ist – dann vergisst man leicht, dass Tango-Auftritte der 70er bis 2000er Jahre ganz andere Kaliber waren. Damals wurde getanzt, bis die Sohlen glühten und die Kamera Rauchzeichen gab. „Espectáculos“ nannte man das – und ja, sie waren spektakulär.
Mir persönlich sind diese akrobatischen Figuren-Feuerwerke inzwischen auch zu viel des Guten – aber ich käme nie auf die Idee, sie mit heutigen, fast zen-buddhistischen Tanzaufführungen zu vergleichen, bei denen jede Bewegung eine eigene Biografie hat.
Was viele nicht bedenken: Diese früheren Shows waren für ein Publikum gemacht, das – sagen wir’s freundlich – eher weniger Ahnung vom Tango, aber umso mehr von Müdigkeit hatte. Also musste man liefern. Würde man ihnen damals Erdemsels 45-Sekunden-Schrittkunst vorsetzen, wären sie reihenweise sanft vom Stuhl geglitten – im Takt der Stille.
Wenn also eine Betrachterin heute auf Facebook schreibt, der Tanz sei ihr „zu hektisch“, dann sollte sie sich gern dieses Troilo-Stück wie „Milongueando en el 40“ mal genauer anhören und in ihrer Fantasie in Tanz umsetzen. Diese Musik steht nicht gerade für „Zen im 4/4-Takt“. Da ist Bewegung gefragt! Und ja, bei so einem Auftritt darf es ruhig mal ein bisschen mehr „Action“ sein – sonst tanzt bald nur noch der Gedanke an den Tango.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel“
Beigefügt war dieses Video mit dem Kommentar „Übrigens 4 Schritte in 46 Sekunden“:
https://www.youtube.com/watch?v=t92PN8C5KFc
Lieber Herr Wendel,
Löschenbekanntlich habe ich Dutzende von Satiren über diese „Schleich-Tangos“ geschrieben. Genützt hat es wenig. Der heutige Tango steckt halt in dieser Entwicklung fest.
Ich glaube, das hat viel mit Marketing zu tun. Bei einem Tanz wie dem von Gloria und Eduardo werden viele sagen: „Das lerne ich nie!“ Wenn Murat und Silvina ihre Tango vorführen, wollen viele bei ihnen einen Kurs machen.
Eins muss ich hinzufügen: Meines Wissens tanzt die Kommentatorin schon deutlich länger als 3-5 Jahre.
Beste Grüße
Gerhard Riedl
Dazu erreichte mch ein Kommentar von Klaus Wendel:
Löschen"Lieber Herr Riedl,
Ihre Bezeichnung „Schleicher-Tango“ empfinde ich als herablassend und abwertend, weil sie den tänzerischen Ausdruck, der dahintersteht, nicht treffend beschreibt. Zudem ist diese Formulierung sowohl sachlich als auch fachlich irreführend und zeugt von einer gewissen Intoleranz tänzerischer Ausdrucksmöglichkeiten im Tango, die bereits seit seinen Anfängen fester Bestandteil seiner Entwicklung sind. Pausen und langsame Schritte gehören somit zur traditionellen Ausdrucksweise des Tangos.
Wenn Sie also den Tango als Grundlage für Ihren Blog verwenden, diesen Tanz mit all seinen Ausdrucksformen aber im Grunde nicht akzeptieren, stellt sich die Frage, warum Sie überhaupt darüber schreiben. Man kann selbstverständlich eigene Stilmittel bevorzugen, doch solche Werturteile sind keine tragfähige Grundlage für eine sachliche Diskussion über Tango. Es ist, als würde jemand sagen: „Ich mag zwar klassische Musik, aber ich hasse die langsamen Passagen, wenn das Orchester in jedem zweiten Satz ein „largo" spielt“ – obwohl diese Spielanweisung ausdrücklich in der Partitur steht.
Wenn Ihnen bestimmte Ausdrucksformen nicht zusagen, ist das natürlich Ihre persönliche Sache. Sie sollten sich aber nicht wundern, wenn Sie mit abwertenden, beleidigenden Begriffen, die lediglich Ihrem Geschmack entsprechen, eine Argumentation einbringen, die sich letztlich nur auf Geschmacksurteile stützt. Mit anderen Worten: Sie erwarten einerseits eine faire und sachliche Bewertung Ihres Tanzvideos, beurteilen aber den Tanz von Murat Erdemsel anhand persönlicher Geschmacksurteile und Abwertungen.
Das tue ich zwar jetzt auch, allerdings versuche ich sie sachlich zu begründen und nicht mit Herablassungen:
Ich persönlich halte Murat Erdemsels Bewegungsminimalismus für äußerst arrogant, zumindest sehr provokant – was selbstverständlich seine künstlerische Freiheit ist, und Kunst darf ja auch provozieren. Doch diese erwartungsvoll aufgeladene Spannung wirkt auf mich wie eine Kopie des Tanzstils von Carlos Gavito, die er allerdings überstrapaziert.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel "
Lieber Herr Wendel,
Löschenwar das jetzt ein Pflichtbeitrag für Ihren Unterstützerkreis?
Hier die Antwort von Klaus Wendel:
Löschen„Lieber Herr Riedl,
Sie versuchen häufig, eine Übereinstimmung zwischen unseren Ansichten herzustellen. Doch ich möchte mich nicht vereinnahmen lassen, wenn Sie glauben, wir würden in zentralen Punkten ähnlich denken. Der entscheidende Unterschied zwischen uns liegt darin, dass ich bereit bin, offen zu diskutieren und – wenn mich überzeugende Argumente erreichen – meine Meinung auch zu revidieren. Ich betrachte Lernen als fortlaufenden Prozess. Sie hingegen scheinen in Ihren Überzeugungen festzustecken – wie ein Holzwurm, der auf Eisenholz trifft.
Ein Beispiel: Sie lästern über die langsamen Bewegungen von Murat Erdemsel als ‚Nichtstun‘, während ich weiß, wie anspruchsvoll solche Passagen zu tanzen sind – gerade weil sie scheinbar mühelos wirken. Ich beurteile diese Pausen aus der Perspektive eines erfahrenen Tänzers, Sie hingegen aus der eines relativen Laien. Denn ob jemand über tänzerische Expertise verfügt, erkennt man auch an seinen praktischen Fähigkeiten.
Ein weiterer Unterschied betrifft die Regeln des Tangos. Während Sie etwa die Ronda ablehnen, tun Sie das offenbar, weil es Ihnen schwerfällt, sich in ihr einzufügen. Ich hingegen vermeide meist nur die äußere Ronda-Linie, weil sie oft zu überfüllt ist, und tanze lieber auf der inneren Linie – auf engem Raum, aber mit Rücksicht und Präzision. Sie dagegen scheinen diese Form des Tanzens zu meiden, weil sie Ihnen weniger Freude bereitet.
Auch beim Cabeceo unterscheiden wir uns: Ich finde mich sowohl mit der nonverbalen Aufforderung als auch mit der mündlichen Variante einer Aufforderung zurecht. Sie hingegen bevorzugen ausschließlich die verbale Form. Dennoch halte ich das kompromisslose Beharren auf den Cabeceo als einzig ‚richtige‘ Lösung für fragwürdig – eine Haltung, die selbst in Buenos Aires nicht allgemein geteilt wird.
Sie sehen also: Die Dinge liegen oft weitaus differenzierter, als Sie sie darstellen. Doch Sie neigen dazu, einfache, populistische Erklärungen zu bevorzugen, wo es eigentlich um feine Nuancen geht. Damit stehen Sie allerdings nicht allein – Ihr Kollege Lüders verfährt ganz ähnlich.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel "
Lieber Herr Wendel,
Löscheninteressant, dass Sie meine Frage nicht beantworten.
In Ihrem ersten Kommentar schreiben Sie: „Wenn also ein Murat Erdemsel, der Hohepriester des Minimalismus, in 45 Sekunden ganze fünf Schritte wagt und das Publikum mit der atemlosen Spannung des ‚Nichts‘ fesselt, während dieses sich fragt, ob er vielleicht gerade eingefroren ist (…)“.
Ich finde, Ihre Kritik ist ziemlich knackig.
Selber habe ich als Antwort von „Schleich-Tangos“ gesprochen. Das geht in keiner Weise über Ihre Wortwahl hinaus – im Gegenteil.
Über Cabeceo, Tanzspuren oder Ronda habe ich kein Wort verloren. Auch den Begriff „Nichtstun“ habe ich nicht verwendet. Auf diesen ganzen Sums möchte ich daher nicht mehr eingehen.
Wozu also die Aufregung? Ich frage nochmals: Welche Erwartungen Dritter müssen Sie mit Ihren wortreichen Dementis erfüllen?
Beste Grüße
Gerhard Riedl