Sag mir, wo die Gäste sind…

In einer Facebook-Gruppe, aus der man nicht zitieren darf, stellte jüngst eine Leserin diese einfache Frage:

„Warum sind einige Milongas voller Besucher, andere fast immer leer?“

Mensch, warum bin ich in 9 Jahren Bloggen noch nicht draufgekommen? Wie konnte ich dieses existenzielle Problem übersehen?

Ein Schreiber meinte, es läge daran, dass die einen Milongas in Argentinien und die anderen auf Grönland stattfänden. Da hat er zweifellos recht: Ich würde bei der Alternative sicherlich die im hohen Norden besuchen!

Kabarettreif ist auch diese Formulierung:

„Wo ich hingehe, hängt ab, sind da Tänzerinnen, auf die ich mich freue, oder fühle ich mich wohl, ist der Boden gut, gefällt mir die Musik.“

Tja, da hat einer die Dialektik des Tango verstanden: Entweder es gibt da Tänzerinnen, auf die man sich freut – oder man fühlt sich wohl (vielleicht, weil man dann nicht so viel tanzen muss)!

Liegt es daran, dass man auf manchen Tanzflächen um Gesundheit und Leben fürchtet? Dieses ehemalige Standardargument wird nur einmal bemüht:

„Ein Grund können die Chaoten sein, die sehr raumgreifend unterwegs sind und teilweise sogar rempeln. Ein DJ sollte ein Auge darauf haben und einem *Terminator auch mal reflektieren, dass er Unfrieden stiftet.“

Was allerdings sofort auf Widerspruch stieß:

„Es gibt auch Milongas mit Chaoten, die gut besucht sind.“

Was mich besonders freut: In etlichen Beiträgen wird eine Ursache genannt, auf welcher ich nun schon seit 2010 permanent herumreite: Der von mir so genannte „Alien-Faktor“ – also Gastgeber, welche spätestens nach Kassieren des Eintrittspreises nur noch mit leerem Blick an einem vorbeirennen:

„Könnte am Wohlfühlen liegen. (…) und viele andere sehen sich als Gastgeber, nicht als ‚Kinobetreiber‘: kassieren, einlassen und Film ab. Andere laden per FB ein und rennen an dir, Kopf runter, vorbei.“

„Wenn man sich nicht derart permanent hinter dem Pult verschanzt, dass man nie aufsieht, könnte man seine Gäste befragen.“

„Die Gastgeberrolle wird von den Veranstaltern nicht verstanden. Gastpflege bedeutet, zu gucken, ob alle meine Gäste sich wohlfühlen bzw. tanzen, denn dafür haben sie den Eintritt bezahlt, nicht fürs Sitzen. Die Gastgeber tanzen meistens als ‚Showpaar‘ den ganzen Abend zusammen, ohne die Umgebung wahrzunehmen. Der Fisch stinkt immer vom Kopf. Dazu kommen die Cliquen, die entscheiden wollen, wer tanzen darf und wer sitzen bleibt. Bist du nicht in der Clique, bleibst als Folgende sitzen, egal wie viele Tangueros stehen oder sitzen, denn sie warten auf eine freie Cliquen-Tänzerin."

Ich finde, in der Hinsicht hat sich in den Jahren doch einiges verändert (oder besuche ich halt eher die passenden Veranstaltungen?): Nach meinem Eindruck wächst die Zahl der Gastgeberinnen und Gastgeber, die sich tatsächlich um die Besucher kümmern – auch und gerade um die, welche alleine da sind.

Der Kommentar beschreibt auch treffend die negativen Folgen der Cliquen-Wirtschaft. Kein Wunder, dass viele Gäste dorthin gehen, wo sie „ihre“ Leute treffen, und somit eine größere Chance auf Tänze besteht. Außenseitern wird oft genug signalisiert, dass sie nicht „dazugehören“ und sich ebenso gut auch wieder trollen dürfen (natürlich nach Entrichten des Eintrittspreises)!

Wahr ist allerdings auch diese Anmerkung:

„Dennoch gibt es Milongas mit sehr herzlichen und auch tanzbereiten Gastgebern / DJs, die trotzdem leer sind ohne erklärlichen Grund.“

Quelle: https://www.facebook.com/groups/214360532064758 (Post vom 5.1.23)

Ein Thema, welches auch hier wieder nur am Rande angesprochen wird, ist die Musik. Diese Beobachtung, welche ich immer wieder bei verschiedenen Fragen rund um unseren Tanz mache, zeigt meines Erachtens deutlich, wie krank unsere Szene in Wahrheit ist!

Die beiden entscheidenden Faktoren beim Besuch einer Tanzveranstaltung sollten doch sein: Gefällt mir die Musik, und finde ich Menschen, mit denen ich sie auf dem Parkett interpretieren kann ?

Ich glaube nicht, dass im Schnitt mehr als zehn Prozent der Besucherinnen und Besucher auf die Musik achten. Bestenfalls soll sie halt irgendwie vertraut klingen – und das heißt für die meisten: das übliche Geschepper, Geknödel und Gesäusel aus vergangenen Epochen. Dazu vielleicht einige moderne Stücke, deren Viervierteltakt man auch auf Förderschul-Niveau erkennt. Mehr führt leicht zu Irritationen und somit einem Rückgang der Gästezahl.

Ein wichtigeres Motiv ist sicherlich die Zahl und Art der zu erwartenden Tanzpartner. Aus männlicher Sicht heißt das: möglichst jung und gut aussehend. Frauen sind meist bescheidener: Sie sind schon froh, überhaupt aufs Parkett zu gelangen. Nach einem nicht ausrottbaren Aberglauben steigen die Chancen auf solche Erfolge mit der Gästezahl. Das Todesurteil für eine Milonga lautet : Dort ist nichts los.

Im Umkehrschluss heißt das: „Wo viele hinrennen, muss es toll sein.“ Und dann will der Rest auch noch hin. Nach meinen Erfahrungen stimmt beides oft nicht. Ich habe immer wieder erlebt, dass Single-Frauen auf kleineren, weniger besuchten Veranstaltungen mehr zum Tanzen kamen als auf großen Events. Dort haben nämlich auch die Herren eine größere Auswahl…

Zudem gilt ein Rechenbeispiel, mit dem ich auf Milongas gerne nahestehende Personen unterhalte:

„In der ersten Stunde eines Tangoabends gibt es unter 20 Tanzenden 5 sehr gute Paare. Wie viele davon kann man feststellen, wenn im Verlauf des Abends noch 30 weitere Gäste dazukommen?" Die Antwort: immer noch 5 Paare.“

Attraktiv ist sicherlich auch das Begleitprogramm – ob nun Showtänze, Kleider- und Schuhverkauf, Sektempfänge oder was auch immer. Hält ja alles vom Tanzen ab! Was ich in letzter Zeit verstärkt feststelle: Ein Nahrungs- und Getränkeangebot zieht stets – auch wenn es sich nur um vertrocknete Käsewürfel und Discounter-Prostsecco handelt. Ich fürchte, in den heimischen Kühlschränken von Singles geben sich oft lediglich eine verschrumpelte Salatgurke und zwei abgelaufene Joghurts ein Stelldichein. Da ist man für eine „Tango-Tafel“ dankbar!

Insgesamt könnte man heute Milongas so definieren: Sozialbetreuung sowie Speed-Dating nebst Fütterung und Tanzgelegenheit.

Die Musik kann gehen.

Und auch bei diesem Thema komme ich wieder auf einen oft erwähnten Punkt: Man sollte als Veranstalter bei seiner Linie bleiben – egal, wie viele Gäste kommen. Und im schlimmsten Fall den Laden zusperren. Das kann man sich aber nur leisten, wenn man den Tango als Hobby und nicht als Gewerbe betreibt.

Alternativ kann man ja immer noch einen Kiosk aufmachen und saure Drops, Lottoscheine und Zeitschriften verhökern. Da hat man genug Kunden!

Und dann bleiben einem solche Anblicke erspart:

https://www.youtube.com/watch?v=KbfXlYc42xo

 

Kommentare

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