Zwischen weißer und roter Rose

 

Der Berliner Tango-Blogger Thomas Kröter gab sich kürzlich ziemlich angefressen. Für mich stets ein Hoffnungsschimmer, da er in diesem Zustand seine besseren Texte schreibt: Der Mainzer Tangolehrer und DJ Mark John habe sich mit einem Schlag aus seinem Herzen katapultiert trotz ähnlichen Musikgeschmacks. Er stehe nun nämlich einer Facebook-Gemeinschaft vor, welche sich Gruppe derjenigen die wenn es so bleibt irgendwann illegale Milongas machen“ nennt. Bereits mit einem solchen Wortungetüm erwirbt man sich Anwartschaften auf eine Erwähnung in meinem Blog.

http://kroestango.de/aktuelles/tango-mit-stich-ich-freu-mich-drauf/

Schlimmer noch: John hat eine Facebook-Gruppe, welche sich bislang als „Tango M8 / Rhein-Main 2001“ betitelte, ausgerechnet am 1. April dieses Jahres so umbenannt. Und das, ohne die Mitglieder zu befragen, ob sie nun – statt an einer regionalen Infogruppe zu Tangoveranstaltungen und Ähnlichem – plötzlich an einer ideologisch gefärbten Unternehmung teilhaben wollten.

Die Gruppenbeschreibung lautet jetzt:

Unsere Gesellschaft kann nicht auf Dauer den Tod der Einen mit dem Leben der Anderen gegenrechnen. Wir vernichten derzeit die Gesundheit einer ganzen Generation aus Angst vor Ansteckung. Ach ja - und die Kultur!

Ja ich weiss, wenn wir Ansteckungen verhindern und endlich ALLE geimpft sind, wird vielleicht alles gut. UND NIEMAND DER GANZEN OBERSCHLAUEN REDET DARÜBER WAS WERDEN SOLL, WENN DIESER PLAN NICHT AUFGEHT. Irgendwann wird Solidarität absurd. Nein, noch nicht selbstverständlich.

Frage: sind dann irgendwann alle, die Leben wollen kriminell?“

Mark John Leder (so der bürgerliche Name) scheint insgesamt zu den etwas sperrigen Zeitgenossen zu zählen. Vor zwei Jahren kloppte er sich wegen der Nutzung einer Milonga-Location mit der „Stiftung Sprudelhof“ in Bad Nauheim vor Gericht – und verlor. In der Folge verlangte er Schadenersatz vom Bürgermeister. Warum, wisse wohl nur er selbst, so jedenfalls die „Wetterauer Zeitung“.

https://www.wetterauer-zeitung.de/wetterau/bad-nauheim-ort78877/tango-streit-badehaus-nauheim-wird-farce-12162019.html

https://landbote.info/sprudelhof-15/

Nun hat sich ja durch Corona die Sache wohl erledigt. Johns zunehmend radikalere Posts seit Anfang April lassen sich ungefähr so zusammenfassen: Es geht nicht so weiter, wenn es so weitergeht. Unsere Kultur wird vernichtet. Eventuell sogar absichtlich. Möglicherweise muss daher auch der Tango in die Illegalität ausweichen. Irgendwie, so ahnt man, ist John kurz davor, sich ein bisschen wie Hans Scholl zu fühlen.

Was mich aber umtreibt: Warum muss man zwecks Rettung der Kultur ein so fürchterliches Deutsch schreiben? Sogar von der neuen Hunderasse des Flashmops" ist die Rede. Und dann kommt noch solch suggestives Zeug in einer Umfrage, die Mark John am 31.3. veröffentlicht hat:

„Ja sorry, dass es jetzt ein bissi radikaler daherkommt. Aber völlig planlos die Gesellschaft vor die Wand fahren geht nicht auf Dauer. You cannot fool all of the people all of the time.

Würdest Du IRGENDWANN an einer illegalen Milonga teilnehmen? Da z.B. evtl. Covid bleibt, Impfen auch bleibt, der Tod und die Krankheit bleibt und die Gesunden jeden Alters vor die Hunde gehen ohne Kultur und Sport und Gemeinschaft... Würdest Du??

Als mögliche Antworten sieht er vor:

„Ich bin kein Verbrecher, aber ja, das würde ich“

„Nee, noch eine mehr geht nicht. Wir haben hier schon vier pro Woche.“

„weiss nicht – unsicher“

„keinesfalls weil wie unsere äusserst integren Politiker uns mitteilen gibt es keinen anderen Weg als totales ‚sich fügen‘“ 

Das derzeitige Abstimmungsverhältnis lautet 23:5:2:0. Na klar…

Mich erinnert das an ein Wort von Dieter Hildebrandt: „Die Griechen hatten’s gut, die konnten Ja oder Nein wählen. Stimmten Sie mit Ja, kriegten sie die Diktatur, stimmten sie mit Nein, kriegten sie die zu spüren.“

Wohin die Reise geht, deutet John so an:

Wenn wir generell wie Kinder behandelt und reguliert werden, ist das mehr als ansatzweise totalitär. Von daher sind Vermutungen in Richtung Überwachungsstaat nachvollziehbar. Für totalitäre Tendenzen ist Deutschland berüchtigt und ich mache die Erfahrung, dass wenn ich das einfach offen (jenseits meiner Blase) ausspreche weht ein ziemlich eisiger Gegenwind.“

Ich fürchte, was der Schreiber da spürt, ist eher das eiskalte Händchen der Vernunft

Das Schlimme an solchen Seiten ist, dass sie teilweise sicherlich berechtigte Kritik artikulieren, in der Summe aber die branchenüblichen Spinner anlocken, welche es wohl auch im Tangomilieu gibt. Was sich bei denen an historischer Unbildung austobt, ist wahrlich gruselig:

„Aus ‚Vernunft‘ war es 1933 auch besser, die Klappe zu halten.“

„Es erinnert mich auch vielmehr an die Stasi, was derzeit läuft.“

„Ich komme aus UdSSR und das war ein Kindergarten in Vergleich was jetzt in Deutschland passiert.“

Auch juristische Standards werden individuell angepasst: 

Maskenpflicht ist nicht gesetzeskonform!

Ausgangssperre ist nicht gesetzeskonform!

Testpflicht in den Schulen ist nicht gesetzeskonform!

Und keiner merkt das!

Mark John will die Gruppe noch öffentlich halten, obwohl er und manche Mitglieder sich lieber im Status einer geheimen Widerstands-Zelle sähen: 

„Und um in dieser Terminologie zu bleiben: welche Widerstandszelle hätte überlebt, wenn ihre Mitglieder groß getönt hätten, was sie alles vorhaben?“ 

„Klar ist, daß auch Leute die nicht daccord sind, diese Thesen hier lesen und auf irgend so etwas wie ‚Gruppe melden‘ klicken. Sind wir schon in einem Bereich, wo staatliche Organe unsere Denke daraufhin überprüfen, ob etwaige Handlungen gegen bestehendes ‚Recht‘ verstossen w ü r d e n ?“

Die Gedanken sind frei . . . - gilt auch heute noch. Man sollte nur vermeiden zu illegalen Handlungen aufzurufen!“

In jeder Diktatur lernen die Menschen sehr schnell, zwischen den Zeilen zu lesen und vor allem auch zu schreiben. Firma Horch und Guck lässt grüssen.“ 

Was hinter diesen Tendenzen steht, wird an der Stelle besonders deutlich, wo Thomas Kröter den Schreiber fragt:

„Ach, Mark John, könnte es sein, dass du dich a bisserl zu wichtig nimmst?“

Dessen Antwort:

„Kann man sich selbst zu wichtig nehmen? ich denke nicht - ich hab ja nur 1 Leben ... ich kann nur empfehlen für das was einem selbst bedeutsam deucht as much as possible zu gehen... (lohnt sich!)“

Wahrlich, Empathie für andere ist da nicht die wichtigste Triebfeder. Und genau das ist der Unterschied: Die Geschwister Scholl und ihre Mitverschwörer trieb nicht persönliches Unglück zum Widerstand, sondern vor allem die über 700000 Opfer der Schlacht an Stalingrad (überwiegend übrigens Soldaten der Roten Armee).

Herrn John und seine geistigen Mitläufer plagt im Wesentlichen die Sorge, ihr Hobby noch länger nicht in der gewohnten Form ausüben zu dürfen. Und ein wenig Weltschmerz über kulturelle Verluste insgesamt. Klar: Ein Leben ohne Flashmops" ist möglich, aber sinnlos...

Das mit historischen Dimensionen ganz anderen Kalibers zu überfrachten ist ziemlich daneben. Der Tango sollte bei der roten Rose bleiben. Die weiße steht ihm nicht zu.   

Roter Mohn aus Pörnbach
Quelle:

https://www.facebook.com/groups/m8tango

Kommentare

  1. Tangoleute sind auch nur Menschen. Und ihre Spekulationen, wie es weiter gehen soll, wird genährt durch die Unsicherheit, der auch die Politik nichts entgegen setzen kann. Dass Tangotanzen schneller als man denkt von der Bildfläche verschwinden kann, werden "die Gedanken sind frei" je nach persönlicher Veranlagung (Glas halbvoll/halbleer) doch äußern und zur Diskussion stellen kön en. Statt darüber mokant einen Blog zu schreiben wäre ein konstruktiver Beitrag doch weiter helfend. Manches musste in der Geschichte - um zu überleben - sich in die Illegalität zurück ziehen. Z.B. die deutsche Sozialdemokratie. Gesetzt, wir werden die nächsten 5 Jahre nicht mehr offiziell Milongas tanzen können, und der Tango verschwände zusammen mit dem Virus, was schlagen Sie vor?

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    1. Lieber Manfred Schreiber,

      klar darf man Gedanken frei äußern - aber halt ebenso frei kritisieren. Insbesondere, wenn völlig absurde historische Vergleiche gezogen werden: Die politische Verfolgung der Sozialdemokratie unter Bismarck, Hitler oder später durch die SED hat mit den heutigen Verhältnissen genau nichts zu tun. Bei uns wird niemand wegen einer abweichenden politischen Meinung - und sei sie noch so bescheuert - ins Gefängnis oder in Lager gesteckt, gefoltert oder gar ermordet.

      Sich über solche Verirrungen "mokant" zu äußern halte ich noch für ziemlich rücksichtsvoll. Und wer illegale Milongas veranstalten will, soll es halt tun - aber sich anschließend nicht beschweren, wenn er ein paar Hunderter Bußgeld abdrücken darf.

      Ja, was wäre, wenn... Solche Fragen sind schwer zu beantworten. Allerdings weise ich schon darauf hin, dass es niemand verboten ist, Tango zu tanzen - halt mit einer sehr begrenzten Personenzahl. Und die Tatsache, dass man momentan keine größeren Milongas veranstalten darf, ist nicht schön, aber auch kein Anlass, ständig verbal die Welt untergehen zu lassen. Menschen in vielen Ländern der Welt beneiden uns um solche Probleme.

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    2. Robert Wachinger9. April 2021 um 16:47

      Hi Gerhard,

      Hm: "Bei uns wird niemand wegen einer abweichenden politischen Meinung - und sei sie noch so bescheuert - ins Gefängnis oder in Lager gesteckt, gefoltert oder gar ermordet." das stimmt so recht auch nicht. Nur so als Beispiel: AfD-Politiker werden z.B. durchaus überfallen, verprügelt o.ä. (und zwar in einem sehr viel höheren Ausmass als Politiker anderer Parteien) aufgrund ihrer abweichenden politischen Ansichten.
      Voltaire ("Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, daß Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen."), so mein Eindruck, gilt heutzutage nicht mehr viel.

      Dass es bei uns nicht so schlimm ist, wie in früheren Diktaturen, ist für jemand, der an ein "Wehret den Anfängen" denkt, nun mal kein überzeugendes Argument, weil auch diese früheren Diktauren sehr viel harmloser angefangen haben.

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    3. Lieber Robert,

      bei den angeführten historischen Beispielen war allerdings der Staat der Rechtsbrecher. Das Verständnis dieses gewaltigen Unterschieds hatte ich vorausgesetzt. Ansonsten:

      Nicht immer entspricht die gefühlte Wirklichkeit der Statistik – hier des Bundeskriminalamts:

      Politisch motivierte Straftaten insgesamt (2019):
      von rechts 22342, von links 9849

      Politisch motivierte Gewalttaten (Körperverletzungen, Tötungsdelikte):
      Nach einem Maximum 2015 kontinuierliche Abnahme von ca. 4400 auf 2800 (2019)
      davon 2019 von rechts 986, von links 1052

      Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger (2019):
      gesamt: 1674 Straftaten, davon 609 von rechts, 310 von links, nicht zuzuordnen: 727

      Quelle: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/pmk-2019.pdf?__blob=publicationFile&v=11

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    4. Robert Wachinger12. April 2021 um 19:24

      Hallo Gerhard,

      sorry, dass ich mich zu kurz und nicht klarer ausgedrückt hatte.

      Natürlich kann man die aktuelle Situation hier nicht mit den früheren Diktaturen vergleichen.
      Noch nicht.

      Aktuell ist zu beobachten, dass die Meinungsfreiheit immer weiter eingeschränkt wird, dass Menschen ihre Jobs und Reputation verlieren, weil sie anderer Ansicht als die "offizielle Meinung" sind.
      Ein Unterschied zwischen rechts- und linksradikalen Straftaten ist, dass die linksradikalen meist als "ist ja nur Gewalt gegen Sachen" verharmlost werden, während nur die "Rechten" Gewalt gegen Personen begehen (mein Beispiel mit den AfD-Politikern widerlegt diese Behauptung. Die frühere RAF hat auch schon das Gegenteil gezeigt).
      Und darüber hinaus geben hochrangige Politiker unterstützende Bekenntnisse pro Antifa von sich. Von daher kann man (ok, mit ein wenig "Extrapolation" ;-) ) durchaus der Meinung sein, dass linkradikale Gewalttaten gegen "falsch denkende" Politiker durchaus von der Regierung bzw dem "herrschenden Regime" unterstützt werden.
      Es gibt Aussagen von linken oder grünen Politikern, also von Politikern aus den "demokratischen Parteien", die in eine sehr bedenkliche, totalitäre Richtung weisen. Usw.

      Für mich ist Meinungsfreiheit ein hohes Gut (politisch tendiere ich ja in eine liberale Richtung), und der Umgang mit Menschen mit anderer Meinung ist mir immer ein deutlicher Fingerzeig (und der weist z.Z. in eine schlimme Richtung). Deswegen hatte ich ja auch Voltaire erwähnt ;-)

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    5. Robert Wachinger12. April 2021 um 19:39

      Ohne jetzt Rechtsradikale verteidigen zu wollen (ich sehe das Gegensatzpaar eher nicht zwischen "rechts" und "links" sondern zwischen "freiheitlich demokratisch" und "totalitär/radikal"), noch ein kleiner Nachtrag zu "Politisch motivierte Straftaten insgesamt (2019): von rechts 22342, von links 9849"

      "Hauptdeliktsfelder
      Die am häufigsten verwirklichten Straftaten (mit 39,3%) sind Propagandadelikte(bspw. Ver-wenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen,§§86, 86aStGB). Im Bereich PMK-rechts-machen sie sogar mehr als die Hälfte aller Straftaten aus (63,8%)."

      Darunter zählen m.W. alle Hakenkreuzschmierereien.
      Da gibt es durchaus Stimmen, dass diese zu einem Großteil "Fals Flag"-Aktionen sind (Begründung in der Richtung: die meisten Hakenkreuze werden falsch gemalt, und was ein echter Rechter ist, dem sollte das Hakenkreuz wichtig sein, so dass er es bestimmt nicht spiegelverkehrt oder falsch ausgerichtet malen würde ... Gegenargument wäre: die sind halt alle so doof und wissens nicht besser.). ;-)

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    6. Schon klar. Aber ich habe ja die Statistik über politisch motivierte Gewalttaten ebenfalls zitiert, und da halten sich rechts und links fast die Waage.

      Ansonsten kann ich mich nur wiederholen: Die Meinungsfreiheit wird staatlich nicht eingeschränkt, im Gegenteil: Wenn man sich die Rechtsprechung, auch die des Bundesverfassungsgerichts, ansieht, ist man oft erstaunt, was da noch als „Meinung“ durchgeht.

      Und klar kann man seinen Job oder seine Reputation verlieren, wenn man Ansichten äußert, die zum Beispiel dem Arbeitgeber nicht passen. Aber auch hierfür gibt es Arbeitsgerichte.

      Oder man wird irgendwo nicht mehr eingeladen, weil dem Gastgeber (analog oder virtuell) die Einstellungen nicht passen. Hat es immer gegeben und ist manchmal sogar verständlich.

      P.S Und ob einer das Hakenkreuz richtig herum oder spiegelverkehrt malt: Ich würde mit ihm gesellschaftlich nicht verkehren.

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