Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 10



Heute die Fortsetzung von Manuela Bößels Tipps für die tango- (und lebens-)taugliche Ausrichtung unseres Gestells.

Die Autorin verfügt über die Begabung, Geschichten zu erzählen, welche völlig verrückt klingen und dann unerwartet in grundvernünftige, lebensnahe Tipps münden.

Ich bin sehr stolz darauf, meinen Lesern somit Texte zu bieten, die sie von ihrem Tangolehrern wirklich noch nicht gehört haben (und auch nicht hören werden)!

Das Wort hat nun die Gastautorin:

Pimp dein Gestell ganz schnell - Teil 4: Dich spüren lernen

Life hacks für eine gute Haltung: Im eigenen Körper daheim sein, denn...
... du kannst nur gut bewegen,was du spürst!
... du kannst nur gut spüren, was du bewegst!

In den ersten drei Folgen von "Pimp dein Gestell ganz schnell" hast du gelernt, wie du in verschiedenen Regionen deines Körpers entspannte Aufrichtung antriggern kannst: ausgehend von deiner Mitte, deinem Kiefer, deinen Schultern oder von ganz unten - deinen Füßen.

Nicht jeder Pimp wird immer gleich gut funktionieren - das ist ganz normal und tagesformabhängig. Je mehr im Alltag geübte Möglichkeiten du deiner Bewegungssteuerungszentrale anbieten kannst, umso einfacher und wohliger wird die artgerechte Benutzung deines Körpers beim Tango tanzen (oder was auch immer).

Bei der Auswahl und Umsetzung der heute passenden Methode samt Wirkungskontrolle brauchst du unbedingt eine gute Körperwahrnehmung!
Ohne feine Sensorik keine feine Motorik!

Und genau hier beginnt manchmal schon das Problem.

Drum kümmern wir uns heute ums Spüren:

Wie geht das - sich selber spüren?
Wie können wir das sensomotorisches Feedback, das wir ja sowieso dauernd bekommen, besser oder überhaupt wahrnehmen?

Stell dir vor...

du bist zu Gast auf einem alten Schloss. Der Besitzer ist mit sämtlichen Domestiken unterwegs. Er hat dich alleine zurückgelassen mit einem dicken Schlüsselbund und einer langen Liste Handlungsanweisungen, z.B. wann die Katze zu füttern sei.

Dich friert's wie einen Hund, dein kleiner Abendhunger bohrt Löcher in die Magengegend, eigenartige Geräusche flirren durch dunkle Gänge und zu allem Überfluß fliegt die Sicherung raus. Dunkelheit umschließt Augen und Gemüt. Gott (oder wem auch immer) sei Dank: Dein Handy funktioniert!

Nach einigem Zögern rufst du doch den Schlossherrn an und schilderst ihm dein Leid. Er kennt das alte Gemäuer wie seine Westentasche und lotst dich schrittweise von einer Problemlösung zur nächsten:

Wo du Holz zum Anschüren der Kamine und des Küchenofens findest ("Taste dich an der Wand entlang, in die Richtung, wo es kälter wird und leicht bergab geht..".)
Wie du dort Feuer entfachst (als Zentralheizungsgewöhnter scheint dir dieses Abenteuer fremd)
Wo du in der kühlschrankfreien Zone die Eier findest ("Jawoll, im finsterkühlen Keller - nicht in der Speisekammer, im Regal neben dem Sicherungskasten! Obacht, die dritte Stufe von oben ist niedriger als der Rest der Stiegen, und benutze die dritte Pfanne von rechts, die mit dem hölzernem Griff...")
Wie du die Rohrleitungen entlüftest und welche Fensterritzen du mit Strickwürsten abdichtest (wegen der komischen Geräusche)
und welches Futterbeutelchen die Katze heute wünschen wird (wegen der komischen Geräusche)

Mit dem Telefon am Ohr befolgst du eine Anweisung nach der anderen. Irgendwie schon zielführend, gewiss, aber ein zeitaufwändiger, anstrengender "Blindflug".

Ein Jahr später wohnst du immer noch im Schloss. (Warum, weiß ich auch nicht.)
Du kennst inzwischen jeden Winkel, hüpfst sicher die schiefen Stiegen hinauf und hinab - sogar im Dunklen!  Die Schlosskatze, die sich täglich unter deinem Federbett verkriecht, entfernst du daraus inzwischen blind-routiniert. Anfeuern gelingt mit jedem Tag Übung noch besser. Du weißt inzwischen die Vorzüge einer handgeschmiedeten, nicht rostfreien Eisenpfanne zu schätzen. Manchmal singst du sogar mit dem Schlossgespenst ein Duett.

Du hast dir quasi das Schloss zu eigen gemacht, sinnlich übend begriffen. Jeden Tag ein bissel mehr. Nun weißt du einfach, welche Türen sich mit welchen Schlüsseln öffnen lassen, und was du dort vorfindest. Ohne groß(hirnig) darüber nachzudenken. Die Finger finden den Schlüssel am Bund tastend von allein. Dein Rücken weiß inzwischen, unter welchem Türsturz du dich bücken solltest.

Höchstwahrscheinlich fühlst du dich jetzt wohl im Schloss.

Dein Körper mit seinen wunderbaren, schon installierten Bewegungsmöglichkeiten ist auch eine Art Palast! (oder Bungalow, Alpenhütte, Villa - wie's beliebt)
Du wohnst dort!
Erkunde ihn!
Erforsche und begreife!

Gönne deinem Körperpalais spürende Bewegungserfahrungen!

So oft wie möglich, einfach während deiner Alltagsroutine - nur dann bist du in der Lage, diese Muster beim Tango (oder was auch immer) fix und fertig abzurufen!

Aus dem Stand losrennen: Sei ehrlich, wann hast du das letzte Mal gemacht? Borg' dir hierfür - falls nicht vorhanden - Katze, Hund oder Kind aus. Ballwerfend auf einer Wiese herumtollen mögen alle drei Fraktionen. Mitspielen ist zwingend ;)

Hängend die Schwerkraft spüren: Schau, der alte Baum da drüben! Dein Leihkind erklimmt schon mutig die unteren Äste. Der starke Querausleger würde sich doch hervorragend eignen, dich mal beherzt dranzuhängen? Spürst du die Dehnung im Rücken? Und ja! Tatsächlich! Die Schulterblätter sind wirklich flexibel befestigt und gleiten. Deine Beine baumeln völlig locker - total entspannt!

Jetzt hast du dich total eing'saut auf der herbstmatschigen Wiese? Macht nix! Die Waschmaschine erledigt das schon: ab in den Waschkeller!

Treppen hinunterhopsen: Dein Rumpf "schwebt" über den Stufen, deine Beine tanzen fröhlich lässig mit, ballentapsend-federleicht und herzensfroh! Hinein in den Boden. Genau dieses Gefühl darfst du abspeichern und beim nächsten Tango aktivieren.

In der Hocke die Waschmaschine befüllen: Deine Knie und Hüftgelenke sind maximal gebeugt. Ob du auf den Zehenspitzen oder der ganzen Fußsohle stehst, ist egal. Probiere beides aus, wobei auf dem ganzen Fuß die Hockstellung halten lange Routine erfordert und eher für Fortgeschrittene (oder Asiaten) zugeschnitten ist. Funktioniert am besten mit lockeren Hinterbacken. Dein Beckenboden erfährt natürliche Dehnung.

Dein unterer Rücken darf und soll in dieser Haltung rund werden! So haben ihn die göttlichen Baumeister konzipiert. Die herumgeisternde Aufforderung, die Wirbelsäule in jeder Lebenslage gerade zu halten und auf keinen Fall zu beugen, ist biomechanisch gesehen gefährlicher Quatsch!

In der Brustwirbelsäule drehen: Wieder stehend suchst du das Waschmittel. Ach ja, im Seitregal hinter dir! Anstatt deinen Körper walzengleich mit einer Parkinson-Pirouette zu wenden, drehst du dich einfach in der Brustwirbelsäule etwas oberhalb der Taille. Eine Schulter führt dich in die Drehrichtung. Die Beine samt Beckengürtel bleiben weiter nach vorne zur Waschmaschine ausgerichtet.

Falls dein Auto keine Rückfahrkamera besitzt, hilft dir diese Bewegungsmöglichkeit beim Einparken. Schreibtischhelden können auch den Drehstuhl gegen einen normalen austauschen, sich selber zum Drucker hinüber wenden. Die Halswirbelsäule verdreht sich gar nicht gern.

Durchrütteln lassen: Ein besonderes Körperspür-Schmankerl bietet dir Freundin Waschmaschine. Setz dich einfach drauf, wenn sie schleudert! So viele somatosenorische Impulse erhältst du selten geschenkt! Und deine Propriozeptoren für die Eigenwahrnehmung werden jubeln!

Berührungsinformationen bewusst in verschiedenen Stärken wahrnehmen: Dem Strahl der Dusche kannst du abhängig von der Temperatur und Stärke zahlreiche Mitteilungen entlocken. Und anschließend feste abrubbeln, zärtlich eincremen, ...
Weitere Möglichkeiten, die Streichelsensoren zu aktivieren, überlasse ich deiner Fantasie ;)

Flach wie eine Flunder liegen: Zwischendurch platt auf dem Rücken liegend in die Unterlage hineinschmelzen entfaltet dein Gestell zur vollen Größe - vor allem, wenn du viel sitzt. Ganz Verwegene lassen Arme oder sogar den Kopf über die Bettkante herunterhängen.

Bestimmt fallen dir nach diesen Beispiel-Anfixungen zur Bewegungserfahrung im Alltag noch viele weitere ein.

Je vielfältiger, je bunter und vor allem bewusster du dich im Alltag bewegst, umso routinierter kann deine Steuerungszentrale diese Muster auch beim Tango (oder was auch immer) einsetzen!

Probier's einfach aus!
Spiele! Sei ungeniert kreativ!
Wünsche wohlige Bewegungsabenteuer und Entdeckungen.


Wie stets erscheint der Artikel (mit einem wundervollen Katzenbild) zeitgleich auf Manuelas Blog: http://im-prinzip-tango.blogspot.de/2016/10/pimp-dein-gestell-ganz-schnell-teil-4.html

Der Autorin meinen herzlichen Dank – und an die Leser die dringende Aufforderung, die tollen Ideen auszuprobieren!

Kommentare

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