Unter mütterlicher Überwachung II



Zur Vorgeschichte: Am 2.4. dieses Jahres veröffentlichte ich einen Text, der sich mit einem Artikel des Bloggers, DJs, Tangolehrers und -veranstalters Ivica Anteski aus Skopje befasste:

Dieser hatte auf seinem Blog “Poc@s palabras” unter dem Titel „Cultivating the tango community“ einige Pflegetipps gegeben, die mir – vorsichtig gesagt – demokratisch suboptimal erschienen:
(Cassiel aufgepasst: Alles sauber mit deep links dokumentiert, gell?)

Am 3.4. wies ich Herrn Anteski per Kommentar in seinem Blog auf meine Entgegnung hin, was dieser noch am selben Tag mit „I am sorry, I do not understand your language...“ beantwortete.

Daraufhin veröffentlichte ich dort am 23.4. eine englische Übersetzung des zentralen Teils meines Textes, also der Kommentierung seiner Ansichten. Am 10.5. hat der Angesprochene nun geantwortet:   

Oh, my dear sir, I think I explained all in my post... the only thing which is not clear is why you are against the proper behavior and respectful dancing - Do you like to dance with people who interrupt your dance bumping in you non stop? Do you like for ladies to come to you to invite you by grabbing your hand? Or you prefer to be embarrassed in front of everyone when girl refuses when you approach to invite her (not with cabeceo)? Or do you prefer to push with other men for a better position with cabeceo from standing position? Or do you prefer for girls not to have equal rights as man to invite (because the cabeceo rule enables to them to make mirada)?

I am realy sorry for the community who is not regulated as you prefer - this way, it is wild and only the most agresive and ones with less scruples and respect dance most. Decent people (and usually the best dancers) are not quite satisfied with this chaos you are describing.

Selbstredend kriegen meine Leser den Text übersetzt:

Oh, mein lieber Herr, ich denke, das habe ich alles in meinem Beitrag erklärt… das Einzige, was nicht klar ist: Wieso sind Sie gegen angemessenes Benehmen und respektvolles Tanzen? Möchten Sie mit Leuten tanzen, die nonstop in Sie hineinrumpeln? Mögen Sie Damen, die Sie auffordern, indem sie Ihre Hand packen? Oder bevorzugen Sie es, vor allen Leuten in Verlegenheit gebracht zu werden, wenn eine Frau ablehnt, falls Sie sich nähern und sie ohne Cabeceo auffordern? Oder ziehen Sie es vor, sich mit anderen Männern herumzudrängen, um im Stehen eine bessere Position zum Cabeceo zu erreichen? Oder haben Sie Frauen lieber, die nicht die gleichen Rechte wie die Männer haben, aufzufordern (weil die Cabeceo-Regeln ihnen eine Mirada ermöglichen)?

Mir tut eine Gemeinschaft leid, die nicht so geregelt ist, wie Sie es bevorzugen – in dem Sinn, dass sie wild ist und nur die mit weniger Skrupeln und Respekt am meisten tanzen. Anständige Menschen (und normalerweise die besten Tänzer) sind nicht ganz zufrieden mit diesem Chaos, das Sie beschreiben.“

Gerade habe ich meine Antwort auf seinem Blog eingestellt:

Dear Sir, thanks für your kind remarks!
I’d like to answer your questions.

“Why you are against the proper behavior and respectful dancing?”
Let me ask a counterquestion: To which line of my text do you refer? Of course I appreciate decent manners – including the character of not being dictatorial against other persons.

“Do you like to dance with people who interrupt your dance bumping in you non stop?”
No, I am not mad enough to do so. In 16 years, I visited nearly 3000 Milongas, most of them with no declaration of any “tango rules”. Normally I spend some hours on the dancefloor without being even touched by other couples. I think those who urgently need laws to feel safe are dramatizing the situation much more than necessary.  They rather should improve their spatial orientation.

“Do you like for ladies to come to you to invite you by grabbing your hand?”
In general, I’m not afraid of women touching me. That can be quite nice and – in the case of well-known people – a sign of familiarity. But most ladies prefer to ask me for a dance in polite words.

“Or you prefer to be embarrassed in front of everyone when girl refuses when you approach to invite her (not with cabeceo)?“
I have not much experience in being rejected when asking for a dance. In Europe, we have a ballroom tradition lasting longer than the argentine tango. Since more than 150 years men ask for a dance in decent words, and, rare enough, perhaps get a refusal – mostly without committing suicide… So do I.

“Or do you prefer to push with other men for a better position with cabeceo from standing position?”
No – first of all, I don’t use the cabeceo very often, and secondly I am mostly accompanied by at least one woman. So I can give precedence to single men – and if I really want to dance with someone, I always manage it sooner or later.

“Or do you prefer for girls not to have equal rights as man to invite (because the cabeceo rule enables to them to make mirada)?”
I even prefer girls asking me for a dance verbally – or by mirada, or by grabbing my hand – no problem at all!

In summary, I think the best community is a liberal one allowing each member to find his own way reaching the destiny of a behavior that can be accepted (although perhaps not appreciated) by everyone. My own rules may fit for me, but it would be arrogant to impose them on others. That is my definition of “respect” – and it avoids the chaos that is brought about by enemies trying to force each other to obey their own rules.   

Natürlich gibt es als Service wieder die deutsche Übersetzung:

Mein lieber Herr,
danke für die freundlichen Anmerkungen.
Ich möchte gerne Ihre Fragen beantworten.

„Wieso sind Sie gegen angemessenes Benehmen und respektvolles Tanzen?“
Lassen Sie mich eine Gegenfrage stellen: Auf welche Zeile meines Textes beziehen Sie sich? Natürlich schätze ich gepflegte Umgangsformen – inklusive der Eigenschaft, gegen andere Personen nicht diktatorisch aufzutreten.

„Möchten Sie mit Leuten tanzen, die nonstop in Sie hineinrumpeln?“
Nein, dafür bin ich nicht verrückt genug. In 16 Jahren habe ich fast 3000 Milongas besucht – die meisten davon ohne irgendwelche explizite „Tango-Regeln“. Normalerweise verbringe ich einige Stunden auf dem Parkett, ohne von einem anderen Paar auch nur berührt zu werden. Ich glaube, diejenigen, welche dringend Gesetze brauchen, um sich sicher zu fühlen, dramatisieren die Situation viel mehr als nötig. Sie sollten lieber ihre räumliche Orientierung verbessern.

„Mögen Sie Damen, die Sie auffordern, indem sie Ihre Hand packen?“
Generell fürchte ich mich nicht vor Frauen, die mich berühren. Das kann ganz nett sein, und – im Fall von guten Bekannten – ein Zeichen von Vertrautheit. Aber die meisten Damen ziehen es vor, mich in höflichen Worten aufzufordern.

„Oder bevorzugen Sie es, vor allen Leuten in Verlegenheit gebracht zu werden, wenn eine Frau ablehnt, falls Sie sich nähern und sie ohne Cabeceo auffordern?“
Ich habe nicht viel Erfahrung mit Körben, wenn ich um einen Tanz bitte. In Europa existiert eine Tradition des Gesellschaftstanzes, die länger währt als der Tango argentino. Seit mehr als 150 Jahren bitten die Männer in höflichen Worten um einen Tanz, und bekommen – selten genug – vielleicht einmal einen Korb, meist ohne Selbstmord zu begehen. So verfahre ich auch.

„Oder ziehen Sie es vor, sich mit anderen Männern herumzudrängen, um im Stehen eine bessere Position zum Cabeceo zu erreichen?“
Nein – erstens verwende ich den Cabeceo nicht oft, und zweitens begleitet mich meist mindestens eine Frau. So kann ich Single-Männern den Vortritt lassen – und wenn ich wirklich mit jemandem tanzen will, kriege ich das früher oder später stets hin.

„Oder haben Sie Frauen lieber, die nicht die gleichen Rechte wie die Männer haben, aufzufordern (weil die Cabeceo-Regeln ihnen eine Mirada ermöglichen)?“
Ich bevorzuge sogar Frauen, die mich verbal auffordern – oder per Mirada oder, indem sie meine Hand ergreifen – überhaupt kein Problem!

Insgesamt meine ich, die beste Gemeinschaft ist eine liberale, die jedem erlaubt, seinen eigenen Weg zum Ziel eines Verhaltens zu finden, das von allen akzeptiert (wenngleich nicht unbedingt geschätzt) werden kann. Meine eigenen Regeln mögen für mich passen, aber es wäre arrogant, sie anderen aufzuzwingen. Das ist mein Verständnis von „Respekt“ – und es vermeidet das Chaos, welches entsteht, wenn Feinde versuchen, einander die eigenen Regeln aufzuzwingen.  

So, und nun noch unter uns Tangoschwestern und -brüdern – Ivica, hör weg:

Offenbar sind die Textbausteine in der traditionellen Tangowelt ebenfalls längst codiert. Wer ganz spezielle Regeln, welche weit über das europäische Verständnis des Gesellschaftstanzes hinausgehen, für den Tango ablehnt, wird sofort in die Ecke des „Chaos-Verfechters“ gestellt: Man schätze offenbar rücksichtsloses Tanzen sowie ungehobeltes Benehmen bis hin zur Abschaffung der Gleichberechtigung, eventuell inklusive sexueller Nötigung der Frauen. Da kannst schreiben, was du magst…

Nun gut, ein Dialog mit Sprechblasen ist besser als gar keiner. Über einen eventuellen Fortgang der Debatte werde ich hier berichten! 

Nun hat Herr Anteski am 15.7. tatsächlich noch einmal geantwortet, allerdings ein wenig an meinen Argumenten vorbei:
“So, I guess we agree - there should be manners :)
That was my point after all. Unfortunately in many communities manners and respect do not exist :) And they should ;)


Unser Verständnis des Begriffs „Manieren” werden wir aber wohl in diesem Leben nicht mehr zur Deckung bringen…

P.S. Herr Anteski hat einige Wochen danach noch einen letzten Text verfasst. Seit April 2016 ruht das Blog...

Kommentare

  1. Komme (mehr oder weniger gerade) von einer wunderbaren Nontango-Milonga und bin noch ganz entspannt davon. Jede Menge Spaß; die meiste Musik habe ich zuvor noch nie gehört, und das gemeinsame Entdecken ist ein ganz besonderes verbindendes Element zur Tanzpartnerin. Ein oder zwei Codigos sind da bestimmt auch rumgelaufen, aber sie waren angemessen zurückhaltend und haben nicht genervt. Jedenfalls bin ich auf angenehm geräumiger Piste weder mit besagten Codigos noch mit sonstwem kollidiert.

    Weil ich noch so entspannt bin, kann ich in Bezug auf Herrn wie hieß er noch gleich auch nur mildes an den Kopf tippen empfinden - love and peace, bro.

    Dein Text ist herrlich zu lesen. Ich hoffe, der Herr hat auch verstanden, daß er da wunderbar ironisch abgeledert wurde. Wobei ich schon etwas neidisch bin auf Deine viele Zeit - englisch und deutsch, mamma mia.

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    1. Ich weiß auch nicht, worauf die ständigen Berichte von schrecklichen Zusammenstäßen auf dem Parkett basieren. Wenn man ein bisschen improvisieren kann, ist doch fast immer ein Ausweichen möglich.

      "Gemeinsames Entdecken" - ja, genau das ist es!

      Das Übersetzen ist inzwischen gar nicht mehr so zeitaufwändig. Irgendwie lade ich grade verschüttete Dateien aus meiner Gymnasialzeit hoch. Sollte die Schule doch nicht ganz vergeblich gewesen sein?

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