Und die Moral vom Tango

„Es stände besser um die Welt, wenn die Mühe, die man sich gibt, die subtilsten Moralgesetze auszuklügeln, an die Ausübung der einfachsten gewendet würde.“ (Marie von Ebner-Eschenbach)

Mein jüngster Beitrag „Ja, aber die Ronda“ scheint große Aufmerksamkeit gefunden zu haben – trotz der weihnachtlichen Ablenkungen durch Gans und Plätzchen: Gestern erreichte mein Blog über 1100 Zugriffe – fast doppelt so viele wie üblich. Und momentan (kurz vor Mittag) sind es schon wieder fast 600.

Dazu fand ich nun einen Text auf einer lokalen Tangoseite, der dazu wunderbar passt. Interessant finde ich schon mal, dass man es nicht nötig hatte, zum Thema „Parkett-Disziplin“ etwas Eigenes zu schreiben – lieber kupfert man den Artikel eines Hardcore-Tanguero aus New York ab.

Die übersetzten „Tango-Regeln“ bieten zwar inhaltlich wenig Neues, interessant finde ich jedoch den moralisierenden Tonfall, mit dem hier „Verbote“ garniert werden:

„Die Raummitte ist eine Zone, die man nicht betreten darf.“

„Es gibt keine Entschuldigung dafür, sich rückwärts zu bewegen (…)“

„Eure eigenen schlechten Gewohnheiten (…)“

„Zickzack-Tanzen ist streng verboten, genauso wie den Raum abzuschneiden. In Buenos Aires werdet ihr, falls ihr den Raum schneidet wie mit einer Kettensäge, für üble Leute gehalten.“

„Überholen ist schlechtes Benehmen.“

„New York hat einen schlechten Ruf bzgl. der Flächenübersicht. Wir stehen alle in der Verantwortung, das zu ändern. Unser aller Achillessehnen werden dankbar sein.“

Die Achillessehne zitiert man bei dem Thema wohl gerne – erst gestern fand ich sie in einem Kommentar an mich. Die Endsehne des dreiköpfigen Wadenmuskels ist allerdings die dickste und stärkste Sehne des Menschen. Sie zum Reißen zu bringen erfordert schon heftigstes tänzerisches Bemühen!

Beim Sohn des Peleus und der Meeresnymphe Thetis war das Teil allerdings das einzig Verwundbare, da Mami beim Tauchbad im Styx bei Achilles versehentlich den Finger draufhatte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Achillessehne

Aber ich schweife ab…

Nicht zum ersten Mal fällt mir bei solchen Darlegungen auf: Es geht nicht um Vorschläge, wie man Dinge sinnvoller und vernünftiger gestalten könnte. Über solche Ideen ließe es sich ja trefflich diskutieren.

Nein: Man verkündet Verbote, nach denen man sich gefälligst zu richten hat. Ansonsten wird moralisch abqualifiziert. Wer anders tanzt, ist böse 

Und Formulierungen wie „Es gibt eine simple Wahrheit“ zeigen: Da haben wir nix zu diskutieren! Es gibt halt die Frommen, welche an die Gebote glauben – und Sünder, die dagegen verstoßen. Über Letztere wird ein Moral-Urteil gefällt.

Der Tango ist in weiten Teilen zu einer Sekte verkommen.

Quelle: https://tango-burghausen.de/category/tangonotizen-fuer-die-provinz/

Das macht Diskussionen schwierig – es geht ja nicht um Meinungen, sondern um Glaubenssätze.

Lustig finde ich, dass man auf derselben Seite ein Tanzvideo verlinkt, in dem ein Paar übers Parkett pest und wunderbaren Unsinn anstellt – von Ronda und Tanzspuren keine Rede. Original-Kommentar: Ein Tanguero lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen." Bliebe die Frage: Aus welcher Ruhe?

Ja, ich weiß: Das ist „reiner Bühnentango“. Nur: Warum nennt man das überhaupt noch Tango, wenn es von der Realität der Gläubigen so weit entfernt ist wie die Love-Parade von einer Fronleichnams-Prozession?

Doch lasst uns zum Schluss noch etwas Spaß haben – damit kann man Frömmler am meisten ärgern:

https://www.youtube.com/watch?v=RJARBfmC6I0&list=RDRJARBfmC6I0&start_radio=1

Kommentare

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