Tango-Dialektik

Kollege Wendel hat nun auf meinen letzten Text mit einem „Nachtrag“ reagiert: Klar, auch er hat am Tango Spaß. Vielleicht ist er nur nicht so leicht zu erkennen.

Meine Person muss mal wieder herhalten: Es gehe „um die Irrungen eines frustrierten Mannes, der sein persönliches Trauma mit schlechtem Unterricht zu einem Politikum aufgeblasen hat.“

Na ja, geschenkt!

Aber zwischendurch wird es interessanter: Wendel bekennt, er sei „müde dieser endlosen Sandkastenspielchen, die uns – den gewissen Blogger und mich – längst in eine Lächerlichkeit geführt haben, für die man uns inzwischen in einem Atemzug mit Statler und Waldorf nennt. Und ehrlich gesagt: Das haben wir uns selbst zuzuschreiben.“

Ja, klar – nur halte ich das im Gegensatz zu ihm für einen respektablen Erfolg: Jim Henson erreichte mit seiner „Muppet Show“ Weltgeltung – und fast alle kennen nicht nur hierzulande die beiden nörgelnden Alten (Waldorf und Statler), die sich vom Theater-Balkon aus über den Blödsinn auf der Bühne lustig machen – und sich natürlich auch gegenseitig nicht schonen.

https://en.wikipedia.org/wiki/Statler_and_Waldorf

Heute würde man von zwei „Boomern“ sprechen.

Was machte die beiden Figuren so attraktiv? Klar – ihre Dialektik.

„Durch Widersprüche zur Wahrheit gelangen“ – so erklärte mir mein Vater einst diesen Begriff. Er hatte die Formulierung von den Antifa-Schulungen in seiner russischen Kriegsgefangenschaft. Ich meine, sie stimmt trotzdem.

Die Botschaft dieser Methode lautet, dass es absolute Wahrheiten nicht gibt. Was bleibt, ist, sich ihnen durch Gegensätze anzunähern.

Legendär sind die rhetorischen Schlachten zwischen dem Urbayern Franz Josef Strauß und seinem hanseatischen Widersacher Helmut Schmidt. Wenn die beiden sich im Bundestag oder in Wahlkämpfen duellierten, flogen die rhetorischen Fetzen.

Ihr menschliches Verhältnis litt darunter wenig. Schmidt erzählte, dass es bei persönlichen Unterredungen eher locker zuging: Der Kanzler pflegte seinen Widerpart mit „Na, Sie alter Gauner“ zu begrüßen, worauf Strauß öfters antwortete: „Na, Sie alter Lump“.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article108846845/Altkanzler-in-Muenchen-Schmidt-schwaermt-vom-alten-Gauner-Strauss.html

Schmidts Verhältnis zu Helmut Kohl dagegen galt als irreparabel beschädigt. Das lag wohl daran, dass der Pfälzer die rhetorischen Spitzen des Hanseaten mit tödlichem Beleidigtsein quittierte und herummoralisierte, statt sich bei Schmidt mit Wonne und einem fetzigen Spruch zu revanchieren. Kohl suchte die Harmonie – Schmidt die Dialektik.

Das respektvolle und gepflegte Niedermachen übte auch das legendäre Journalisten-Paar aus dem Konservativen Bodo H. Hauser und dem eher linken Ulrich Kienzle, die den Erfolg des ZDF-Magazins „Frontal“ bewirkten. Ihr Ansatz war entschieden destruktiv: Zu Beginn verlasen sie abwechselnd ziemlich depperte Agenturmeldungen und schoben sie mit einem bissigen Spruch in einen Reißwolf.

Rituell auch das Ende der Sendung: Auf Hausers „Noch Fragen, Kienzle?“ kam stets „Ja, Hauser“. Es folgte der letzte tagesaktuelle Schlagabtausch, beendet mit „Na dann, guten Abend!“.

Sprüchemäßig ging es dabei ordentlich zur Sache: Selber gab man sich die Spitznamen „Saddam und der Deoroller“ – wegen der Ähnlichkeit Kienzles mit dem irakischen Diktator Saddam Hussein und Hausers blankpolierter Birne mit dem Ende des Deo-Utensils.

https://de.wikipedia.org/wiki/Frontal_(1993)

Das Nachfolge-Format „Frontal 21“ – ohne die beiden Moderatoren – konnte deren Einschaltquoten nicht mehr erreichen. Klar, da fehlte die Dialektik. Heute moderiert „Frontal“ eine (!) Frau (!): Ilka Brecht. Immerhin gibt es zum Schluss den Satire-Beitrag „Toll!“.

Dialektisch versuchen es derzeit die beiden Journalisten Augstein und Blome. Na ja, wir werden sehen! Persönlich finde ich die beiden Figuren zu ähnlich.

Klaus Wendel erklärt: „Diese Fehde, die einst selten aus inhaltlichen Differenzen entstand, ist irgendwann zu einem absurden Ritual geworden – ein Schlagabtausch ohne Sinn, ohne Gewinn, ohne jedes Maß. Vielleicht ist bei mir nun wirklich etwas passiert: die Erkenntnis, dass es Zeit ist, diese Reizbarkeit abzulegen.“

Quelle: https://www.tangocompas.co/das-spass-argument-die-kapitulation-der-bequemen/

Ist ihm wirklich nicht klar, welches Potenzial in einem solchen Diskurs liegt? Statt Tango-Lobpreis-Einheitssoße klare sowie gegensätzliche Standpunkte? Mit Witz und Verve vorgetragen? In der Überzeugung, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt – aber man nicht genau herausfindet, wo? Aber das sollen gefälligst die Lesenden erforschen!

Schön wäre es halt, wenn dies mit Courtoisie geschähe – Auseinandersetzungen spitz statt plump gelängen! Halt wie zwischen Waldorf und Statler. Thomas Kröter und mich hat man einst schon mit ihnen verglichen. Leider machte der dann einen Rückzieher, weil er den journalistischen Wert dieser Konstellation nicht einsehen wollte.

Und nun auch noch Wendel? Ich fürchte, er will Tango weiterhin ernsthaft" betreiben. Wie schade!

Ach Mensch – Dialektik als Solo kann nicht gelingen. Aber ich werde die Schöpfungen des Kollegen weiterhin liebevoll begleiten. Dann wird schon was draus.

Was bleibt also zum Schluss?

Noch Fragen, Riedl? Ja, Wendel!

   

https://www.youtube.com/watch?v=yDdIQbV-n-c

Kommentare

  1. Vom Kollegen Wendel kam prompt die Absage: Er möchte keine Dialektik. Wahrscheinlich fürchtet er, mir damit einen gleichrangigen Status zu verleihen.
    Na gut. Jeder, wie er will.
    Thomas Kröter hat damals auch gekniffen. Inzwischen ist sein Tangoblog tot. Darüber sollte Klaus Wendel einmal nachdenken.
    https://www.tangocompas.co/authentizitaet-imitation-und-die-verlorene-eigenstaendigkeit/#comments

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