Gefecht zum Klarmachen



Ich musste erst 66 Jahre alt werden, um von einer geradezu industriellen Methode zu erfahren, Frauen herumzukriegen! Quelle war ein Link, den meine Bloggerkollegin Manuela Bößel in einem Kommentar zu ihrem Text „Genug gepaced!“ veröffentlichte:

„Pickup Artists“ (also „Aufreißkünstler“) nennen sich Kerle, welche sich international der „Seduction Community“ zugehörig fühlen und über mehr oder weniger geschlossene Foren des Internets bestens vernetzt sind. Ratgeber und auch praktische Seminare zu stolzen Preisen (Größenordnung: 500 € für zwei Tage) gibt es seit Mitte der 90-er Jahre zuhauf.

Bezeichnenderweise begann dieser Trend in den 70-er Jahren, als die Emanzipationsbewegung sich anschickte, das traditionelle Männerbild in Frage zu stellen. Der wichtige Auslöser war wohl das Buch How to Get the Women You Desire into Bed” von Ross Jeffries, der mit Methoden des Neuro-Linguistischen Programmierens (NLP) arbeitet: https://de.wikipedia.org/wiki/Neuro-Linguistisches_Programmieren
Mit dem Bestseller „The Game“ („Die perfekte Masche“) von Neill Strauss (Kampfname: „Style“) und der Fernsehserie „The Pickup Artist“ des ehemaligen Zauberkünstlers Erik von Markovik („Mystery“) fanden solche Methoden dann die nötige mediale Verbreitung.

Strauss und Markovik sind jetzt in festen Händen und haben je ein Kind. Ersterer bekennt inzwischen, dass er sich für sein Buch „The Game“ schäme. Ross Jeffries meint heute, er fühle sich „wie Frankenstein“, da er „ein Monster erschaffen“ habe.

Der oben verlinkte Artikel der „Frankfurter Allgemeinen“ beschreibt ein typisches Beispiel für die Arbeit eines „PUA“ („Pickup Artist):

Eine junge Frau wird auf einer Salsa-Party von einem Mann angesprochen. Da er ihr sympathisch erscheint, gibt sie ihm ihre Telefonnummer. Einige Tage später ruft er sie um 23 Uhr an und will sie treffen. Sie lehnt ab. Ein paar Monate (!) später meldet der Mann sich erneut, diesmal kommt es zu einem Date, bei dem ihr der Herr eher feminin und verständnisvoll erscheint: „Er wollte alle meine Gefühle analysieren, er berichtete von Dingen, die ihm gefielen, und sagte, dies und jenes müssten wir unbedingt mal zusammen machen, das würde mir gefallen.“

Schon nach zwei Stunden lässt sie sich von ihm küssen. Ein weiteres Treffen am nächsten Abend lehnt sie zunächst ab, da es in seiner Wohnung stattfinden soll. Schließlich einigt man sich auf ihre WG, wo er mit zweieinhalb Stunden Verspätung und dem Satz auftaucht: „Hier ist dein Hauptgewinn.“

Sofort sucht er die körperliche Nähe: „Du darfst mich jetzt küssen.“ Nachdem sie seinem Verlangen nachgibt, steht er alsbald auf: „Du bist ja ein ganz kleines Mädchen. Ich muss jetzt los.“ Ihr geht das alles zu schnell, und das merkt er wohl. Weitere Verabredungen lässt er daher platzen: „Du kriegst nicht das ganze Paket, du kriegst mich nicht, du kannst mich nicht als Menschen haben!“

Über einen Bekannten erfährt die junge Frau schließlich, dass sie an einen „Pickup Artist“ geraten war. Oft enden diese Geschichten jedoch weit weniger harmlos…

Die Kunst des Flachlegens hat diese ehrenwerte Gesellschaft genau geregelt und perfektioniert. In längstens sieben Stunden, so der professionelle Anspruch, könne die Sache erledigt sein. Freilich sind nur Damen der Stufe HB 8-10 gefährdet: Die  Zielobjekte („Hot Bunnies“) werden nämlich je nach Attraktivität in ein Raster zwischen null und zehn eingeteilt.

Wie sieht nun das Aufreiß-Schema aus? Die amerikanische Autorin Clarisse Thorn hat in ihrem Buch „Fiese Kerle? Unterwegs mit Aufreißern“ ein „hautnahes“ Methoden-Studium betrieben:

Drei-Sekunden-Regel
Maximal diese Zeitspanne dürfe zwischen dem Erblicken des Opfers und der Erst-Ansprache vergehen – dies demonstriere Zielstrebigkeit und Dominanz.

Standard-Opener:
Ziel ist es, mittels eines möglichst originellen und suggestiven Anmachspruchs die natürliche Abwehr der Frau („Bitch Shield“ – also „Zicken-Panzer“) per Verwirrung zu unterlaufen. Diese Sprüche müsse man auswendig drauf haben und zu jeder Tages- und Nachtzeit perfekt heraushauen können. Wichtig sei hierbei der intensive Blickkontakt, mit dem man sein Angriffsobjekt fesseln müsse, sowie Hartnäckigkeit und Penetranz.
Schöne Beispiele liefert im folgenden Video ein (zumindest selbst gefühlter) Meister dieses Faches:




(Nebenbei: Für mich als Mann ist es bereits nach zehn Sekunden klar, dass es sich bei solchen Typen um kleine Wichtigtuer handelt. Und dass der Herr sich hier per Banane eher der pongiden Evolutionslinie zuordnet, ist ja zu verstehen. Frauen sehen das offenbar anders…)

„Closes“: normierte Erfolgsstufen
Der erste Etappensieg ist meist der „Number Close“, also das Ergattern der Telefonnummer (oder der Facebook-Adresse, welche noch zusätzliche Informationen liefere). Einen weiteren Schritt vorwärts kommt man mit dem „Kiss Close“, dabei natürlich stets den „Final Close“ im Blick habend. Da Eroberungen in dieser Gruppe gerne auch wettbewerbsmäßig veranstaltet werden, gibt es auch verschiedene Punktezahlen für die einzelnen „Closes“.

Push and Pull
In unkalkulierbarer Reihenfolge wechseln sich Komplimente, Neckereien, Beleidigungen, softe und arrogante Bemerkungen ab. Man gibt vor, die Frau zu „durchschauen“. Das Wechselbad von Zuckerbrot und Peitsche soll dafür sorgen, die Unsicherheit der Frau zu verstärken und ihr Selbstbewusstsein zu untergraben: Wenn sie irritiert genug ist, werden Manipulation und Kontrolle leichter. Ebenso wirkt der Wechsel von erotischem Begehren und scheinbar frigider Ablehnung.

Kino – gezielte Berührungen
Unter Kinästhetik versteht man den Aufbau einer persönlichen Beziehung durch Berührungen: Diese reichen vom „Initialkino“ (z.B. zufällig wirkender Kontakt am Arm oder Einhaken) über „Intimkino“ (Berühren des Nackens, ins Ohr flüstern) bis hin zum „sexuellen Kino“. Auch „Handlesen“ ist sehr beliebt. Damit soll die Individualdistanz verringert werden und Vertrautheit entstehen. Zwischendurch muss das Getatsche immer wieder einmal ausgesetzt werden, um die „Buying Temperature“ des Opfers zu erhöhen. Gerade körperliche Kontaktaufnahme sei bestens dazu geeignet, Frauen „abzuchecken“: Reagierten sie hierauf positiv bis neutral, seien sie sexuell verfügbar. Und sich um den Rest zu kümmern, sei Zeitverschwendung:



Shit Tests und Negs
Leider ist es unvermeidlich, dass Frauen Fragen stellen, mit denen sie die Eignung des Mannes als zukünftigen Partners erforschen wollen – diese zielen auf dessen Ranghöhe, Verlässlichkeit, Opferbereitschaft etc. für sie. Diese „Shit-Tests“ müssen natürlich ausgehebelt werden – mit so genannten „Negs“: Diese ignorieren generell das Thema und dienen nur dazu, den Status der Fragestellerin herabzusetzen. Beispiele: „Du bist so leicht zu durchschauen“ oder "Du hast eine schöne Nase – wie viel hast du dafür bezahlt?".

Last Minute Resistance? Bloß nicht um Erlaubnis fragen!
Ziel des „Game“ ist es natürlich, mit der Frau an einem beischlaf-geeigneten Ort zu landen. Der weibliche Widerstand in letzter Minute sei normal – schließlich wolle das „Hot Babe“ nicht als Schlampe rüberkommen! Würde man in einer solchen Situation der Dame die Entscheidung überlassen, käme man zu fast gar nichts. Also immer feste drauflos! Schlimmstenfalls greife man zum „Freeze out“, heuchle also sexuelles Desinteresse, um ihr per vorgeworfener Frigidität noch ein paar Komplexe mehr zu bescheren. Schnell werde sie dann kapieren, dass Männer sie nur mögen, wenn sie mit ihnen schlafe…

Die PUA-Typen
Nach Clarisse Thorn reicht das Spektrum von Anfängern und Außenseitern, die sich von selber nicht trauen, eine Frau anzusprechen, über „Hedonisten“, „Geschlechterrollen-Analytiker“ und „Abzocker“ (PUA-Coaches) bis hin zu den „Darth Vaders“, die aus einem (meist kindheitsgeprägten) Frauenhass heraus handeln. Zumindest letztere seien brandgefährlich, da hier die Grenze zu sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung verschwimme.


Fazit

Bei der Beschäftigung mit dieser Materie erkannte ich männliche Verhaltensweisen wieder, die ich beim Tango schon öfters erlebt habe: Manche Annäherungsversuche bei Frauen in meiner Umgebung erschienen mir derart überrumpelnd und dreist, dass ich es nicht fassen konnte. Nun glaube ich nicht, dass alle entsprechenden „Tangueros“ ein PUA-Coaching besucht haben – es gibt hier sicherlich auch Autodidakten und Naturtalente…

Es fröstelt mich bei dem Gedanken, welches ideale Terrain der Tango für Kerle dieses Schlags abgibt: Da muss man keine Frauen auf der Straße oder in der Kneipe ansprechen, die „Kinos“ ergeben sich per enger Umarmung von selber, und die Tangothematik ist bestens für auslotende „Beziehungsgespräche“ geeignet. Weibliche Selbstzweifel schließlich muss man in diesem Rahmen nicht erst erzeugen!

Früher gab es jedoch für Speed-Rambos dieser Art ein massives Hindernis: Man musste einigermaßen tanzen können – und diese Investition war wohl den meisten von ihnen denn doch zu hoch. Nun, beim heutigen Getrippel am Platz hält sich der Aufwand in Grenzen! Und erst recht lächerlich dürfte PUAs die szenetypische Ansicht vorkommen, der „Cabeceo schütze die Frauen“. Prima – der intensive Blickkontakt gehört ja zu ihrem Repertoire…

Dass die Einsamkeit heute für viele Singles ein wichtiges Motiv ist, zum Tango zu gehen, wird die Erfolgsquote der PUAs nicht eben senken! Und man ist ja im konservativen Tango fleißig dabei, die Frau wieder auf ihre traditionelle Rolle zurückzuwerfen – wie schön!

Ich meine, es könnte für Tangueras nützlich sein, die wichtigsten Methoden dieses perfiden Manipulationsspiels zu kennen – und für alle, die glauben, sowas funktioniere nur in der Theorie:




P.S. Um die erwartbare männliche Frage noch zu beantworten: Ja, es gibt auch eine weibliche Variante der PUAs – man nennt sie „Pickup Cats“. Gemessen an den Treffern bei den Suchmaschinen dürfte es sich jedoch um eine Minderheit handeln!

Kommentare

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