No vuelvo al sur

Vuelvo al sur

Vuelvo al Sur, como se vuelve siempre al amor,
vuelvo a vos, con mi deseo, con mi temor.“
Ich komme zurück in den Süden, so wie man immer zu einer Liebe zurückkommt,
ich komme zu Dir, mit meinem Verlangen, mit meiner Angst.“
(Text: Fernando E. Solanas, Musik: Astor Piazzolla)

„Zentral ist die kompositorische Erneuerung des Tangos zunächst mit Astor Piazzolla verknüpft“ (Wikipedia: „Tango Nuevo“)

Nein, ich komme so schnell nicht wieder in den Süden zurück! Innerhalb von zwei Monaten bin ich nun zum zweiten Mal zirka 130 km zu einer Milonga ins Alpenvorland gefahren, die mich mit unzutreffenden Musikbeschreibungen angelockt hat.

Diesmal sollte laut Einladungs-Mail „Das Beste vom Tango Tipico und Nuevo“ erklingen, noch dazu live gespielt von einem osteuropäischen Quintett, in dessen Namen der Begriff „Piazzolla“ auftaucht.

Ich muss auf der falschen Veranstaltung gewesen sein.

Von Piazzolla war da gar nix – bis auf ein (zumindest danach klingendes) Konzertstück am Anfang des ersten Sets, zu dem man selbstverständlich nicht tanzen durfte. Wir sind allerdings kurz vor Beginn der Zugaben gegangen. Mag sein, dass man ganz zum Schluss noch schnell „Libertango“ als Alibi runtergenudelt hat – wurscht.

Was die fünf sehr jungen Herren boten, waren gecoverte Versionen traditioneller Stücke, laut Einladungstext „mit hörbar unverbrauchter Leidenschaft und mitreißender Dynamik“. Also, laut war es auf jeden Fall, und offenbar wollte man auf Deibel komm raus „tanzbar“ bleiben, was mittels heftiger Bassimpulse sowie Eindreschen aufs Billigkeyboard mühelos (?) gelang. Im Endeffekt ergab das einen Sound, der sich irgendwo zwischen „Juan Llossas im Berliner Wintergarten-Varieté“ der dreißiger Jahre und – im besseren Fall der Milongas – dem Versuch, auch mal „Beltango“ zu imitieren, bewegte. Und apropos: Der Chef von‘s Ganze spielte nicht nur ziemlich virtuos und leider übersteuert Geige, er sang auch noch – und spätestens bei „Mariposita“ war klar, dass er dem Vorbild Ariel Ardit nachstrebte, was ihm allerdings nur von Körpergröße und Gestus her gelang – schon deshalb, weil Ardit meines Wissens nicht aus dem Text kommt.

Ich will den Musikern eine große Routine und Spielfertigkeit gar nicht absprechen: Ihr Programm klang so, als hätten sie es schon sehr oft dargeboten (vielleicht eher im Freien), aber fast ebenso lange nicht mehr über ihre Konzeption nachgedacht: Da wurde halt nun wirklich jeder Tango auf den bandeigenen „Schrumm, schrumm, rappadizong“-Rhythmus runtergebrochen, egal, ob man die eigentlich schwebenden Klänge Fresedos wie in "Pampero" verhackstückte oder wunderbare Balladen wie „Nostalgias“ oder „La última curda“ ins Vierviertel-Metronom quetschte: „Lastima – rumms – bandoneón – rumms – mi corazón – rumms…“ Und wenn man sich – nach Künstlern von Roberto Goyeneche über Susana Rinaldi bis zu Lidia Borda – an legendären Stücken wie „Sur“ (immerhin schon fast Tango nuevo) versucht, sollte man zumindest hören, dass den Musikern solche Vorbilder bewusst sind. Oder, um „Mamma Bavaria“ vom Nockherberg zu zitieren: „Reißt’s eich amoi a bissel z’samm!“ Aber ich bin sicher, die anwesende Damenwelt hat die fünf „süßen Jungs“ noch genügend gefeiert und hochleben lassen!

Auf die Gefahr hin, dass mich nun die Traditionalisten zum Ehrenmitglied ernennen: Vieles, was ich da an Livemusik hören musste, konnten die großen Orchester der „Época de oro“ viel, viel besser. Aber ich war ja eigentlich gekommen, um Piazzolla & Co. zu erleben…

Das wurde mir ebenso vor und zwischen den Sets verweigert. Zu Beginn der Beschallung von der Konserve sollte es laut Ankündigung „Tubenmusi mit neuen Überraschungscortinas“  von zwei namentlich genannten DJs geben. Wo die waren, weiß ich nicht. Über weite Strecken war ein herrenloser PC zu sehen, der mir – fern jeder Außeneinwirkung – ein sattsam bekanntes Musikprogramm aus „Tausendundeiner Traditionsnacht“ um die Ohren wickelte. Aber vielleicht war ja einfach "Musik aus der Tube" gemeint.

Wahrlich, beim Tango stinkt der Fisch stets vom Kopfe her, womit wir bei den Veranstaltern wären: Man muss ihnen zugute halten, dass es Amateure waren, die wohl ihr „erstes Indoor-Tangofest“  organisierten. Und sie konnten sicher nichts dafür, dass der Begriff „Tango nuevo“ nicht nur die dreieinhalb Münchner Neo-Lunatics mit ihrer sattsam bekannten „Tango-Rückbildungsgymnastik“ angelockt hatte, sondern wohl zufällig in der Nähe auch der „Jahreskongress des Bundesverbands der Autisten“  stattfand. Wenn ich in dreieinhalb Minuten 35 Paaren ausweichen muss, fährt das gegen Mitternacht meine mentalen Kapazitäten auf Null. Na gut, auch in der Hominiden-Entwicklung hat der „Australopithecus“ („Südaffe“) eine herausragende Rolle gespielt...

Weniger verständlich ist es für mich schon, warum man es auf Milongas ums Verrecken nicht schafft, einen wahrlich geräumigen Saal so zu bestuhlen, dass die Tanzfläche eine maximale Größe erreicht und dennoch für 120 Gäste nicht nur 40 Sitzgelegenheiten bestehen, sodass der Schal meiner Frau mehrfach von Fremdhintern geplättet wurde. Und warum hilft in der Garderobe gerade mal ein einsames Sitzmöbel  zu verhindern, die Schuhe im Stehen wechseln zu müssen (wo doch Tangoleute meist paarweise kommen und dann auch noch je zwei Füße haben). Und apropos: Wieder einmal gelang es, die 12 Quadratmeter Verkaufsfläche der tangoüblichen geschmacklichen Monstrositäten für die Tanguera von der Gürtellinie abwärts so geschickt am einzigen Eingang zu platzieren, dass der sich dort erwartungsgemäß bildende Damenpulk ein Durchtreten für Andersdenkende wirkungsvoll verhinderte. Und man hatte – für den prämilongeal unverzichtbaren Workshop – endlich einmal ein Thema gefunden, das die Lösung gleich in sich trug: „Wie mache ich meinen Tango wertvoller 35 EUR/Paar“…

Liebe Veranstalter, keine Sorge, vieles davon fand ich in erster Linie lustig und vom Kabarettfaktor her den Eintritt von 18 Euro durchaus wert. Ich schreib’s auch nur deshalb, weil ihr gestern sicherlich mit Lob überschüttet wurdet, weil’s ja soooo toll war – und da kann ein bissel Realismus fürs nächste Mal nicht schaden. Den Begriff „Tango nuevo“ kann man doch wenigstens vorher mal googeln – oder vielleicht vorsichtshalber das Wort „Tango“ generell…

Was ich daher schon stark finde, ist der Fakt, dass ihr mich mit dem Begriff „Tango nuevo“ sinnloserweise ins Alpenvorland gelockt habt. Daher werde ich so schnell nicht mehr in den Süden fahren – nix goes mehr Tango alpino - allenfalls mal zum Schuhplattler! Konsequenterweise geht’s daher heute Abend in die Gegenrichtung, zum Tanzen nach Nermberch. Da weiß ich wenigstens von vornherein, dass der DJ keinen Piazzolla auflegt. Aber ich möchte zum Ausgleich meiner Seelenqualen unbedingt einmal wieder die fränkische Erotik des Tango genießen, welche für mich in dem Satz der Bardame gipfelt: „Mier ham gaane Filderdüdn mehr.“

Kommentare

  1. Soeben erhielt ich per Mail die Zusicherung der Veranstalterin, mir am kommenden Freitag (6.3.) beim Freisinger "Tango de Neostalgia" zur Substitution einige Piazzollas zu verabfolgen. Herzlichen Dank, ich kann's brauchen! Nähere Infos:
    http://www.tangobayern.de/modules.php?name=Tango_Argentino&file=index&func=zeige_event&t_op=00024306&akt_dat=1425625680&FixTheme=Muc11

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  2. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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    1. Den obigen Kommentar (der sowieso nur aus zwei Wörtern bestand), musste ich löschen, da die Absenderin namentlich nicht eindeutig zu identifizieren war!

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  3. Nun habe ich gestern meinen Vorsatz gebrochen und bin noch einmal an die selbe Stelle zurückgekehrt: Na also, es geht doch auch anders! Für gut den halben Eintritt (und das noch für wohltätige Zwecke) statt mäßiger Livemusik eine tolle, da sehr abwechslungsreiche Beschallung - und das Showtanzpaar (sonst nicht so mein Ding) war wirklich Oberklasse - technisch wie dynamisch. Schade nur, dass die beiden sich - ganz in "argentinischer" Tradition - für den Rest des Abends in die hinterste Ecke verkrümelten, statt den Kontakt zur ihren (zukünftigen) Kunden zu suchen! Na gut, man kann nicht alles haben - die lange Fahrt hat sich auf jeden Fall gelohnt.

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